Die Bezahlkarte schränkt den Bewegungsradius von Geflüchteten ein
Die Bezahlkarte schränkt den Bewegungsradius von Geflüchteten ein | Foto: Rasande Tyskar

Die digitale Festung

Wie sich Europa techno­logisch abschottet

Unter dem Label der Digitalisierung betreibt die EU ihr fortschreitendes Abschottungsregime. Geflüchtete werden diskursiv als Sicherheitsrisiko eingeordnet und materiell als Objekte neuer Kontrolltechnologien behandelt. So rechtfertigt die EU den Einsatz neuer Überwachungstechnologien, welche Asylsuchende in Europa zunehmend kontrollieren.

von Rahel Lang

06.02.2025
Veröffentlicht im iz3w-Heft 407

Verschärfte Abschieberegeln und das Einstufen von Bürgerkriegsländern als »sichere Herkunftsländer« sind viel beachtete Konsequenzen einer zunehmend repressiven Asylpolitik. Was dabei oft unbeachtet bleibt, ist die Rolle der Digitalisierung und neuer Technologien. Sie haben einen zunehmenden Einfluss auf den Umgang mit Geflüchteten, sie werden in einen unpolitischen Raum verdrängt und als Produkte einer natürlichen Entwicklung dargestellt. Die Verflechtungen zwischen neuen technologischen Entwicklungen und dem zunehmend rechten politischen Klima wird ausgeblendet. Und das, obwohl die Analyse technologischer Anwendungen aufschlussreich sein kann, um staatliche Praktiken zu verstehen.

Die Bezahl­karte in Deutschland

Bislang hatten Asylsuchende in Deutschland gemäß dem Asylbewerberleistungsgesetz Anspruch auf Leistungen in Form von Gutscheinen, Sachleistungen und Bargeldzuschüssen. Das hat sich im Mai vergangenen Jahres mit der Einführung der sogenannten Bezahlkarte geändert. Auf diese Karten wird das Guthaben gebucht, das bisher in bar ausgezahlt wurde. In den meisten Bundesländern wurden Bezahlkarten bis Ende 2024 eingeführt.

Die Körper von Ge­flüchteten werden mithilfe von Bio­metrik kontrolliert und ver­waltet

Diese neue Praxis hat weitreichende Konsequenzen für das Leben Geflüchteter: In der Regel können von der Karte pro Monat nur 50 Euro in bar abgehoben werden und die Karte funktioniert nur regional beschränkt, etwa im Postleitzahlengebiet. Mit der Karte sind derzeit auch keine (Auslands-)Überweisungen möglich, denn schließlich sei das Geld »für das Leben der Flüchtlinge hier«, so die Bundesregierung. Allerdings widerlegt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) die Annahme, Geflüchtete würden ständig Geld über die deutsche Grenze schicken. Tatsächlich überweisen nur sieben Prozent aller Geflüchteten Geld ins Ausland.

»Die Bezahlkarte drängt Menschen unter das im Grundgesetz garantierte Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum«, sagt Verena Schneider von der Initiative Bezahlkarte stoppen. Das liege an dem zu niedrigen Barbetrag, mit dem bestimmte Bedürfnisse, etwa die soziokulturelle Teilhabe, nicht befriedigt werden können. »Die Bezahlkarte beschränkt die Autonomie der Leistungsberechtigten und deren Recht, selbstbestimmt über die zur Existenzsicherung benötigten Mittel zu verfügen«, sagt Schneider.

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Auch datenschutzrechtliche Bedenken werden laut. So müssen die Leistungsempfänger*innen eine App auf ihr Handy laden, welche Standortdaten erfasst und Daten an Dritte, wie den Tech-Konzern Meta, weitergibt. Es besteht die Gefahr, dass Behörden die Kartenumsätze einsehen. So plant Bayern, die Transaktionen zu überwachen. All das ist juristisch höchst fragwürdig. Möglich gemacht hat das die Ampel-Regierung. Das zeigt, dass migrationsfeindliche Politik auch ohne die AfD seitens liberaler Parteien stattfindet und mit digitalen Mitteln smart umgesetzt wird.

Die doppelte Logik des »Migrations­managements«

Die bisherigen Bargeldauszahlungen an Geflüchtete folgten einer marktliberalen Logik, die hierbei keinen direkten staatlichen Einfluss auf Menschen ausübt. Bis in die frühen 2000er-Jahre hat die Politik Anreize gesetzt, um ‚erwünschte‘ Migrant*innen zur Integration zu verhelfen, während sie gleichzeitig Maßnahmen getroffen hat, um ‚irreguläre Migration‘ zu verhindern. Zentral ist dabei die Annahme einer selbstregulierenden Natürlichkeit sozialer Phänomene – etwa den Migrationsströmen. Die marktliberale Migrationspolitik setzt auf eine Selbstverwaltung der Individuen und folgte der ökonomischen Motivation, Migrant*innen in Deutschland zu integrieren und sie gleichzeitig in einem ausbeutbaren Zustand zu halten.

Die Einführung der Bezahlkarte und weitere Verschärfungen in der Migrationspolitik widersprechen dieser Logik. Das sogenannte »Migrationsmanagement« führt weg vom neoliberalen Prinzip und hin zu ,souveränen’ Machtstrukturen. Der Markt- und Neoliberalismus wendet sich auch innerhalb der Asylpolitik zu einer neuen autoritären Form des Regierens. Das kennzeichnet sich durch die Stärkung des Nationalstaates, einer starken Führung, die Stabilität verspricht, und zusätzlichen Praktiken der Exklusion. Die andauernde Rechtsentwicklung prägt diese moderne Form der Souveränität aus, indem sie die nationale Identität, Autonomie und Kontrolle betont. Als grundlegende Frage der Sicherheit in einer globalisierten Welt gilt nun, wer zur Bevölkerung gehört und wer nicht. Das ergibt eine rassistische Unterscheidung zwischen denen, die Subjekte von Sicherheit sein können und solchen, die die Sicherheit bedrohen würden. Dabei werden Asylsuchende als Gefahr der nationalen Sicherheit konstruiert. Diese Darstellung dient dazu, machtpolitische Praktiken der ‚Souveränität‘ zu legitimieren.

Daten-Kolonialismus

So ist die Bezahlkarte ein Instrument, um Geflüchtete zu kontrollieren. Des Weiteren sollen sogenannte Pull-Faktoren verringert werden, was bedeutet, dass das Leben der Asylsuchenden in Deutschland möglichst unerträglich gestaltet werden soll. Die harte Asylpolitik arbeitet also gegen die Integration der Asylsuchenden und rückt deren potenzielle Rolle als gesuchte Arbeitskräfte in den Hintergrund. Das Ziel scheint darin zu liegen, Geflüchtete von vorneherein aus der deutschen Gesellschaft und Wirtschaft auszuschließen – eben, weil sie als Bedrohung konstruiert werden. Asylsuchende werden zu Menschen zweiter Klasse. Oder um es mit den Worten der Philosophinnen Katrin Meyer und Patricia Purtschert zu sagen: »Sie sind nicht Subjekte von Rechtsansprüchen, sondern Objekte der Verwaltung.« Sie werden beim Bezahlen mit der Karte sofort als Geflüchtete erkannt. Eine Person berichtet in der taz über ihre Erfahrung mit der Bezahlkarte: »Selbst, wenn wir mit der Karte überall einkaufen könnten, fühlt es sich an, als wären wir keine echten Menschen.«

Die Juristin Petra Molnar stellt wiederum die These auf, dass sich Staaten gerade deshalb schwer mit der Regulierung von Technologien tun, weil sie einen Vorteil von solchen technischen Experimenten haben. Geflüchtete gelten dann als Testobjekte für neue Technologien, was mit dem Vorwand der nationalen Sicherheit gerechtfertigt wird. Und die Digitalisierung der Migrationskontrolle ist nicht auf die Bezahlkarte begrenzt.

Die Körper von Geflüchteten werden mithilfe von Biometrik kontrolliert und verwaltet. Die Feststellung der Identität erfolgt durch neue Technologien, unter anderem biometrische Iris-Scanner. Einen solchen stellt das britische Unternehmen IrisGuard beispielsweise Jordanien zur Verfügung. Wenn dort eine Person aus dem jordanischen Flüchtlingslager al-Azraq Lebensmittel im Supermarkt kaufen möchte, erfasst die Technologie ihre Iris und gleicht die biometrischen Daten mit einer Datenbank ab. Dann zieht sie den Betrag für die Lebensmittel von einem verfügbaren Guthaben ab. Die Augen der Geflüchteten sind ihre Bezahlkarte. Solche Datenerhebungen sind keineswegs unpolitisch. Datenschutzexpert*innen warnen vor einem Daten-Kolonialismus, bei dem mächtige Akteure des Globalen Nordens große Mengen an Informationen über vulnerable Gruppen und Menschen im Globalen Süden ohne deren Zustimmung sammeln und verwerten. Dahinter steht die Absicht, sich Macht und wirtschaftliche Vorteile zu sichern, was globale Ungleichheiten verstärkt. Die Migrationsdaten können zu politischen Zwecken instrumentalisiert werden, um härtere Maßnahmen zu rechtfertigen – selbst wenn damit internationales Recht verletzt wird. Europäische Länder exportieren neue Technologien auch in Drittländer, um bereits dort die Migrationsströme zu stoppen.

Die automa­tisierte Festung Europa

Die Sicherheitsdoktrin dieses Migrationsmanagements spiegelt sich an den EU-Außengrenzen wieder, die mit Überwachungstechnologien zu Smart Borders (intelligenten Grenzen) ausgestattet werden. Zu den Technologien gehören neben Drohnen und digitalen Beobachtungssystemen auch KI-Systeme, Algorithmen und automatische Fahrzeuge, die als Roboter-Schwärme die EU-Grenze überwachen sollen. Mit biometrischen Erkennungssystemen wie iBorderCtrl werden die Emotionen der Asylsuchenden analysiert, und es wird damit automatisch deren Vertrauenswürdigkeit bewertet.

So wird die Überwachungstechnologie ANDROMEDA bereits vom griechischen Grenzschutz genutzt. Das von der EU-Kommission finanzierte Projekt ist ein riesiges Netzwerk aus Kameras, KI-Systemen und Technologien an Land und auf dem Meer, mit dem »abnormale Verhaltensweisen« automatisch erkannt und so ‚irreguläre Migration‘ gestoppt werden soll. Der stellvertretende Geschäftsführer von Frontex, Uku Särekanno, sagt dazu in einem Interview: »Wir untersuchen, wie wir in den nächsten fünf bis zehn Jahren mehr automatisierte Grenzübertritte und ein nahtloseres Reiseerlebnis haben können.« Die Digitalisierung der Migrationspolitik ist also weit mehr als ein technischer Fortschritt – sie ist ein politisches Instrument, das über Grundrechte entscheidet und bestehende Machtverhältnisse festigt.

Rahel Lang ist Journalistin und studiert Liberal Arts and Sciences in Freiburg. Sie beschäftigt sich mit gesellschaftlichen Fragen rund um den Einsatz von Neuen Technologien – insbesondere im Kontext des erstarkenden Rechtspopulismus.

Dieser Artikel ist erschienen im iz3w-Heft Nr. 407 Heft bestellen
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