Die Macht zu verwirklichen
Utopisches Denken und die afrobrasilianische Erfahrung
Afrobrasilianer*innen können sich auf ein widerständiges Erbe berufen. Aus der Geschichte der Gemeinschaften entflohener Versklavter schöpften Aktivist*innen feministischer und antirassistischer Bewegungen Kraft und Inspiration. Das hat Ähnlichkeiten mit utopischem Denken, ist aber nicht dasselbe. Was macht das afrobrasilianische Nachdenken über eine bessere Zukunft aus?
Über Utopie nachzudenken, bedeutet für mich, mir die kollektive Geschichte meiner Vorfahr*innen vor Augen zu führen. Eine Geschichte, die von Menschen geprägt ist, die aus ihren Geburtsorten entrissen und brutal auf unhygienischen Schiffen in ein unbekanntes Land gebracht wurden. Dort wurden sie wie Tiere behandelt, um auf Zuckerrohr-, Kaffee- und Sojabohnenplantagen die wirtschaftliche, politische und soziale Macht der westlichen Welt aufzubauen. Gleichzeitig bewegten sich in diesen Menschen Erinnerungen und die Hoffnung auf innere und kollektive Kraft für die Befreiung. Als afrodiasporische Frau frage ich mich: Was waren die Träume meiner Vorfahr*innen? Welche Wünsche und Fantasien hatten sie? Wo wollten sie hin?
Die Sklaverei dauerte in Brasilien etwa 350 Jahre. Während dieser Zeit lebten bis zu fünf Millionen Menschen in der Versklavung. Nach der Abschaffung der Sklaverei 1888 stand ein Großteil von ihnen vor einem neuen Zyklus der Prekarisierung. Unterstützung der Regierung gab es keine. Gleichzeitig wurden die Grenzen Brasiliens für europäische Einwanderer*innen geöffnet. Deutsche Migrant*innen, die sich mit ihren ersten Kolonien im Süden niederließen und Ende des 19. Jahrhunderts mehr als 250.000 zählten, erhielten hingegen Anspruch auf Schiffspassagen, Landzuteilungen und tägliche Beihilfen.
Diese Zustände wirken fort: Meine Herkunftsregion im Nordosten Brasiliens ist Jahrhunderte nach dem En