Plädoyer gegen die Gleichgültigkeit
Rezensiert von Henriette Seydel
28.10.2024
Veröffentlicht im iz3w-Heft 405
Mit der Unterteilung der Bewohner*innen Ruandas in Twa, Hutu und Tutsi bereiteten die deutschen, später die belgischen Kolonialherren den geistigen Nährboden für den Völkermord von 1994. Diese Einteilung und die damit verbundene Idee von Über- und Unterlegenheit waren aber keinesfalls die monokausale Ursache. Der Genozid an den Tutsi Ruandas. Von den kolonialen Ursprüngen bis in die Gegenwart ist für die Germanistin und Kulturwissenschaftlerin Anne D. Peiter nach dreißig Jahren der Fokus ihres Rückblicks. Sie beleuchtet eindringlich und anhand zahlreicher Literatur- und Fotobeispiele die ideologischen Mechanismen, politischen Zusammenhänge sowie das europäische Schweigen zum Genozid.
Die unterdrückten Hutus stellten Ende der 1950er-Jahre Forderungen nach Gleichstellung, drehten die Rollen aber um und klassifizierten nun Tutsi als das rassisch Andere, Fremde, Minderwertige. Bald verselbständigten sich Angst, Hass und Rassismus zu ideologisch legitimierter Gewalt, die 1994 in den Tutsizid gipfelte. Tutsi, sowie Verwandte und Verbündete wurden von ihren eigenen Landsleuten verhöhnt, verfolgt, vergewaltigt, gefoltert, getötet. Und nachdem es der Exilarmee Front Patriotique Rwandais nach blutigen Kämpfen gelang, den Völkermord zu beenden, flohen zahlreiche Hutu aus dem Land. Viele Täter*innen wurden nie verurteilt.
Anders als von akademischen Werken gewohnt, sind längere Tagebucheinträge von Opfern sowie Täter*innen abgedruckt. Diese entfalten beim Lesen die volle emotionale Wucht der Betroffenheit, Trauer, Angst, Unwohlsein, Fassungslosigkeit oder Ekel. Außerdem stellt die Autorin literarische und biographische Verarbeitungen des Holocausts und des Tutsizids gegenüber. Diese Vergleiche geraten jedoch oft langatmig. Komplexer, redundanter Satzbau und komplizierte Fremdwörter tragen ihren Teil zu diesen Längen bei. Ob es außerdem zwingend notwendig ist, rassistische Begriffe aus Originalquellen auszuschreiben oder koloniale Bilder zu reproduzieren, sei dahingestellt.
Vor allem aber ist Anne D. Peiters Werk eine wichtige, aufwühlende und multiperspektivische Betrachtung des Tutsizids. Ihr gelingt es, den eurozentrisch exotisierenden, unterschätzenden Blick auf diesen Völkermord zu entlarven. Und sie kritisiert das fehlende Bewusstsein und die Gleichgültigkeit für die deutsche Kolonialisierung Ruandas. Die deutsch-ruandischen Beziehungen würden bis heute dazu neigen, die gemeinsame Geschichte einseitig und oftmals glorifizierend darzustellen.