Große steinerne Elefantenstatue in einem Park, 1931 als »Reichskolonial-Ehrenmal« erbaut, 1989 zum Antikolonialdenkmal umgewidmet
1931 als »Reichskolonial-Ehrenmal« erbaut, 1989 zum Antikolonialdenkmal umgewidmet | Foto: Johanna Riemenschneider

»Die gebaute Umwelt ist wichtig«

Interview über Kolonial­ismus und Auf­arbeitung in Bremen

Die Nationalsozialisten haben Bremen »Stadt der Kolonien« getauft. Dieses Jahr erschien ein gleichnamiger Sammelband, der die 500-jährige Kolonialgeschichte der Stadt aufarbeitet. Die iz3w sprach mit den Herausgebenden Virginie Kamche vom Afrika Netzwerk Bremen e.V. und dem Historiker Norman Aselmeyer.

Das Interview führte Johanna Riemenschneider

16.12.2024
Veröffentlicht im iz3w-Heft 406

iz3w: Welche Orte in Bremen sind heute noch besonders deutlich vom Kolonialismus geprägt und in welcher Form zeigt sich das?

Norman Aselmeyer: Es gibt zum Beispiel das Übersee-Museum. Die dortige Sammlung stammt teils aus der Kolonialzeit. Der Gründungsdirektor Hugo Schauinsland brachte damals von seinen »Reisen« das mit, was anschließend ausgestellt wurde. Das Museum bemüht sich heute darum, die Länder und Kulturen außerhalb kolonialer Etiketten darzustellen. Aber in manchen Bereichen behält das Überseemuseum koloniale Konturen.

Virginie Kamche: Ich denke an die Elefanten-Statue, auch weil wir dort jährlich am 11. August eine Gedenkveranstaltung für die Opfer des Völkermords in Namibia abhalten. Wichtig ist aber auch das Wandmosaik im Hauptbahnhof, an dem täglich Tausende Menschen vorbeigehen. Darauf wird der Anbau von Tabak in den europäischen Kolonien, der oft von Versklavten durchgeführt wurde, als ganz ’normale’ Arbeit dargestellt und somit romantisiert. Es wird überhaupt kein Kontext gegeben. Das sind eigentlich genau die Bilder, die so heute nicht mehr gezeigt werden sollten, weil sie Menschen auch unbewusst prägen und Machtverhältnisse reproduzieren.

Warum hat Bremen eine übergeordnete Rolle bei den kolonialen Bestrebungen gespielt?

Mit dem Ende des Kolonia­lismus entwickelte sich Bremen zur Hauptstadt der Kolonial­revisionisten

N. A.: Als Handels- und Hafenstädte gelten Bremen und Hamburg als Triebkräfte des deutschen Kolonialismus. Angetrieben vom wirtschaftlichen Interesse ging von dort der Druck aus, deutsche Kolonien zu erwerben. Ganz plastisch kann man das an Adolf Lüderitz zeigen, der aus Bremen kam und durch den »Meilenschwindel« der Begründer von Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, wurde. Und mit dem Ende des Kolonialismus entwickelte sich Bremen zur informellen Hauptstadt der Kolonialrevisionisten. Sie hatten den Traum ausgehend von Bremen als »Stadt der Kolonien«, ein neues Kolonialreich während des Dritten Reichs zu begründen. Zentrale kolonialrevisionistische Institutionen und Einrichtungen stammen genau aus den 1930er- und 40er-Jahren.

Wie hat Bremen sich mit seiner kolonialen und kolonial­revisionistischen Vergangenheit auseinandergesetzt?

N.A.: Die Frage wird eigentlich damit beantwortet, dass das Bahnhofs-Mosaik erst in den 1950er-Jahren entstanden ist. Zu dieser Zeit sah man für eine kritische Aufarbeitung keine Notwendigkeit, im Gegenteil. Es gibt sogar Quellen aus den 1950er Jahren, die belegen, dass es in der Bremer Handelskammer das Bestreben gab, erneut in den ehemaligen Kolonien aktiv zu werden. Die Auseinandersetzung mit der Kolonialgeschichte begann eigentlich erst ab den 1970er-Jahren, als sich aktivistische Gruppen dem Thema annahmen. Besonders deutlich wurde dieses Engagement in der Diskussion um die Lüderitzstraße und in der Vielfalt der beteiligten Initiativen damals, darunter das Bremer Afrika Archiv. Vor allem aber haben Gruppen afrikanischer Studierender der Universität Bremen, die heute fast vergessen sind, das Thema vorangetrieben.

Die baulichen Zeugnisse kolonialer Vergangenheit in der Umgebung von Bremen erwecken den Eindruck, als gäbe es bisher kaum eine koloniale Aufarbeitung. Auch die Lüderitzstraße gibt es noch. Was bedeutet das für Schwarze Menschen und People of Colour in Bremen?

V.K.: Die gebaute Umwelt spielt eine wichtige Rolle. Der »Elefant« beispielsweise ist groß, wirkt mächtig und verkörpert Bremens Anspruch im Kolonialismus. Er symbolisiert auch in den 2020er-Jahren noch die weiße Dominanzgesellschaft. Bewusst oder unbewusst internalisieren wir das alle. Es reproduziert die diskriminierende Erfahrung: Die weiße Person steht über mir. Betroffene fühlen sich klein gehalten. Für sie hängen die Konsequenzen des Kolonialismus in den Denkmustern eng zusammen mit den Erfahrungen von Diskriminierung, Ausschluss bei der Jobsuche, Wohnungssuche und anderen Lebensbereichen. Einseitige Bilder und Narrative müssen nicht nur gestoppt werden. Auch die transportierten Bilder müssen verändert werden.

Wo liegen die Hürden bei der Aufar­beitung? Was müsste geschehen, um hier wirklich etwas zu erreichen?

V.K.: Es bräuchte mehr Sensibilität und Bildung, auch bezüglich der Auswirkungen auf Betroffene. Meine Arbeit will dieses Bewusstsein schärfen. Die Herausforderung liegt in den Machtstrukturen und der dominanten Gruppe, die versucht ihre Position zu bewahren. Menschen, die betroffen sind, haben einfach nicht die Macht um gegen diese Strukturen vorzugehen. Viele konzentrieren sich darauf, ihr eigenes Leben zu verbessern und haben nicht die Kraft, zusätzlich gegen diese Ungerechtigkeiten anzukämpfen. Natürlich gibt es Gruppen, die sich solidarisieren. Die Herausforderung besteht allerdings darin, dass in der Dominanzgesellschaft der Wille zur tiefgreifenden Veränderung fehlt.

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N.A.: Auch unsere Buchveröffentlichung hatte das Ziel, mittels zugänglicher und kurzer Texte eine breitere Sensibilisierung zu erreichen. Das Thema Kolonialismus ist nicht in den schulischen Bildungsplänen in Bremen vorgesehen. Auch in der Kommunalpolitik zeigt sich oft ein mangelndes historisches Bewusstsein. Interessanterweise wurde die Karl-Peters-Straße in Bremen-Walle schlicht einem anderen Karl Peters gewidmet, um die Umbenennung zu vermeiden. Politische Ignoranz ist weit verbreitet. Es heißt immer, Deutschland sei die kürzeste Kolonialmacht der Welt gewesen. Das verkennt aber die mehr als 500-jährige Verstrickung Bremens in den europäischen Kolonialismus. Das Ausmaß dieser jahrhundertelangen kolonialen Dominanz und Gewalt wird unterschätzt. Nun überlässt man das Thema den aktivistischen Menschen und Gruppen.

Wie müsste heute mit diesen Orten umgegangen werden? Der Elefant wurde ja einfach als Gedenkort und anti­koloniales Denkmal umdefiniert.

V.K: Ich denke, was geschehen ist, ist geschehen. Man muss die Geschichte kennen, um die Zukunft besser zu gestalten. Die Leute müssen wirklich erfahren, was dort symbolisiert wird. Ich halte es für wichtig, dass kontextualisiert, aber eben nicht reproduziert wird.

N.A: Bauten wie der »Elefant« verlieren ihre koloniale Symbolik nicht nur, weil man ihnen plötzlich ein antikoloniales Etikett anhängt. Gleiches gilt für Denkmäler wie jene von Reichskanzler Bismarck, die es auch in anderen Städten gibt. Informationsschilder anzubringen, reicht nicht. Es braucht einen aktiveren und kreativeren Umgang. Und Namen wie Lüderitz sollten einfach nicht im Stadtbild präsent sein. Wenn man heute Menschen fragt, ob sie in Straßen wohnen möchten, die etwa nach Kriegsverbrechern benannt sind, würde das auf Ablehnung stoßen – es will ja auch niemand in einer Putin-Straße wohnen.

V.K.: Ich finde das wichtig, aber aus meiner Sicht scheint so ein kreativer Ansatz aktuell kaum denkbar. Die Gesellschaft ist noch nicht bereit dazu. Im Gegenteil.

N.A.: Ja, es werden gerade auch besorgniserregende Rückschritte bei der Aufarbeitung des Kolonialismus gemacht, etwa durch Kürzungen staatlicher Fördermittel. Die Vernachlässigung des Themas spiegelt eine ernsthafte Geringschätzung wider. Aber ich bin überzeugt, dass der Druck zur intensiveren Auseinandersetzung bestehen bleibt. Angenommen, das Thema würde als wichtig angesehen, dann ginge es bei der politischen Unterstützung nicht nur um Geld, sondern auch um eine Art Vertrauensvorschuss. Das kann enorme Kräfte freisetzen in einer Stadt und vor allem bei den aktiven Gruppen, da sie sich dann bestärkt fühlen können.

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Angenommen, Sie wären nicht limitiert durch fehlende politische Gelder und Unterstützung, was wäre für die Aufar­beitung des kolonialen Erbes zu tun?

V.K.: Man muss das Thema Kolonialismus und dessen Auswirkungen im Bildungssystem verankern. Ob sich etwas ändert, liegt heutzutage an jedem einzelnen Menschen. Letztlich gestaltet jeder Mensch durch sein Handeln die Politik mit. Deshalb liegt es in der Verantwortung jedes Individuums, sich dieser Rolle bewusst zu sein.

N.A.: Es gibt so viele Sachen, die man machen müsste – auch in der Forschung. Meine Kolleg*innen sagen, unsere Aufgabe liege darin, all das in die Öffentlichkeit zu tragen, was wir bereits wissen. Das ist richtig. Aber es gibt immer noch so vieles, das wir nicht wissen. Beispielsweise welche Firmen in welchem Umfang vom Kolonialismus profitiert haben oder was der Kolonialismus vor Ort in den betreffenden Gemeinschaften angerichtet hat. Man müsste auch die Geschichte jener Menschen dokumentieren, die aus den Kolonien nach Deutschland kamen. Black German History ist immer noch ein Nischenfeld.

V.K.: Da muss man auch global denken. Wir lernen diese Geschichte bis heute aus der europäischen Perspektive. Daher finde ich den Ansatz spannend, den Forschungsschwerpunkt weg von Europa und hin zu den betroffenen Orten und Menschen zu verschieben.

Das Interview führte Johanna Riemenschneider.

Dieser Artikel ist erschienen im iz3w-Heft Nr. 406 Heft bestellen
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