
Eine Hochzeit, viele Hindernisse
Queere Menschen in Iran
In Iran ist Queerness lebensgefährlich. Traditionelle Vorurteile und mehr noch der ,revolutionäre‘ Islamismus des Mullah-Regimes drängen queere Menschen in die Illegalität. Ein Hoffnungsschimmer ist die Protestbewegung unter der Losung »Frau, Leben, Freiheit« seit dem September 2022.
»In Iran gibt es keine Homosexuellen. Das ist nicht wie bei euch.« Dieser Satz des damaligen iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadineschād im Jahr 2007 an der Columbia University ist vielleicht die bekannteste Aussage eines iranischen Politikers zur Homosexualität in Iran. Die Botschaft ist klar: Homosexuelle haben hier keinen Platz.
Das iranische Regime unterstützt diese Haltung gegen Homosexuelle bis heute – eine Änderung ist nicht in Sicht. Das zeigte sich bei einem Treffen von Revolutionsführer Ali Khamenei mit Frauen am 27. Dezember 2023 im Vorfeld der Parlamentswahlen 2024. Bei dem Treffen zur Vorbereitung des Frauen- und Muttertags verwies Khamenei auf die ,Natur‘ der Frau und des Mannes. Beide dürften nichts gegen die eigene Natur vornehmen. Jene Männer und Frauen, die sich in ihrem Verhalten, ihrem Make-up, ihren Bewegungen und ihren Worten abweichend von diesem Bild verhalten, begingen Fehler. Sie müssten demgegenüber ihren religiösen Pflichten folgen. Dabei definierte Irans politisches und religiöses Oberhaupt Khamenei die Rolle der Frau als die der Ehefrau und Mutter.
Im iranischen Alltag werden queere Menschen angefeindet, diskriminiert und für krank erklärt. Homosexuelle Paare können nur im Verborgenen leben. In der Islamischen Republik Iran existiert ein islamisches Recht, welches auf der vorgeblich von Gott gesetzten Scharia basiert. Danach können in Iran Homosexuelle verhaftet, ausgepeitscht und sogar hingerichtet werden. Das gilt vor allem für den ,passiven‘ Partner in einer schwulen Beziehung. Bei Lesben kann beiden Partnerinnen die Todesstrafe drohen.
Recht versus Liebe
So verurteilte das Revolutionsgericht in der Stadt Urumia im September 2022 zwei lesbische Frauen mit dem Vorwurf »Korruption auf der Erde« zum Tode: die LGBTIQ-Aktivistin Zahra Sedighi Hamedani, bekannt als Sareh, und Elham Choubdar, beide aus der Provinz West-Azerbaijan. Die staatlichen Medien warfen den Frauen »Förderung von Homosexualität« und »Verschleppung der iranischen Frauen« vor. Sven Lehmann, Queer-Beauftragter der deutschen Bundesregierung, übernahm eine politische Patenschaft für Sareh. Unter dem Druck der internationalen Medien wurden die beiden Verurteilten später gegen Kaution aus der Haft entlassen. Nun postete Sareh im Dezember 2023 auf Instagram einige Bilder von sich in der Stadt Köln.
Die queere Gesellschaft in Iran wird sowohl vom Regime als auch in der Gesellschaft unterdrückt. Es heißt, dass der Westen offensiv Werbung für queere Menschen mache. Das sei eine neue Strategie, um die Menschen von ihrer Bestimmung zu entfremden und sie so zu kontrollieren. Auch innerhalb von sehr vielen Familien wird Queerness nicht toleriert und nonbinäre Genderidentitäten werden totgeschwiegen. Queere Menschen selbst sprechen nur anonym über ihre Probleme. Zu denen gehört es, eine Arbeitsstelle zu finden, wenn sie der Queerness verdächtigt werden. Die meisten müssen ihre Identität auch gegenüber den Familien verheimlichen. Viele werden zwangsverheiratet. Es gibt keine genaue Zahl der Festgenommen und Hingerichteten. Das Regime verurteilt sie mit Vorwürfen wie »uneheliche Beziehungen«, »Förderung der Korruption« oder, wie im Fall von Sareh, der »Verschleppung der Frauen ins Ausland«.
Von der Situation queerer Menschen im Gefängnis berichtet die ehemalige politische Inhaftierte und Menschenaktivistin Atena Daemi. Man habe zum Beispiel eine inhaftierte Frau, die in einer Beziehung mit einer anderen Inhaftierten stand, zur Heirat mit einem Mann gezwungen. Die betroffene Frau musste den Bruder ihrer Freundin heiraten. Die Freundin selbst musste als Augenzeugin an der Hochzeit teilnehmen.
Eine Besonderheit in Iran ist, dass Transgender-Menschen gemäß einem Erlass, einer Fatwa des ersten Revolutionsführers Ayatollah Khomeini, eine Genehmigung zur Geschlechtsumwandlung beantragen können. Das ist für ein muslimisches Land einmalig und ähnelt der Anerkennung des »dritten Geschlechts« der sogenannten Hirjas in Pakistan und einigen südasiatischen Ländern (iz3w 390). Laut dem iranischen Familienschutzgesetz von 2012 muss die Geschlechtsumwandlung bei einem Familiengericht beantragt werden. Dem schließen sich medizinische und psychologische Untersuchungen an. Die Absicht hinter dieser Fatwa ist jedoch, die trans Personen von ihrer ‚Krankheit‘ zu heilen, indem Menschen operativ an die ‚richtige‘ Genderidentität angeglichen werden. Dementsprechend bewerten viele LGBTIQ-Aktivist*innen den Eingriff auch als Zwangsoperation.

Es gibt Beispiele für Geschlechtsumwandlungen, die öffentliche Bekanntheit erlangt haben. Die ehemalige Schauspielerin Shohreh Lorestani und zugleich heutiger trans Schauspieler Maziar Lorestani ließ sich operieren und gab das bekannt. Nun trägt er Bart, hat einen neuen Ausweis und teilt seine Geschichte in den sozialen Medien.
Eine frühe Geschichte der Schwulenehen …
Homosexualität und Liebe zum gleichen Geschlecht haben eine lange Geschichte in der persischen Literatur, von der Antike bis zur Gegenwart. Schon der bekannte persische Dichter und Mystiker Hafez schrieb im Mittelalter Gedichte über die Liebe zwischen Männern. Das Thema ist aber gleichzeitig schon lange ein Tabu in der Gesellschaft. Selbst die Liebe zwischen zwei Männern in der klassischen Literatur wird dann als abstrakte Liebe zu Gott in der Mystik interpretiert.
Viel später und kurz vor dem Regimewandel zur Islamischen Republik Iran fand im Februar 1978 im Commodore Hotel, nahe der ehemaligen US-Botschaft in Teheran, eine erste Gay Marriage statt. Bijan Saffari und sein Freund Sorab Mahvi, beide Architekten beim Teheraner Niavaran-Palastkomplex, heirateten. Die spätere Ehefrau des herrschenden Schahs Pahlavi, Farah Diba, schickte ihre Glückwünsche. Viele andere Prominente nahmen an der Hochzeit teil. Wenngleich die Hochzeit nicht registriert wurde, hat sie angeblich ein Mullah abgenommen. Andere Quellen, etwa die Toghif und Ferdowsi Zeitschrift behaupten gar, dass die erste Gay-Marriage bereits neun Jahre zuvor stattgefunden habe.
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Der Architekt Bijan Saffari war als Maler bekannt und war der Designer des Daneshjoo Parks in Teheran. Bis heute ist der Park ein Treffpunkt für Schwule oder trans Menschen. In breiten Teilen der Bevölkerung stieß so eine gleichgeschlechtliche Ehe auf Ablehnung. Auch in den Dokumenten des SAVAK, des Geheimdienstes vom Schah, wurde gefordert, die Echtheit dieser Ehe zu prüfen. Die Volksmudschahedin und die kommunistische Tudeh-Partei kritisierten die Schwulenehe scharf.

… und eine queere Zukunft?
Shadi Amin ist die bekannteste iranische LGBTIQ-Aktivistin. Sie lebt in Frankfurt offen lesbisch und hielt ihre erste Rede über Homosexualität in Iran 1997 in Berlin. Sie ist die Direktorin des iranischen Lesben- und Transgender-Netzwerks 6Rang*, welches queere Aktivist*innen wie Sareh unterstützt. 6Rang betreibt Aufklärung und teilt auf Instagram Informationen über Queers. Dafür ist sie in den sozialen Medien harten Anfeindungen ausgesetzt.
Aber es gibt eine Gegentendenz. Bei der großen Protestbewegung, nach dem gewaltsamen Tod von Mahsa Amini im September 2022, glühten Hoffnungsfunken für mehr Unterstützung von LGBTIQ-Rechten auf. Dagegen verbrannten im November 2022 Regimeanhänger vor der britischen Botschaft in Teheran Regenbogenfahnen. Sie protestierten gegen die oppositionellen iranischen Medien in England, die eine wichtige Rolle bei den Protesten spielten. Die LGBTIQ-Communitiy forderte in einem offenen Brief an den englischen Prime Minister, dass Teheran zu den verbrannten Regenbogenfahnen Stellung nehmen müsse. Und ein paar Tage später sieht man in Protestvideos Demonstrant*innen in Iran mit Regenbogenfahnen in der Hand.
In einem Manifest*, veröffentlicht im Dezember 2022 und unterzeichnet von 70 LGBTIQ-Aktivist*innen in Iran, Afghanistan und anderen Orten, wird die Änderung der politischen und gesellschaftlichen Situation der Queers in der Gesellschaft gefordert, da sie neben der Geschlechterapartheid schlimmste Diskriminierung erleben. Die aktuelle Revolution in Iran gebe ihnen die Hoffnung für diese Veränderung.
Die heutige junge Generation, die in den sozialen Medien aktiv ist, lässt sich nicht mehr so leicht von der Propaganda des Regimes beeinflussen. Junge Menschen kleiden sich, ob Junge oder Mädchen, oft wie sie wollen. Sie haben weniger Angst vor der Familie oder dem Regime. Für die meisten von ihnen gibt es weniger Tabus als früher. Viele akzeptieren ihre Freund*innen wie sie sind. Die Mahsa-Amini-Bewegung mit ihrer Losung »Frau, Leben, Freiheit« zeigt, wie mutig diese Generation ist, die für sich selbst entscheiden will. So gibt es Hoffnung, dass sich die Situation der Queers zumindest gesellschaftlich verändert, also dass die Gesellschaft queere Personen akzeptiert und als Mitbürger*innen wahrnimmt.