»Die Tendenz geht in Richtung größerer Kontrolle«
Interview mit Hendra Pasuhuk über indonesische Medien
Die Möglichkeiten für kritischen Journalismus in der indonesischen Republik sind begrenzt. Aber sie werden trotz Schwierigkeiten genutzt. Wir sprachen darüber mit Hendra Pasuhuk. Er wurde 1961 in Indonesien geboren, ist Experte für indonesische Medien und Redakteur der Asien-Redaktion in der Deutschen Welle.
iz3w: Wenn jemand in der Republik Indonesien unabhängigen, kritischen Journalismus machen will: Welche Möglichkeiten gibt es?
Hendra Pasuhuk: In Indonesien wird zwar die Pressefreiheit per Gesetz garantiert, aber kritischen Journalismus zu betreiben, das ist eine Herausforderung. Denn eine Reihe großer Medienunternehmen befindet sich im Besitz von einflussreichen Politikern oder Angehörigen der Wirtschaftseliten mit politischen Verbindungen. Deshalb suchen kritische Journalist*innen meist kleinere Online-Medien außerhalb der großen Medienhäuser, um zu veröffentlichen. Es gibt aber auch einige Zeitungen, die als kritisch und relativ unabhängig angesehen werden.
Zum Beispiel?
Bei Zeitungen sind es Koran Tempo, Kompas, und die englischsprachige Jakarta Post. Ein spannender Radiosender ist das Kantor Berita Radio (KBR). Unabhängige Online-Medien sind zum Beispiel kumparan.com, tirto.id, mojok.co und magdalene.co.
Was zeichnet diese Online-Medien aus?
Kumparan.com ist eine innovative digitale Medienplattform in Indonesien, die 2017 von einer Gruppe erfahrener Journalist*innen gegründet wurde. Die Plattform legt Wert auf hohe journalistische Standards, bietet Nachrichten und Hintergrundberichte und nutzt moderne Technologien. Zusätzlich hat die Plattform Initiativen wie KumparanDerma eingeführt, auf der man für wohltätige Zwecke spenden kann.
Tirto.id ist ein Portal, das sich auf forschungsbasierte Berichterstattung und Datenjournalismus spezialisiert. Es wurde 2016 gegründet. Neben allgemeinen Nachrichten legt Tirto.id besonderen Wert auf Analysen und Faktenüberprüfung, die wichtiger wird. Tirto.id hat auch besondere Rubriken für Meinungsartikel und exklusive Interviews mit wichtigen Persönlichkeiten.
Magdalene.co ist eine indonesische digitale Medienplattform, die sich auf Frauenthemen, Inklusion, Stimmen von Minderheiten und entsprechend fortschrittliche Standpunkte konzentriert. Die Plattform wurde 2013 gegründet und stellt oftmals gesellschaftliche Normen in Bezug auf Geschlecht, Sexualität und soziale Gerechtigkeit in Frage. Sie will den Dialog über sensible Themen fördern, um Frauen und unterrepräsentierte Gruppen zu stärken.
Gibt es eine linke Publizistik, die sich um Armut und soziale Probleme sorgt?
IndoProgress ist eine indonesische Medienplattform, die sich seit ihrer Gründung im Jahr 2006 auf linke Inhalte spezialisiert hat. Sie setzt sich gegen neoliberalen Kapitalismus, Militarismus und verschiedene Formen der Unterdrückung ein. Die Plattform wird von aktivistisch, akademisch oder journalistisch motivierten Menschen betrieben, die sich den Themen Geschlechtergerechtigkeit, Umweltschutz, soziale Gerechtigkeit und internationale Solidarität verschrieben haben.
Gibt es einen meinungsliberalen Journalismus, der sich um Freiheitsrechte und Pressefreiheit kümmert? Auf welche Schwierigkeiten stößt man?
Es gibt unabhängige journalistische Organisationen, wie die Aliansi Jurnalis Independen (AJI), die sich aktiv für Pressefreiheit und für journalistische Rechte einsetzt, und auch für die Sicherheit von Journalist*innen. Zum Thema Rechte: Nach dem Pressegesetz haben journalistisch Tätige zwar das Recht, Informationen von Regierungsinstitutionen zu bekommen, diese werden aber selten gewährt.
Bei welchen Themen ist die Einschränkung am deutlichsten?
Die meisten Angriffe gegen Journalist*innen gibt es bei Themen über Landstreitigkeiten, Umweltzerstörungen und Korruption. Für das Jahr 2023 hat AJI 89 Angriffe gegen Journalist*innen dokumentiert, darunter Bedrohungen, körperliche Gewalt und rechtliche Verfolgungen. Trotz dieser Vorfälle bleibt die Strafverfolgung oft aus, was eine Atmosphäre der Straflosigkeit schafft und weitere Angriffe begünstigt.
Wer greift die Journalist*innen an? Und werden sie vom Staat geschützt?
»Vergangenes Jahr wurden 89 Angriffe auf Journalist*innen dokumentiert«
Bei den 89 von AJI dokumentierten Angriffen waren in 36 Fällen staatliche Apparate als Täter genannt. Das waren Polizei- oder Militärangehörige sowie Sicherheitsbeamte von Regionalregierungen. In 29 Fällen waren es nichtstaatliche Akteure, und in 24 Fällen konnten die Täter nicht identifiziert werden. Nur in zwei Fällen wurden die Täter ermittelt, angeklagt und verurteilt. Die meisten Fälle wurden außergerichtlich ‚beigelegt‘, indem die Täter sich bei den Opfern entschuldigten und der Staat für etwaige Krankenhauskosten und Sachschäden aufkommt. AJI betreibt die Website advokasi.aji.or.id, wo Meldungen über Gewalt gegen journalistisch Tätige regelmäßig veröffentlicht werden.
Was hat sich in den letzten Jahren geändert?
Die Tendenz geht in Richtung größerer Einschränkung und Kontrolle. In den letzten Jahren wurden mehrere Gesetze verabschiedet, wie das ITE Gesetz (Electronic Information and Transactions Law) und sogenannte Anti-Fake-News-Vorschriften, die die journalistische Arbeit erheblich einschränken. Diese Gesetze ermöglichen es der Regierung, kritische Berichterstattung unter dem Vorwand der Verleumdung oder Verbreitung falscher Informationen strafrechtlich zu verfolgen.
2024 wurde ein Gesetzesentwurf für den Rundfunk im Parlament zum Beschluss vorgelegt. Demnach kann die investigative Berichterstattung im Fernsehen und auf digitalen Plattformen ganz verboten werden. Nach heftigen Protesten soll der Gesetzesentwurf noch einmal überarbeitet werden.
Bei dem Rundfunk-Gesetz wurde kritisiert, dass die Berichterstattung über LGBTQIA+-Themen einschränkt würde. Und »Berufe oder Persönlichkeiten mit negativem Lebensstil« unerwünscht seien. Ist die Pressefreiheit auch durch moralistische Einflüsse gefährdet?
Ja, das spielt eine große Rolle bei der Pressefreiheit in Indonesien. Es gibt eine Gefährdung durch moralistische und islamistische Tendenzen, besonders bei den verschärften Auslegungen der Blasphemie-Gesetze. Diese werden aber weniger durch die islamistischen Gruppen verursacht, sondern mehr durch Instrumentalisierung von Religion durch säkulare Parteien. So wurden die meisten regionalen »Scharia-Regelungen« von säkularen Parteien durchgesetzt, weil sie sich Wähler*innenstimmen versprachen. Zusätzlich gibt es kleinere Gruppen, die sich lautstark gegen »westliche Einflüsse« und für »indonesische Werte« – sprich islamistische Werte – einsetzen. Diese Gruppen üben Druck auf die Medien aus, um Berichterstattung zu zensieren, die sie als unislamisch oder unmoralisch empfinden. Da viele Medienhäuser Angst haben, als »unislamisch« bezeichnet zu werden, geben sie diesem Druck nach.
Welche Aussichten für kritischen Journalismus sehen Sie zurzeit in Indonesien?
Die Aussichten sind gemischt. Die Medienlandschaft ist zunehmend in der Hand weniger, politisch einflussreicher Personen, was unabhängige Berichterstattung erschwert und die mediale Vielfalt reduziert. Trotz einiger Fortschritte bleibt die Pressefreiheit durch politischen Druck und Gewalt gegen Journalist*innen stark eingeschränkt. Organisationen wie die genannte AJI dokumentierten zunehmende Angriffe auf Journalist*innen, die mit den 89 Vorfällen im Jahr 2023 einen neuen Höchststand erreicht haben. Diese Vorfälle reichen von physischer Gewalt über Drohungen bis hin zur Anwendung diffuser, weit interpretierbarer Gesetze. Diese ermöglichen es der Regierung, kritische Stimmen zu unterdrücken. Ein weiteres Hindernis für unabhängigen Journalismus ist die Verbreitung von Desinformation, insbesondere in Wahljahren. Manche sehen sich durch Einschüchterung und Drohungen im virtuellen Raum gefährdet, da digitale Überwachung und Internetkampagnen gegen kritische Berichterstattung zunehmen.
Der Studienbericht »Journalist Safety Index 2024« von der TIFA Foundation prognostizierte, dass die Drohungen gegen Journalist*innen im Wahlkampf 2024 wahrscheinlich zunehmen würden. Und insgesamt 84 Prozent der Journalist*innen berichteten über einen Anstieg des Drucks oder von Drohungen, denen sie während des Wahlkampfes ausgesetzt waren. Sie betrachteten die Situation als »bedrohlich«. 51 Prozent stuften sie sogar als »sehr bedrohlich« ein. Zu den Formen der Gewalt während der Wahlberichterstattung gehören dabei Zustände wie Berichterstattungsverbot (44 Prozent), Terror und Einschüchterung (38 Prozent) oder Drohungen (23 Prozent). So neigen Journalist*innen dazu, während Wahlen vorsichtiger zu sein (85 Prozent).
Die Zukunft für kritischen Journalismus in Indonesien wird stark davon abhängen, wie sich die rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen nach den diesjährigen Wahlen entwickeln werden.