Eine Frau interviewt einen älteren Mann vor jüngeren Menschen.
Kaum mehr vorstellbar: Journalistin im Vor-Taliban-Afghanistan | Foto: knottleslie CC BY-NC-ND 2.0

Ein Hochrisiko-Umfeld

Journalismus unter dem Taliban-Regime

von Shekib Ansari

16.12.2024
Veröffentlicht im iz3w-Heft 406
Teil des Dossiers Kritischer Journalismus

Die Medienlandschaft und der Journalismus in Afghanistan müssen nach dem Zusammenbruch der Islamischen Republik Afghanistan im August 2021 neu definiert werden. Davor arbeiteten die Medien in einem rechtlich geregelten Rahmen und lieferten transparente Informationen. Der investigative Journalismus wurde von Medienhäusern gemeinsam mit internationalen NGOs vorangetrieben. Dabei wurden zahlreiche Fälle von Korruption aufgedeckt.

Doch damit war am 15. August 2021 Schluss. Seit der Machtübernahme der islamistischen Taliban und dem Umbau des Landes zum Islamischen Emirat Afghanistan werden Medien unterdrückt und zu Propaganda-Werkzeugen umgebaut.

Propa­ganda statt Jour­nalismus

Nach Angaben des Afghanistan Journalists Center (AFJC) und des Committee to Protect Journalists (CPJ) haben rund 50 Prozent der lokalen Medien in Afghanistan seit der Machtübernahme durch die Taliban ihre Arbeit eingestellt. Über 60 Prozent der Medienmitarbeiter*innen, darunter fast 2.000 Journalist*innen, sind geflohen oder sie haben ihren Arbeitsplatz verloren. Aufgrund des Drucks durch die Taliban sind einige Medien zu Online-Aktivitäten oder Sendungen aus dem Ausland übergegangen, wie Radio Azadi, BBC Pashto und Agenturen wie Amu, Afghanistan International und andere.

Die verbliebenen Medien erfüllen nicht mehr ihre Aufgabe als Informationsvermittler, sondern sind Teil des Propagandaapparats der Taliban. Die in Afghanistan ansässigen Influencer*innen sind angehalten, nichts als den fundamentalistischen Lebensstil der Taliban zu verbreiten.

Die Taliban nötigen die Fernseh­sender, auf Hör­programme umzu­stellen

Zu den Richtlinien der Taliban gehören etwa das Verbot für Frauen im nationalen Fernsehen zu arbeiten, Beschränkungen für die Berichterstattung über Proteste oder Drogenökonomie. Ende Oktober 2024 setzten die Taliban den Fernsehsendern eine zweimonatige Frist, um auf reine Hörprogramme umzustellen. Sie berufen sich dabei auf das Bilderverbot gemäß ihrer fundamentalistischen Auslegung des Islam. Der Geheimdienst richtete gefälschte Konten ein, um Journalist*innen und Bürger*innen online zu überwachen. In einigen Fällen führte dies schon zu Verhaftungen und Verhören.

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Jede unabhängige Tätigkeit von Journalist*innen in Afghanistan kann zu ihrer Verhaftung und sogar zum Tod führen. Das Land ist zu einem Hochrisikogebiet für Journalist*innen geworden: Bis 2023 wurden laut Human Rights Watch 168 Verletzungen der Rechte von Journalist*innen durch die Taliban registriert, darunter Morde, Verletzungen, Drohungen und Verhaftungen.

Nicht zuletzt die fehlende internationale Aufmerksamkeit – und die Gleichgültigkeit einiger internationaler Organisationen – ermöglicht den Taliban die ungehinderte Unterdrückung von Journalist*innen. Mit dem Abzug der ausländischen Truppen haben die afghanischen Medien außerdem ihre internationalen Geldgeber verloren und sehen sich einer schweren Wirtschaftskrise gegenüber. In der früheren Republik profitierten die Medien von der Unterstützung durch internationale Organisationen, die investigative Projekte und den Zugang zu Fördermitteln unterstützten. Heute erschwert die finanzielle Instabilität die Arbeit von unabhängigen Medien enorm.

Dennoch bleibt die Förderung des (kritischen) Journalismus ein wichtiger Pfeiler des Widerstands gegen das terroristische Regime. Dabei bieten digitale Plattformen und soziale Medien eine schwer zu überwachende Alternative. Insbesondere die jüngere Generation ist bestrebt, die Lebensrealität unter dem Taliban-Regime an die Öffentlichkeit zu bringen. Da viele Afghan*innen Zugang zu sozialen Medien haben, ist das ein wichtiges journalistisches Terrain.

Handlungs­spiel­räume

Eine weitere Ressource ist die afghanische Diaspora in den Nachbarländern (Iran und Pakistan) sowie in Nordamerika und Europa. Professionelle afghanische Journalist*innen, die nach dem Sturz der Regierung geflohen sind, haben Nachrichtennetzwerke außerhalb Afghanistans aufgebaut. Viele exilierte Menschenrechtsaktivist*innen verfügen ebenfalls über den Zugang zur internationalen Öffentlichkeit oder haben teils kleine Informationsnetzwerke, die Verbindungen nach Afghanistan unterhalten. Dies kann Einblicke in die Realitäten vor Ort ermöglichen.

Diese Exilkräfte könnten eine entscheidende Rolle bei der Bildung eines wirksamen Gegen-Narrativs zur Talibanpropaganda spielen. Zum einen braucht es eine Plattform, um sie zusammenzubringen. Zum anderen braucht es die internationale Aufmerksamkeit für die Situation in Afghanistan.

Shekib Ansari ist afghanischer Journalist und arbeitet bei Porsa Media.

Dieser Artikel ist erschienen im iz3w-Heft Nr. 406 Heft bestellen
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