Ein Wandbild von Jina Mahsa Amini neben einem Schriftzug mit Jin Jiyan Azadi.
Jina Mahsa Amini, Wandbild in Frankfurt | Foto: Ostendfaxpost CC BY 4.0

Posts und Raketen

Die Rolle der kritischen und sozialen Medien im Iran

In Iran gibt es keine kritischen, sondern allenfalls reformorientierte Medien. Diese dienen aber der Legitimation des Mullah-Regimes. Die großen Auseinandersetzungen und kritischen Diskurse spielen sich im Internet ab.

von Azadeh H.

16.12.2024
Veröffentlicht im iz3w-Heft 406
Teil des Dossiers Kritischer Journalismus

Die Medien in Iran werden stark kontrolliert. Staatliche und private Medien brauchen zuerst einmal eine Genehmigung vom Kulturministerium. Es gibt rote Linien, die der Journalismus nicht übertreten darf, wie zum Beispiel Blasphemie, Kritik am Islam, an der Scharia, am Revolutionsführer und allen voran am umfassenden System der Islamischen Republik Iran.

In einem solchen System kann es keine freien Medien geben. In der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steht Iran auf Platz 176 von 180. Journalist*innen wie auch politisch Aktive stehen unter strenger Beobachtung. Sobald sie etwas posten, was dem Regime missfällt, droht ihnen eine Anklage wegen »Propaganda gegen das System«, »Provokation zu Aktivitäten gegen die nationale Sicherheit« oder ähnlichem. Schon eine Story auf Instagram kann dazu führen, dass man als Journalist*in ein Fall für die Strafgerichtsbarkeit wird.

Bericht­erstattung und Protest

Zwei bekannte Beispiele dafür sind die Journalistinnen Niloufar Hamedi und Elaheh Mohammadi, die wegen der Berichterstattung für ihre Zeitungen inhaftiert wurden. Sie berichteten über den Tod und die Beerdigung von Zhina Mahsa Amini, die 2022 von der iranischen Sittenpolizei getötet wurde. Beide verbrachten jeweils um die 400 Tage Haft in den gefürchteten Qarchak- und Evin-Gefängnissen. Der Vorwurf der »Spionage für die feindlichen Staaten USA« wurde zwar aufgehoben, nicht aber die Gerichtsurteile. Beide Fälle erregten die iranische und internationale Öffentlichkeit. Gegen eine Kaution kamen die Journalistinnen schließlich frei.

Während der großen Proteste 2022, die nach dem Tod von Masha Amini losbrachen, hätte das Regime am liebsten wie immer nur seine Version der Vorkommnisse erzählt und die Berichterstattung kontrolliert. Die Protestbewegung und Journalist*innen wie Hamedi und Mohammadi haben diesen Plan jedoch durchkreuzt – und mussten es teuer bezahlen.

Seitdem hat sich die Überwachung zugespitzt. Das Regime ist sehr darauf bedacht, bei jedem Vorfall, der zu den Protesten führen könnte, die eigene Version geltend zu machen. Das zeigt der Fall von Armita Grawand. Auch sie wurde wegen dem Verstoß gegen die Hijab-Pflicht mutmaßlich von Sittenpolizistinnen in der U-Bahn angegriffen und starb nach 27 Tagen im Koma. Das Regime setzte die Familie und das Personal des Krankenhauses so unter Druck, dass nur wenige Informationen nach außen gelangten. Die Journalist*innen, die dazu berichten wollten, wurden zurückgewiesen und bedroht.

Die Protestbewegung nach dem Tod von Zhina Amini war auch ein Medienkrieg. Das Regime wollte nichts von dem Vorfall hören. Seine kritischen Widersacher stellten dagegen die Illegitimität des Regimes heraus, indem sie ihm staatlichen Mord und Willkürherrschaft vorwarfen. Die Protestierenden folgten den oppositionellen Medien wie Iran International und Manoto TV. Iran International, das von London aus sendet, hatte sich zeitweise sehr auf die Proteste konzentriert. Viele Menschen verfolgten die Proteste auch über BBC Farsi, Voice of America und viele andere persisch-sprachige Medien im Ausland.

Die zwei Gesichter reform­orientierter Zeitungen

Die Menschen in Iran hatten nie Vertrauen in die offiziellen iranischen Medien. Bis zur Präsidentschaft von Mohammed Khatami ab 1997 gab es eigentlich nur konservative Zeitungen. Seit Khatami gibt es Reform-Zeitungen, die auch soziale Themen diskutieren und ein wenig Kritik zulassen. Die beiden oben genannten Journalistinnen, die über den Fall Zhina Amini berichtet hatten, arbeiteten für reformorientierte Zeitungen, nämlich die Tageszeitungen Schargh und Hammihan. Gegen solche Medien gibt es immer wieder Strafanzeigen und die meisten Journalist*innen dort haben ein offenes Verfahren bei der Justiz. Doch die Existenz dieser reformorientierten Medien ist für das Regime wichtig. Ein Regime, das von Demokratie spricht und Scheinwahlen abhält, will auch zeigen, dass Meinungs- und Pressefreiheit gegeben sind.

Auch bei den Protesten standen die oppositionellen Medien in der Kritik der Protestbewegung. Dort würden Unwahrheiten verbreitet und es würden sensible Informationen über Demonstrierende weitergegeben. Einerseits haben Protestierende ihre Videos an diese Medien ins Ausland geschickt, andererseits haben diese, wie Manoto, in Fernsehbeiträgen Gesichter der Protestierenden gezeigt. Zudem gab es Vermutungen, dass das Regime Falschinformationen in diesen Medien platzierte.

Die Ausein­ander­setzung im Internet …

Es braucht also Informationen aus erster Hand. Die finden sich auf Online-Plattformen wie Instagram, Telegram und Twitter/X. Instagram ist die beliebteste Plattform in Iran und viele nutzen ihre Accounts auch gewerblich. WhatsApp und Instagram wurden nach dem Beginn der Proteste 2022 gefiltert, andere soziale Netzwerke wie X und Facebook und ausländische oppositionelle Medienwebseiten sind schon lange staatlich kontrolliert und zensiert. Zu bestimmten Zeiten wird das Internet auch verlangsamt oder ganze Teile gesperrt, beispielsweise bei ‚Wahlen‘.

Iraner*innen haben allerdings durch diverse VPN-Zugänge und den Tor-Browser einen Weg gefunden, dies zu umgehen. Sie haben Protestvideos und Aufrufe auf Instagram, Telegram-Kanälen und X gepostet. Sogar Leute, die dort Geschäfte abwickeln, schrieben, dass sie jetzt nur noch zu den Protesten posten. Aus Solidarität mit den Demonstrationen verzichteten sie auf ihre Geschäfte. Prominente unterstützten die Proteste per Videos und Stories. Auf Instagram live, Space, Clubhouse oder Twitter fanden hitzige Debatten und Diskussionen statt. Das Hashtag #MahsaAmini wurde mehr als 250 Millionen Mal retweeted, was den iranischen Rekord auf X knackte.

Das Regime beobachtet die Online-Plattformen intensiv und versucht mit Fake-Accounts die Proteste zu beeinflussen. Dort wurden reale Treffpunkte für Proteste angekündigt, vor Ort wurden die Teilnehmenden festgenommen. Teilweise wurden populäre Accounts vom Regime gehackt und für dessen Zwecke ausgenutzt.

Viele Aktivist*innen wurden wegen ihrer Aktivitäten in den sozialen Medien festgenommen. Schon jedes Liken oder Teilen kann wegen ‚Propaganda‘ zu einer Haft von drei Monaten bis zu einem Jahr führen. Das schlimmste Beispiel dieser Art der Unterdrückung war der Fall Mahmoud Mehrabi aus Isfahan. Ihm wurde wegen Aktivitäten in den sozialen Medien »Korruption auf Erden« vorgeworfen und er wurde zum Tod verurteilt. In der Berufungsinstanz, dem Revolutionsgericht in Isfahan, wurde er Ende November 2024 vom Vorwurf der »Korruption auf Erden« freigesprochen, andere Anklagepunkte sind noch anhängig.

X ist zurzeit eines der am meisten genutzten Medien in Iran, auf denen kritische Inhalte gepostet werden können. Doch auch das Regime benutzt X. Alle Regierungsmitglieder haben trotz Filterung einen Account auf X. Selbst der Revolutionsführer postet regelmäßig auf Persisch, Englisch, Deutsch und zuletzt auf Hebräisch. Unter den Posts der Regierungsvertreter findet sich oft ein Shitstorm.

Bei den Präsidentschaftswahlen 2024 spielte X eine große Rolle. Die Kandidaten posteten unentwegt Werbung und Videos – früher wurden überall Plakate aufgehängt und Flyer verteilt. Die Anhängerschaft des Kandidaten Said Dschalili attackierte die von Massud Peseschkian und umgekehrt. Die Zahl der Accounts von der fundamentalistisch-konservativen Fraktion um Dschalili nahm stark zu, darunter sogar Accounts auf Englisch, die sich allerdings so sehr ähnelten, dass die Vermutung von Fake-Profilen naheliegt.

… gerät zum Medien­krieg

Auch die kriegerischen Spannungen zwischen Iran und Israel finden auf X ein Handlungsfeld. Die iranische Regierung, die nicht direkt mit Israel oder den USA kommunizieren kann, nutzt die Plattform X, um dort eine Öffentlichkeit zu erreichen. Dabei attackieren sich die iranischen und israelischen Accounts gegenseitig und drohen mit Bildern und Videos von Raketen. X ist ein wichtiges politisches Instrument in Iran geworden.

Twitter/X ist ein politisches Instrument im Iran geworden

Vor dem zweiten iranischen Raketenbeschuss gegen Israel begann der Angriff schon auf X. Die Drohungen gegen Israel nahmen online schlagartig zu, dann starteten die iranischen Raketen. Es folgten unentwegt Bilder und Videos dieser Raketen. Auf der Plattform versuchte das Regime, sich anhand von Videos über den Vergeltungsangriff israelischer Kampfflugzeuge vom 25. Oktober lustig zu machen. Gleichzeitig versuchte Iran, die eigenen Raketenangriffe gegen Israel vom 1. Oktober als sehr groß darzustellen. Die regimekritischen User bedankten sich auf X bei Bibi Netanyahu mit #thxbbfromtehran. Viele hofften einfach, dass Israel den Revolutionsführer töten und das Regime stürzen würde. Denn viele Antiautoritäre in Iran sehen die höchste Priorität im Regimewechsel in Teheran.

Das Video von Netanyahu auf X, adressiert an die iranische Bevölkerung, kam bei vielen gut an, weil Netanyahu zwar dem Regime militärisch drohte, die Bevölkerung jedoch explizit ausnahm. Zugleich erzürnte die Botschaft das iranische Regime. Als ob es eine Reaktion darauf wäre, erfolgten am 25. Oktober die iranischen Raketenangriffe in der ‚realen Welt‘.

Azadeh H. lebt in Teheran.

Dieser Artikel ist erschienen im iz3w-Heft Nr. 406 Heft bestellen
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