Das LGBTQ Center in Tel Aviv, Israel
Der Neubau des LGBTQ Center in Tel Aviv steht zu Redaktionsschluss kurz vor der Eröffnung | Foto: Guy Yechiely

Widerstandsfähigkeit inmitten der Tragödie

LGBTIQ-Rechte in Israel

In Bezug auf die Rechte von queeren Personen wird Israel immer wieder sogenanntes Pinkwashing*, vorgeworfen. Damit ist gemeint, dass die israelische Regierung sich nur als queerfreundlich darstelle, um Kritik an ihrer Politik bezüglich der Palästinenser*innen abzuwehren. Das wird Kämpfen vor Ort nicht gerecht. Ein persönlicher Kommentar.

19.02.2024
Veröffentlicht im iz3w-Heft 401
Teil des Dossiers Queers in Bewegung

Das verheerende Massaker, das sich am 7. Oktober im Süden Israels ereignete, erschütterte nicht nur das Land in seinen Grundfesten, sondern veränderte auch mein persönliches Leben tiefgreifend: Da meine Familie nur wenige Kilometer von der Grenze zum Gazastreifen entfernt wohnt, traf das Massaker auch mein persönliches Umfeld – mein Schwager und mein Cousin wurden ermordet, als sie versuchten, ihre Familien zu schützen. Nun sind meine Eltern, meine beiden Brüder, meine Schwester und meine 12 Neffen zu Geflüchteten im eigenen Land geworden. Nach diesem schrecklichen Terroranschlag wurde meine bescheidene Wohnung in Tel Aviv, in der ich mit meinem Mann und meinen Kindern wohne, zu einem Zufluchtsort für meine fliehende Familie.

Die Realität jenseits von Pink-Washing

Als queerer Aktivist, der mit Widrigkeiten konfrontiert war, ist es besonders entmutigend, von Gruppen wie Queers for Palestine Vorwürfe über ‚Pinkwashing‘ in Israel zu hören. Die Rechte von LGBTIQ-Personen haben sich in Israel im Laufe der Jahre erheblich gewandelt, vor allem durch bahnbrechende Urteile des Obersten Gerichtshofs und eine lange Tradition von sozialem Aktivismus, Demonstrationen und Nichtregierungsorganisationen, die das gesellschaftliche Gefüge des Landes prägen.

Ende Dezember hat der Oberste Gerichtshof eine weitreichende Entscheidung getroffen, die es gleichgeschlechtlichen Paaren erlaubt, gemäß dem Adoptionsgesetz von 1981 Kinder zu adoptieren. Diese Entscheidung spiegelt nicht nur die Entwicklung unserer Rechte wider, sondern ist auch ein konkreter Schritt zur Anpassung des israelischen Rechts an die modernen Gegebenheiten. In dem Urteil stellt das Gericht fest, dass Kinder in Familien mit zwei Elternteilen adoptiert werden. Diese müssen nicht unbedingt heterosexuelle Paare sein – auch wenn in der ursprünglichen Fassung von »Mann und Frau« die Rede ist. Dieser rechtliche Fortschritt ist nicht nur symbolisch zu verstehen; er ermöglicht uns ein erfülltes Leben, einschließlich des Rechts auf Elternschaft für unser Kinder.

Ich bin 1983 geboren, im selben Jahrzehnt, als Israel das Gesetz zur Kriminalisierung gleichgeschlechtlicher Beziehungen aufhob, und bin sehr stolz auf diese Entwicklungen. Israel ist das einzige Land im Nahen Osten, das zu diesem Zeitpunkt queere Beziehungen entkriminalisiert hat. Dies geschah lange vor ähnlichen Entscheidungen in westlichen Ländern und bis heute bleibt Israel ein sicherer Hafen für die LGBTIQ-Gemeinschaft in der Region.

Die israelische LGBTIQ-Gemeinschaft kann auf eine lange Geschichte zurückblicken und ist ein Leuchtturm der Widerstandsfähigkeit und des Fortschritts inmitten von Herausforderungen. Während westliche Länder mit Wellen des Populismus konfrontiert sind, die die Rechte von Minderheiten bedrohen, steht Israel an vorderster Front und wehrt sich aktiv gegen jeden Rückschritt bei den Fortschritten, die wir erreicht haben. Wir kämpfen weiter. All die gesetzlichen Verbesserungen, die massive zivilgesellschaftliche Beteiligung an Pride Paraden und die zehntausenden LGBTIQ-Familien in ganz Israel als ‚Pinkwashing‘ zu bezeichnen, ist ein grundlegendes Missverständnis unserer Bemühungen, denen so die Authentizität abgesprochen wird.

Wider dem Autoritarismus

Es ist kein Geheimnis, dass die derzeitige rechtskonservative israelische Regierung eine erhebliche Gefahr für die Rechte von LGBTIQ darstellt. Die Absicht, den Obersten Gerichtshof zu untergraben und Gesetze zu erlassen, die unseren Fortschritt möglicherweise zurückwerfen könnten, ist zutiefst besorgniserregend. Diese Rechts- und Rückwärtsbewegung ist ein globales Problem, gegen das Aktivist*innen in der ganzen westlichen Welt ankämpfen. Als Aktivist bin ich der Ansicht, dass unsere Aktionen und unsere Beharrlichkeit im Kampf gegen diese Regierungsmaßnahmen nicht als ‚Pinkwashing‘ betrachtet werden können. Vielmehr sind unsere Kämpfe ein Beispiel dafür, wie Progressive gegen rechte Regierungen wie die unsere, die auch in Europa und den USA an Macht gewinnen, »die Stellung halten« sollten. Ich wünsche mir von meinen progressiven Aktivistenfreund*innen auf der ganzen Welt, dass sie die israelische Regierung nicht benutzen, um unseren Widerstand zu minimieren. LGBTIQ-Rechte stehen in der autoritären Wende als erste unter Beschuss, weshalb unsere Kämpfe zentral sind. Viele westliche Aktivist*innen könnten sich bald in der gleichen Situation wiederfinden, wenn Trump in den USA an die Macht kommt oder wenn sie mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert werden, wie es etwa gerade mit den lesbenfeindlichen Gesetzen der italienischen Regierung unter Georgia Meloni der Fall ist.

Tel Aviv-Jaffa wird immer wieder als die »Gayest City« bezeichnet


Es wäre absurd, die USA als ‚pinkwashed‘ zu bezeichnen, wenn Trump an die Macht käme, und es wäre unfair, Europa aufgrund von Politiker*innen wie Viktor Orbán oder Marine Le Pen als unfrei zu bezeichnen. Das sollte auch für Israel gelten. Die Mehrheit der israelischen Gesellschaft lehnt sich gegen den rechten Backlash auf und die Statistiken sprechen für sich: Jedes Jahr werden uns mehr und mehr Rechte zugestanden, und wir leisten einen starken und lebendigen Widerstand gegen jeden, der versucht, LGBTIQ-Rechte zu beschneiden.

Tel Aviv-Jaffa wird immer wieder als die »Gayest City« bezeichnet und ist ein einzigartiger liberaler Zufluchtsort im Nahen Osten. Strategische Maßnahmen in den letzten Jahren, die eine sektorübergreifende Zusammenarbeit – einschließlich staatlicher Behörden – erfordern, zielen darauf ab, die LGBTIQ-Gemeinschaften landesweit zu unterstützen. Die im Jahr 2021 gestartete Initiative des Ministeriums für soziale Gleichstellung bietet den Kommunen erhebliche staatliche Mittel für die Entwicklung von Aktivitäten und Dienstleistungen für LGBTIQ-Bewohner*innen vor Ort. Diese Initiative stellt sicher, dass LGBTIQ-Personen nicht nur in Tel Aviv-Jaffa, sondern auch in ihren Heimatstädten sicher leben können. Es gibt über 25 neue LGBTIQ-Zentren in ganz Israel, die teilweise von der Regierung finanziert werden, darunter auch ländliche Gebiete und religiöse Städte wie Beit Shemesh.

Wie es weitergeht

Ich bin sehr stolz darauf, sowohl das TLV LGBTIQ Center als auch die Tel Aviv-Jaffa Pride Parade zu leiten. Trotz der Herausforderungen waren die letzten drei Monate darauf ausgerichtet, unserer Gemeinschaft zu zeigen, dass unsere Bemühungen – sei es Demonstrationen für Gleichberechtigung oder Aufklärungsarbeit – weiterhin von entscheidender Bedeutung sind, unabhängig davon, wie sie in Europa und Nordamerika wahrgenommen werden. Wir sind der festen Überzeugung, dass die Gleichberechtigung von LGBTIQ-Personen und Frauen sowie unser Engagement für die Demokratie für den Nahen Osten von entscheidender Bedeutung sind.

Auch in Israel gibt es bezüglich LGBTIQ-Rechten noch viel zu tun. Dabei ist es aber wichtig, zu erkennen, dass der Status unserer Gemeinschaft nicht nur von Gesetzen und Budgets beeinflusst wird. Viele der Erfolge der letzten Jahre sind Ergebnis langer Kämpfe, die von unserer Community getragen wurden. Israel eine ‚Pinkwashing‘-Strategie vorzuwerfen, macht die reale Geschichte eines lebhaften Kampfes um Akzeptanz und Freiheit unsichtbar.

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Bei der Bewältigung der Herausforderungen, die das Jahr 2024 für unser Land mit sich bringt, liegt unser kollektiver Fokus auf der sicheren Rückkehr der Geiseln. Wir setzen uns außerdem für die Rückkehr der Geflüchteten des 7. Oktobers ein und träumen von einem friedlichen palästinensischen Staat, der von seinem Unterdrückungsregime befreit ist.

Es gibt auch Gutes zu berichten: Unser neues, vierstöckiges Zentrum steht kurz vor der Eröffnung. Im Juni findet dann die mit Spannung erwartete Pride Parade statt, ein herausragendes Ereignis in Tel Aviv-Jaffa. Ihre Bedeutung übersteigt die der vergangenen Jahre – sie wird ein wichtiges Fest für Hunderttausende sein, die zusammenkommen, um eine bessere, gerechtere Welt zu fordern.

Ruby Magen leitet das TLV LGBTQ Center in Tel Aviv-Jaffa. Übersetzung aus dem Englischen: Larissa Schober.

Dieser Artikel ist erschienen im iz3w-Heft Nr. 401 Heft bestellen
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