Die Peripherie des Islamis­mus

von iz3w redaktion

08.04.2025
Veröffentlicht im iz3w-Heft 408
Teil des Dossiers Islamismus

Im August 2021 machten die Islamisten klar, dass es sie noch gibt: Nach dem Abzug der USA und ihrer Verbündeten aus Afghanistan setzte die Taliban zum militärischen Siegeszug an. Fotos und Videos zeigten sie bald mit ihren Knarren posierend im Präsidentenpalast in Kabul. Seither hat die islamistische Terrororganisation ihre zweite Religionsdiktatur errichtet. Mädchen dürfen nur noch sechs Jahre zur Schule gehen, Frauen sind vom öffentlichen Leben ausgeschlossen. Die willkürlichen Auspeitschungen und Hinrichtungen aus der ersten Diktatur (1996 bis 2001) sind zurück (»Eine Frau ist für sie kein Mensch«).

In Afghanistan zeigt der Islamismus erneut, dass er ganze Staaten annektieren kann. Anfang 2017 schrieben wir in einem Themenschwerpunkt zum »Dschihadismus«: »In den vergangenen drei Jahren vollzogen sich dramatische Entwicklungen des Dschihadismus. Der selbst ernannte Islamische Staat errichtete ein Kalifat und setzte dort rigide salafistische Verhaltensvorschriften durch. Gleichzeitig kämpfen auch in zahlreichen weiteren Ländern dschihadistische Bewegungen erfolgreich um die Macht.« Ein schrecklicher Siegeszug – oder?

Denn ein Selbstläufer wurde das nicht (Karrieren einer Ideologie). So wurde der Islamische Staat in Syrien und Irak militärisch besiegt; und sein voriges Schreckensregime verschaffte ihm keine Beliebtheit. Der Einfluss des Islamismus in der SWANA-Region (Süd-Westasien und Nordafrika) bewegt sich in einem Auf und Ab. Vergangenen Dezember wurde mit der Assad-Diktatur Syriens ein wichtiger Verbündeter der islamistischen »Achse des Widerstands« gestürzt – ausgerechnet von einem anderen islamistischen Akteur. Zwei Protagonisten der »Achse«, die libanesische Hisbollah und die palästinensische Hamas, sind vom Krieg mit Israel geschwächt. Die Islamische Republik Iran sieht sich Protestwellen im Inneren gegenüber. Befindet sich der militante Islamismus in einer Krise (»Sie haben sich weiter­entwickelt«)? Islamistischen Gruppen fällt es zunehmend schwer, Zustimmung zu finden.

Und in der Peripherie? Aus islamistischer Perspektive ist das etwa Europa. Sicher: Verglichen mit dem Sturm an Massakern und Entführungen, der zeitweise in Nordnigeria seitens Boko Haram wütet, kommt in Europa nur ein laues Lüftchen an. Dennoch erleben islamistische Aktivitäten auch hier einen Aufschwung. In Deutschland konnten islamistische Akteure in den letzten Monaten durch Attentate Aufmerksamkeit für sich generieren – und Angst und Schrecken verbreiten.

So hat sich in den letzten Monaten (mit den islamistischen Attentaten in Duisburg, Mannheim, Solingen, München; mit Vereinsverboten durch die Bundesregierung; mit hamasfreundlichen Botschaften auf Gaza-Demonstrationen) ein neuer ‚Diskurs‘ über Islamismus etabliert. Doch zumeist ging es nach den Attentaten gar nicht wirklich um den Islamismus und dessen Gefahrenpotenzial – sondern um Zuwanderung. Das ist doppelt schade, weil damit zwei wichtige Themen verfehlt werden: eine rationale Migrationsdebatte sowie die Frage der Islamismusprävention.

Für das vorliegende Dossier haben wir uns entschieden, das große Thema des Islamismus auf die aktuellen Ausprägungen zu begrenzen, die vor allem hierzulande in den letzten zwei Jahren erfahrbar waren. Der Islamismus scheint ja eher in seiner Peripherie zu boomen. Deutschland ist dafür ein treffendes Fallbeispiel.

Ein kritisches Bewusstsein darüber ist nur marginal vorhanden. Denn das konservative Deutschland bekämpft nach islamistischen Attentaten keineswegs den Islamismus, sondern Migration. Aus linker, progressiver und feministischer Perspektive wird Kritik am Islamismus und seiner Gewalt nur teilweise geübt. Die Angst vor dem Rassismusvorwurf hält viele ab, bei anderen passt so ein Sprechen nicht ins antirassistische Raster – oder es kommt auf die Sprecher*innenposition an. Was immer der Grund ist, es hat zur Folge, dass man liberale Muslim*innen mit ihrer Kritik im Regen stehen lässt. Ihr Engagement gegen die konservativen Religionsverbände, welche den Islamismus gewähren lassen, müssen Menschen wie Seyran Ateş oder unser Autor Abdel-Hakim Ourghi (Mit einem Grinsen) zumeist allein bewerkstelligen – eine linke Bewegung steht den reformorientierten Muslim*innen kaum spürbar zur Seite. Und zudem: Der Großteil der Betroffenen islamistischer Gewalt sind ja selbst Muslim*innen. Dazu kommen Andersgläubige und -denkende, die vor islamistischer Gewalt flüchteten – um hier wieder ohne solidarischen Beistand alleine dazustehen. Der lange Arm des iranischen Mullahregimes etwa bedroht weiterhin über Landesgrenzen hinweg kritische Menschen (Der lange Arm der Mullahs). Säkulare Kurd*innen werden angegriffen, wie erst am 25. Januar 2025 bei einer Demo in Kiel. Der Täter habe IS-Parolen gerufen.

Statt Anti-Migrationspolitik zu betreiben, gilt es islamistische Umtriebe aufgrund ihrer Menschenfeindlichkeit zu bekämpfen. Wir lassen Akteure der Islamismusprävention (Falsch abgebogen) zu Wort kommen, die sich damit beschäftigen, wie Islamismus auch aus der deutschen Gesellschaft heraus entsteht – und wie wir dem entgegentreten können. Die vereinfachte Antwort darauf ist, dass in den Schulen eine gute Ausstattung und ein respektvoller Umgang mit allen Schüler*innen zielführender sind, als eine migrationsfeindliche Politik. Letztere führt die Spaltungsarbeit des Islamismus fort.

die redaktion, 10.04.2025

 

Das Dossier Islamismus wurde gefördert durch die Amadeu-Antonio-Stiftung.

 

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Dieser Artikel ist erschienen im iz3w-Heft Nr. 408 Heft bestellen
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