Gezeichnetes Bild von Beatriz Nascimento auf einem Stuhl.
Beatriz Nascimento vor dem Logo der von ihr gegründeten Arbeitsgruppe André Rebouças | Illustration: Roberta Nunes

»Geschrieben von Schwarzen Händen«

Ein Porträt der afro­brasilianischen Historikerin, Dichterin, Drehbuch­autorin und Aktivistin Beatriz Nascimento

von Betânia Ramos-Schröder

18.12.2024
Veröffentlicht im iz3w-Heft 406

Am 28. Januar jährt sich der Todestag von Beatriz Nascimento zum dreißigsten Mal. In den 1970er- und 80er-Jahren war sie eine wichtige Figur in der Schwarzen Bewegung Brasiliens.

1942 wird sie als achtes von zehn Kindern in Aracaju geboren, einer Großstadt, die an der Flussmündung des Sergipe an der brasilianischen Atlantikküste liegt. Ihre Eltern Rubina und Fernando Xavier sind Hausfrau und Maurer. Als Siebenjährige zieht sie mit ihrer Familie in die 1.900 Kilometer südlich gelegene Hauptstadt Rio de Janeiro. Im Jahr 1968 schreibt sich Nascimento dort an der Bundesuniversität ein. Ihr Fach: Geschichte. Später wird Nascimento als Geschichtslehrerin arbeiten.

Es ist die Zeit der Militärdiktatur in Brasilien, die von 1964 bis 1985 andauert. An der Universidade Federal Fluminense gründet Nascimento die Arbeitsgruppe André Rebouças, benannt nach dem afrobrasilianischen Ingenieur und Abolitionisten im 19. Jahrhunderts. Ihre Mission: Bildung zu afrobrasilianischer Geschichte und Identität. Die aktivistisch-akademische Gruppe veranstaltete Events außerhalb der Universität und wird zu einem wichtigen Forum der Schwarzen Bewegung.

Quilombos symbolisieren Widerstand und Selbstbestimmung

Als Wissenschaftlerin wie als Lehrende setzt sie sich für eine Geschichtsschreibung ein, die auf Freiheit statt auf Gefangenschaft basiert – »uma história feita por mãos negras« (dt. eine Geschichte, geschrieben von Schwarzen Händen), wie auch eine Sammlung ihrer Schriften heißt. Eine wichtige Rolle in dieser Geschichte spielen die Quilombos: Siedlungen von aus der Sklaverei Entflohenen. Für Nascimento sind diese mehr als Zufluchtsorte. Sie symbolisieren Widerstand und Selbstbestimmung. Als Gemeinschaften repräsentieren sie eine afrobrasilianische Geschichte, die von Freiheit und Solidarität geprägt ist. Einige Quilombos existieren bis heute. Ihnen widmet sie 1981 ihre Abschlussarbeit mit dem Titel »Alternative Systeme, die von Schwarzen organisiert wurden: Von den Quilombos zu den Favelas«.

Ein zentrales Element in Nascimentos Werk ist das Konzept der afro-atlantischen Erinnerung – ein kollektives Gedächtnis, das über den Atlantik hinweg die Verbindung zwischen Afrika und der afrobrasilianischen Diaspora lebendig hält. Ein weiterer wichtiger Meilenstein in ihrem Werk ist die Zusammenarbeit mit der Filmemacherin Raquel Gerber für den Dokumentarfilm »Ôri« (1989). »Ôri«, ein Wort aus der Yoruba-Sprache, bedeutet »Kopf« oder »Bewusstsein«. Die afrobrasilianische Erinnerung ist hier »der Inhalt eines Kontinents, seines Lebens, seiner Geschichte. Als ob der Körper ein Dokument wäre. Es ist kein Wunder, dass der Tanz für die Schwarzen eine Grundlage der Befreiung ist. Der Schwarze kann erst dann wirklich befreit werden, wenn er seine Gefangenschaft vergisst, wenn er in der Geste vergisst, dass er kein Gefangener mehr ist.« Nascimento leistet in dieser Zeit Pionierarbeit bei der Erforschung der Schwarzen Identität und stellt die traditionelle Geschichtsschreibung infrage, indem sie den Fokus auf die widerständigen Praktiken der afrikanischen Diaspora lenkt.

Tragischerweise wird ihr Leben durch einen Femizid 1995 viel zu früh beendet. Beim Versuch einer Freundin zu helfen, um aus einer gewaltvollen Beziehung zu entkommen, wird sie von deren Peiniger ermordet.

Doch ihr Vermächtnis lebt weiter: Ihre Tochter Betânia Nascimento, gründete die »Beatriz Nascimento Foundation« um das Erbe ihrer Mutter zu bewahren. Der Anthropologe Alex Ratts gibt ihre Texte heraus. In Deutschland stößt Beatriz Nascimentos Denken auf vielfältige Resonanz, insbesondere in der Literatur und im Aktivismus afrobrasilianischer Frauen*. Ihre Ideen werden im Band »Migrantischer Feminismus in der Frauenbewegung (1985–2000)« aufgenommen. Darin werden ihre Perspektiven mit Toni Morrisons Konzept der Rememory verknüpft – ein Ansatz, der Einblicke in die Selbstorganisation migrantischer Frauen und ihren Kampf gegen Rassismus in der Bundesrepublik gewährt. Und es gibt hierzulande auch einen Ort, an dem das Schaffen Nascimentos weiterlebt: der Raum Quilombo Allee in Berlin, den die Aktivistin Sandra Bello schuf, dient der Erinnerung und dem Austausch über die afrobrasilianische Erfahrung.

Betânia Ramos-Schröder ist afrobrasilianische Feministin und Soziologin und lebt in Frankfurt.

Literaturverweise:

Beatriz Nascimento, Alex Ratts (Hg.): Uma História Feita por Mãos Negras, Zahar. Rio de Janeiro, 2021

Beatriz Nascimento, Alex Ratts (Hg.): O Negro Visto por Ele Mesmo: Ensaios, Entrevistas e Prosa. São Paulo, Ubu Editora, 2022

Encarnación Gutiérrez Rodríguez und Pinar Tuzcu: Migrantischer Feminismus in der Frauenbewegung (1985–2000). Münster, edition assemblage, 2021

Dieser Artikel ist erschienen im iz3w-Heft Nr. 406 Heft bestellen
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