Befreiung
Vor 80 Jahren war die Welt von einem umfassenden Konflikt erschüttert. Viele Menschen und alle Kontinente waren in den Zweiten Weltkrieg involviert. Sein Zentrum hieß Deutschland. Die Nationalsozialisten hatten den Weltkrieg am 1. September 1939 mit dem Überfall auf Polen begonnen, und schließlich über Europa nach Asien, Ozeanien, Afrika und die Amerikas ausgeweitet. Dabei fanden die Deutschen, weit über die zentralen Achsenmächte Italien und Japan hinaus, Kollaborateure (iz3w 392). Apropos international: Genau genommen hatte dieser Zweite Weltkrieg schon mit dem italienischen Abessinienkrieg 1935 in Äthiopien/Eritrea und mit dem Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieg ab 1937 begonnen. Noch eine nötige Präzisierung: Weit größer als die Zahl der Verbündeten der Nazis war die Zahl derjenigen, die sich ihnen auf Seiten der Alliierten aus aller Welt entgegenstellten.
Während der Produktionsphase dieses Heftes vor genau 80 Jahren rückten die Alliierten über die zweite Front im Westen ab der Normandie an die deutsche Grenze vor. Kurz vor Beginn der Satzphase Ende November nahmen sie Straßburg im Elsass ein, in der Satzphase selbst wurde etwa das südbadische Städtchen Freiburg mit einem sehr ausgiebigen Flächenbombardement belegt. Im Osten eroberte die Rote Armee die letzten Gebiete der Sowjetunion zurück. Bemerkenswert ist zum einen, wie die Deutschen diesen offensichtlich verlorenen Krieg und ihr Terrorregime über Monate weiter verbissen verteidigten. Und bemerkenswert sind die immensen Opferzahlen, die das deutsche NS-Regime verursacht hat: die 65 Millionen Kriegstoten und der Zivilisationsbruch des Holocaust. Bemerkenswert ist außerdem, dass dieser Krieg tatsächlich ein Weltkrieg war, der auch weit abseits der zwei oben genannten Fronten tobte.
So waren Zehntausende afrikanische Soldaten am Vormarsch der Alliierten ab der südfranzösischen Küste beteiligt. Japans Vernichtungskrieg gegen China setzte sich im Jahr 1945 immer weiter fort. Nach Schätzungen chinesischer Historiker*innen kamen dabei 21 Millionen Menschen ums Leben. Und während Deutschland am 8. Mai 1945 kapitulieren musste, konnten die US-amerikanischen Streitkräfte Japan erst im August 1945 mit den Atombombenabwürfen über Hiroshima und Nagasaki zur Kapitulation zwingen. Noch im fernen Ozeanien erlitten die Menschen auf den Inseln 1944/45 Bombardements seitens der japanischen Besatzung. Und der unselige palästinensische Nazi-Kollaborateur Amin el-Husseini schrieb 1944 einen Brief an Heinrich Himmler. Husseini, Großmufti von Jerusalem, beschwerte sich, dass die Deutschen einige jüdische Gefangene in Richtung Palästina freiließen, um deutsche Kriegsgefangene aus Ägypten auszutauschen.
Zehntausende afrikanische Soldaten waren am Vormarsch der Alliierten ab der südfranzösischen Küste beteiligt.
Der Zweite Weltkrieg treibt uns im iz3w nicht nur wegen des Jubiläums um, sondern weil wir für Anfang 2025 ein Dossier darüber vorbereiten. Unsere Freund*innen von »Recherche International« arbeiten zurzeit an einer großen Ausstellung und Veranstaltungsreihe zu diesem Thema. Es knüpft an die vergangene Ausstellung »Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg« an. Zusammen erstellen wir ein Dossier, und im nächsten Jahr werden vor allem in Köln, aber auch in Freiburg und anderen Städten, verschiedene Veranstaltungen dazu stattfinden. Schon jetzt bringen wir eine Dokumentation vergangener iz3w-Artikel zu diesem Thema heraus: »Reader mit Artikeln der Zeitschrift iz3w aus den Jahren 2005-2025«. Der Reader wird begleitend in der Ausstellung beiliegen und er kann als PDF auch über unsere Webseite bestellt werden.
Vor 80 Jahren war die Welt eine andere. Das Deutsche Historische Museum veröffentlicht einen Tagebucheintrag aus der Freiburger Region in Zeiten des erwähnten Luftangriffs auf Freiburg: »Am nächsten Spätnachmittag (…) verbreitete sich in Windeseile die Nachricht im Lazarett: ‚Die Marokkaner kommen!‘« Der Tagebucheintrag (geschrieben 2008) lässt eine Einordnung folgen: »Angst machte sich breit. Es gingen schlimme Gerüchte um. Die Nazi-Propaganda hatte dafür im Vorfeld gesorgt.«
Wir sind im iz3w also schon mittendrin im folgenden Heft, in einer Reflexion, wie Deutschland als Terrorregime in die Welt und die Welt als Befreierin nach Deutschland kam, vor 80 Jahren.
die redaktion,19.12.2024
PS: Das aktuelle Heft heißt »Totz alledem - Kritischer Journalismus«. Der kritische Journalismus hat, wie hinten zu lesen ist, ein paar mehr Probleme als er verdient! Damit erinnern wir zur Jahreswende und zu Weihnachten auch an uns selbst: Wir schauen besorgt auf unsere Jahresbilanz.
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