Als wir Schwäne waren. Ein ausgeschlagener Flügel.

Vom Gefühl der Heimat­losigkeit

Rezensiert von Josephine Haq Khan

10.12.2024
Veröffentlicht im iz3w-Heft 406

Nach seinem gefeierten Debüt »Hund, Wolf, Schakal« folgte mit Als wir Schwäne waren vergangenes Jahr der zweite Roman des iranisch-deutschen Schriftstellers Behzad Karim Khani. Ungeschönt und ohne Pathos erzählt das Buch vom Aufwachsen eines migrantisierten Jugendlichen in den Neunziger-Jahren in Bochum, genauer gesagt in den Plattenbauten am Rande der Stadt. Es finden sich eindeutige Parallelen zwischen dem Ich-Erzähler Reza und dem Leben des Autors. Es ist klar: Da weiß jemand, wovon er schreibt.

Wie die Schwäne in Aserbaidschan hielten sich die Eltern irrtümlicherweise für Zugvögel und emigrierten in den Achtzigern aus dem Iran. Doch bis heute bleibt ihnen Deutschland fremd. Auch dieses Gefühl teilt der Ich-Erzähler mit den Eltern, die wie im REM-Song in der Ecke stehen und in Deutschland, neben ihren Uniabschlüssen, vor allem den Glauben verlieren. Nicht aber ihren Stolz, welcher zu Rezas Stolz wird. Mit diesem begegnet er auch dem Rassismus – ob in der Schule durch die Lehrerin oder den Demütigungen in der Nachbarschaft, welche nicht nur von Nazis ausgehen. Man spürt Rezas Liebe für seine Eltern und seinen Respekt dafür, wie sie sich mit dem Leben arrangieren und dabei auch mal Maiskolben vom Feld klauen. Die meiste Zeit jedoch ist das Lebens als migrantisierte Familie im Ruhrgebiet alles andere als unbeschwert. Wie in Schuhen mit schrägen Sohlen, geht es immer bergauf und nie aufwärts, wie Reza es beschreibt.

Die anderen wichtigen Menschen in Rezas Leben sind seine Nachbarschaftsclique: Jungs, die gerade noch Ninja gespielt haben, bei denen es aber bald buchstäblich ums Überleben geht. Jeder kämpft für sich alleine, Rezas Beziehungen zu ihnen sind deshalb ambivalent. Die Fähigkeit sich abzugrenzen ist in diesem Umfeld essenziell. (Häusliche) Gewalt gehört zur Normalität, ebenso wie Drogen, und auch Reza fängt bald mit dem Dealen an. Die Drogen führen meist über kurz oder – im Fall von Reza – lang in den Knast oder direkt in den Tod. Letzteres Schicksal trifft mehr als einen von Rezas Freunden viel zu früh.

Das Buch ist in kurze Kapitel eingeteilt, die eher fragmenthafte Erinnerungsstücke sind und zusammen eine Geschichte der geistigen und emotionalen Heimatlosigkeit erzählen. Dabei besticht es vor allem durch seinen starken Erzählstil. Reduziert auf das Wesentliche und in einer präzisen und gleichzeitig poetischen Sprache thematisiert Behzad Karim Khani all diese harten Themen. Trotz all dem Schmerz ist »Als wir Schwäne waren« wunderbar zu lesen und viel zu schnell vorbei.

Behzad Karim Khani: Als wir Schwäne waren. Hanser, Berlin, München 2024. 188 Seiten, 22 Euro.

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