Generation Z regiert
Junge Proteste, alter Widerstand?
Die Jugend ist ein altes Thema. Das Sujet ist mit den – als »jung« gelabelten – aktuellen Unruhen und Umstürzen wieder sehr präsent. Zum Umsturz in Bangladesch im August schreibt die FAZ: »Bangladeschs Studenten stürzten die autoritär regierende Ministerpräsidentin.«
Die Bilder der vorangegangenen Proteste zeigen eine junge Opposition auf den Straßen, denen die alte Riege der Awami-Liga unter der immer autoritärer regierenden Ex-Premierministerin Sheikh Hasina gegenüberstand. Die zentrale Forderung der Opposition beinhaltete Aspekte des Generationenkonflikts in Zeiten hoher Jugendarbeitslosigkeit: Die Proteste richteten sich gegen eine Quotenregelung für die Vergabe von Stellen im öffentlichen Dienst; über die Hälfte sollte für die Nachkommen von Veteranen des Unabhängigkeitskrieges gegen Pakistan vor mehr als 50 Jahren reserviert werden. Die gestürzte 76-jährige Premierministerin Hasina wurde übergangsweise von dem populären Wirtschaftswissenschaftler Muhammad Yunus abgelöst. Der inzwischen 84-jährige Nobelpreisträger passt nicht ins Raster, das die Publizistik zeichnet: »Generation Z – von nun an in Verantwortung« schreibt das ipg-journal. Der Interimsregierung gehören nun Wortführer der Studierenden an: Sie bekamen drei Ministerien.
Was soll das sein, jung?
Der Südasienexperte Anas Ansar sagte dem iz3w-südnordfunk zur Vorgeschichte des Umsturzes: »Langsam verwandelte sich das Land in einen Polizeistaat. Die Wahlergebnisse sind schon vor der Wahl festgelegt. Trotzdem hatte sich die Mehrheit der Leute irgendwie damit abgefunden. Dann kommen diese Studierenden, die ein ganz anderes Ziel im Leben haben, die ihr Recht auf freie Meinungsäußerung und ihr Wahlrecht ausüben wollen«. Die junge Generation hat den Kampf gegen ein brutales Regime getragen: »Wir haben über 550 offizielle Tote und mehr als 300 von ihnen sind unter 25 Jahre alt.«
Das Thema Jung und Alt wurde immer wieder für die großen Proteste der letzten Jahre herangezogen. Das 21. Jahrhundert war etwa vom Arabischen Frühling und den Farbrevolutionen in Osteuropa geprägt: weitgehend friedliche Regimewechsel in post-sozialistischen Ländern. Als ein besonderes Kennzeichen gilt die Rolle der sozialen Medien. Bei den Straßenprotesten von Tunis über Kairo bis Bagdad waren die sozialen Medien zentral für die Mobilisierung und Vernetzung der von jungen Menschen geprägten Bewegungen.
Einspruch: Jung und Alt, das ist eine unterkomplexe Erzählung, mit der Proteste eben nicht erklärt werden können. Was soll das sein, jung? Junge Menschen sind arm und reich, haben unterschiedliche Geschlechter, gehören verschiedenen ethnischen und sozialen Gruppen an, wählen verschiedene Parteien und so weiter. Wesentlich ergiebiger als Altersforschung ist es, die Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnisse anzuschauen.
Nur ganz von der Hand weisen kann man die Altersfrage dennoch nicht. So kann konstatiert werden, dass in diesem Jahr die großen Proteste in Kenia, Nigeria und Senegal und zuvor in Sudan von jungen Protestierenden getragen wurden. Ein Grund ist die demographische Zusammensetzung aller bisher genannten Länder: Es sind Länder mit einer breiten jungen Basis und einer deutlich kleineren älteren Generation. Und es erstaunt nicht, dass die Vorrechte alter Eliten oder autoritärer Netzwerke gerade in diesen Ländern mit den Interessen der steigenden Zahl junger Berufseinsteiger*innen kollidieren.
Die Bedürfnisse der Protestbewegungen ernst zu nehmen, macht Sinn. Und deren Bedarf ist nicht zuletzt die freie Nutzung der sozialen Medien. Zahlreiche junge Blogger*innen sitzen weltweit in Gefängnissen. Sie zu unterstützen bedeutet, das Recht auf freie Meinungsäußerung und Zugang zu Information ganz praktisch ernst zu nehmen: Etwa durch die Installation einer Browser-Erweiterung, die es Nutzer*innen in autoritären Ländern ermöglicht, Internetsperren zu umgehen.
Ein zweiter Einspruch zum Thema: Junge Menschen, was soll das sein? In Deutschland haben nun um die 30 Prozent der 16- bis 24-jährigen bei den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen die rechtsextreme AfD gewählt. Bei den jungen Männern liegt der Prozentsatz noch höher. Wie lässt sich Jugend mit der offenbar ewig gestrigen Partei vereinbaren? Der Rechtsextremismus-Forscher Wilhelm Heitmeyer weist auf eine Ausprägung im Habitus junger Männer hin, die sich über Dominanz und Überlegenheit definieren. Dies ist kompatibel mit dem Angebot der AfD, die auf autoritäre und nationalistische Narrative abhebt. Unterlegenheitsgefühle und Verunsicherungen können bequem personalisiert und gegen ,woke‘ oder rassifizierte Menschen gerichtet werden. Die Erfahrung von Unsicherheit und Krisen kann im Rahmen einer autoritären (oder einfach patriarchalen) Sozialisation dazu führen, dass Freiheitsrechte abgelehnt werden. Das reflexartige Zusammenkonstruieren personifizierter Schuldiger entlastet und stiftet Identität. Und die sozialen Medien? Nun, TikTok und Telegram können die jungen Rechten auch. Im Netz zünden Ängste und Hass hervorragend. Es gibt keinen Grund, der Jugend per se über den Weg zu trauen. Die Austrofaschist*innen der 1930er-Jahre sangen im Lied der Jugend »Ihr Jungen, schließt die Reihen gut!« Die linke, geschichtsbewusste Band Tocotronic komponierte ebenfalls ein Lied der Jugend: »Nehmt das Geschick in die eigene Hand«. Und nun?
Der jungen Protestbewegung in Bangladesch, und ihrem in die Jahre gekommenen Interimspräsidenten, wünschen wir jedenfalls viel Glück!
die redaktion