
Die Taten der Anderen
Der Opfernationalismus am Beispiel der ehemaligen Sowjetunion
In den Nachfolgestaaten der Sowjetunion werden einzelne Ereignisse in der eigenen Nationalgeschichte als Genozide begriffen. So erzählen junge Staaten ihre Nationalgeschichte als Opfergeschichte. Der Tatbestand des Genozids bietet dafür einige Anknüpfungspunkte.
Am 18. April 2024 übergaben Anwält*innen der in Kalifornien ansässigen NGO Center for Truth and Justice (CFTJ) dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ein Dossier. Darin dokumentierten sie die seit 2016 ausgeübte Gewalt aserbaidschanischer Streitkräfte gegen Armenier*innen in der Grenzregion beider Länder, speziell auf dem Territorium Bergkarabachs. Das CFTJ wurde nach dem Krieg Aserbaidschans gegen die international nicht anerkannte Republik Arzach (Bergkarabach) im September 2023 gegründet. Der Krieg endete mit deren vollständiger Niederlage und der Vertreibung der dortigen Bevölkerung nach Armenien. Das CFTJ sichert Beweise für Verbrechen Aserbaidschans, um diese für juristische und wissenschaftliche Zwecke nutzbar zu machen. Die an den Strafgerichtshof übergebene Dokumentation trägt den Titel »Planung, Anstiftung, Anordnung, Anleitung und Umsetzung eines Genozides durch [Aserbaidschans] Präsident Ilham Aliyev und andere hochrangige Staatsvertreter«.
Wenige Tage später äußerte sich aber auch der stellvertretende aserbaidschanische Außenminister Elnur Mammadov angesichts eines aktuell laufenden Verfahrens Aserbaidschans gegen Armenien vor dem Internationalen Gerichtshof. Mammadov erklärte, dass seine Nation alles tun werde, um Armenien für die Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen, die während der Besetzung Karabachs seit 1991 begangen wurden, einschließlich der Genozidverbrechen. Er bezog sich dabei auf Massenmorde an Aserbaidschaner*innen während des Kriegs um Bergkarabach Anfang der 1990er-Jahre. We