Ein alter Twitter-Schriftzug mit der Unterschrift "What is Twitter?"
Gute alte Zeiten? Twitter vor Musk | Foto: Spencer E Holtaway CC BY-ND 2.0 https://www.flickr.com/photos/spencereholtaway/3376955681/in/gallery-152526193@N02-72157723116243202/

Musk ein Muss?

Die Bedeutung Sozialer Medien für kritischen Journalismus

Soziale Medien werden vorrangig als Unterhaltungsmedium wahrgenommen, dabei ist ihre Bedeutung für den Journalismus erheblich. Die Präsenz von Fake News auf den Online-Plattformen macht es dem kritischen Journalismus wiederum schwer. Trotzdem führt kein Weg an den Sozialen Medien vorbei.

von Maus Taute

14.12.2024
Veröffentlicht im iz3w-Heft 406
Teil des Dossiers Kritischer Journalismus

Soziale Medien sind überall. Sie unterhalten, sie informieren, sie polarisieren. So weit, so bekannt. Facebook, Instagram, X (Twitter) oder TikTok – egal welche Plattform die persönliche erste Wahl zum Unterhaltungskonsum darstellt, ihre Bedeutung im Alltag wächst. Sie werden nämlich nicht mehr nur zur Unterhaltung genutzt, sondern auch zu Informationszwecken. Tagesaktuelle Themen werden sofort in den Feed gespült, sodass nicht mehr auf die nächste Radio- oder Fernsehsendung, geschweige denn auf die nächste Tageszeitung gewartet werden muss. Die Auswahl der Inhalte im eigenen Feed ist dabei abhängig von der Plattform, den abonnierten Kanälen und dem jeweiligen Algorithmus.

Und hier sind wir schon bei der Krux der Sozialen Medien: Jede Person bekommt unterschiedliche Inhalte angezeigt. Die Algorithmen sind undurchsichtig, sensationsgeil und wirken allmächtig. Das ist auch einer der Gründe, warum Soziale Medien ebenfalls Brutstätten für Populismus, Rechtsradikalismus und Menschenfeindlichkeit sind. Staatliche Institutionen und die Betreiber*innen können oder wollen schlicht nicht hinterherkommen, die Plattformen frei von Fake News und Diskriminierung zu halten.

Herausfordernd für die Konsument*innen Sozialer Medien ist auch die Feststellung der Authentizität der Inhalte. Gibt es Quellen? Wie verifizierbar und vertrauenswürdig sind diese? Fake News sind spätestens seit der US-Wahl 2016 in aller Munde und zu unserer täglichen Begleitung geworden. Falsche Wahrheiten sind massenhaft schnell ins Internet getippt, aber schwer zu entfernen. Und meist bekommt die Richtigstellung einer Aussage viel weniger Aufrufe, und damit weniger Aufmerksamkeit, als die ursprüngliche Falschnachricht. Wo sollen kritische Medien da einhaken?

Kritisch, aber langweilig?

Die sogenannte vierte Gewalt, ‚die Medien‘ und vor allem seriöser, Nicht-BILD-Journalismus, hat mit der gewachsenen Bedeutung Sozialer Medien für die Informationsbeschaffung zu kämpfen. Kritischer und seriöser Journalismus wird oft als langweilig wahrgenommen, da er faktenbasiert und wenig unterhaltend auftritt und in den allermeisten Fällen auch noch die Lesenden herausfordert und Inhalte hinterfragt. Das ist kein sonderlich attraktives Geschäftsmodell. Die vereinfachende Erzählung über eine ominöse Elite (»die da oben«), welche die Bevölkerung ausbeutet und entmündigt, wirkt da ansprechender.

Eine Herausforderung ist dabei auch, dass Soziale Medien klassischen, kritischen Journalismus bereits teilweise ersetzen. Das ist nicht nur schlecht, da die Digitalisierung und Dezentralisierung viel Emanzipationspotential birgt, vor allem in Ländern mit eingeschränkter Pressefreiheit. Allerdings muss der Umgang mit Fake News, Algorithmen und diskursverschiebender Polemik verbessert werden. Qualitäts-Journalismus muss sich mit Unterhaltung, Informationswert und Schnelllebigkeit verbinden.

Nach Twitter wird’s verfliXter

Ein gutes Beispiel für die Problemseite der Sozialen Medien zeigt sich in der Übernahme von Twitter Ende 2022 durch Elon Musk. Dieser hat als eine seiner ersten Handlungen die Hälfe der Belegschaft gekündigt, darunter viele Journalist*innen und Faktenchecker*innen. Die Moderation bei Twitter/X hat sich dadurch rapide verschlechtert und Hassrede, Fake News und Populismus Tür und Tor geöffnet. Ein Symptom der Übernahme ist auch die Überflutung der Plattform durch sogenannte Trolle. Das sind Personen, welche absichtlich einen faktenfernen, polemischen Diskurs im Internet anzetteln oder anheizen. Sie waren bereits zuvor auf Twitter vertreten, müssen unter Musk allerdings weniger Konsequenzen für ihr destruktives Handeln fürchten.

Der Beginn der Twitter-Ära war ein einschneidendes Ereignis für die Medienlandschaft und den Online-Diskurs im Allgemeinen. In autoritären Ländern, vor allem in der arabischen Welt, wurden Twitter und andere Plattformen von sozialen Bewegungen genutzt, um sich staatlicher Repression zu entziehen. Der sogenannte arabische Frühling 2010/11 ist ein gutes Beispiel für die Mobilisierungsdynamik durch Soziale Medien, wobei Vernetzung und Informationsaustausch im Vordergrund standen.

»Der Beginn der X-Ära war einschneidend für den Online-Diskurs«

Die Übernahme von Twitter hatte Deregulierung und die Reaktivierung gesperrter Accounts durch Musk, etwa des designierten US-Präsidenten Donald Trump, zur Folge. X verlor viele Benutzer*innen, vor allem aus demokratischen und linken Milieus. Dies bereitete den Weg für die diskursive Verrohung und die Vereinnahmung durch rechte Akteur*innen und Politiker*innen. Laut Medienwissenschaftler Joseph Vogl sind Soziale Medien deshalb so interessant für Autoritäre, weil ihnen dadurch eine »ungefilterte politische Teilhabe« ermöglicht wird und sie ein offenes und »geneigtes Ohr für die erregte Volksstimme« suggerieren. Kein Wunder, dass X unter Musk eine perfekte autoritäre Spielwiese darstellt. Hass, Hetze und Diskriminierung wird unter dem Deckmantel der freien Meinungsäußerung freier Lauf gelassen. Doch was braucht eine Plattform, um die entstandene Twitter-Lücke zu schließen? Vor allem für Menschen in Ländern, wo Pressefreiheit und wahrhaftige freie Meinungsäußerung eingeschränkt sind?

Die fehlende Durchsetzungskraft von Alternativen wie Mastodon oder Bluesky legt den Schluss nahe, dass aktuell kein Weg an Plattformen wie X, Instagram oder TikTok vorbeiführt. Das Aufgeben dieser diskursiven Räume stellt auch keine Option dar, denn vor allem der Bevölkerung in autoritären Staaten bleibt oft keine Alternative der Vernetzung und des Widerstands. Wie können kritische Medien(-schaffende) mit den Herausforderungen von Sozialen Medien umgehen, wenn die Rahmenbedingungen durch Betreiber*innen und Regierungen alles andere als ideal sind?

Das fragt man sich auch bei TikTok. Es ist das mit Abstand jüngste Medium und für das Erreichen von Kindern und Jugendlichen unverzichtbar. Die App und der Algorithmus stehen sicher nicht auf der Seite der Fakten und Differenziertheit. Ein TikTok-Verbot, wie es in den USA diskutiert wird, ist in Europa nicht absehbar. Das bedeutet, dass kritische Medien rechten Akteur*innen nicht das Feld überlassen dürfen. TikTok ist kompliziert und bedarf einer Bespielung mit interessanten, kurzen und informativen Inhalten, bei denen Kreativität gefragt ist. Es braucht politische Aufklärungsarbeit mit Unterhaltungsfaktor, um von diesem weitläufig verteilt oder überhaupt beachtet zu werden. Aber sich auf populistische Rhetorik einzulassen, die den kritischen Journalismus von innen aushöhlt, darf nicht die Lösung der Informationsdisparität sein.

Identitätskrise

Die Aufgabe ist nicht leicht, weil der Nachrichtenkonsum insgesamt rückläufig ist und die wenigsten Menschen Zeit und Lust haben, sich über das politische Weltgeschehen zu informieren. Dies liegt nicht zuletzt an der allgemeinen politischen Frustration, die durch ein Gefühl der Ohnmacht und der Unbeeinflussbarkeit politischer Entwicklungen hervorgerufen wird. Und über Zeit verfügen im Kapitalismus ohnehin nur reiche und privilegierte Menschen. Die ärmeren Klassen sind oft aus der politischen Teilhabe ausgeschlossen.

Kritischer und vor allem linker Journalismus muss die Arbeiter*innenklasse, junge Menschen und marginalisierte Milieus mit deren Herausforderungen und Sorgen ansprechen. Das lässt sich auch über den Einbezug von Aktivist*innen, Influencer*innen und medienaktivistischen Kollektiven erreichen, die andere Zielgruppen ansprechen. Allerdings reicht das nicht aus. Auch der hauptberufliche, kritische Journalismus muss einen Wandel durchmachen und die digitalen Räume besser nutzen. Um dabei überlebensfähig zu bleiben, sind beispielsweise Genossenschaftsmodelle, neue Abo-Formate, wie Steady oder Patreon wichtig, welche im englischsprachigen Raum und bei Influencer*innen weit verbreitet sind. Für den Erhalt einer differenzierten Debattenkultur ist die Zusammenarbeit mit einer aktiven Zivilgesellschaft und der Aufbau einer Community auf Social Media unverzichtbar.

Die Krise des unabhängigen Journalismus ist nicht nur finanzieller Natur. Sie ist auch eine Identitätskrise. Es wird sich viel zu oft, vor allem von großen Medienhäusern, unter dem Deckmantel eines neutralen Journalismus versteckt. Das ist nicht nur schlecht, denn die Distanz zu ihrem Gegenstand steht jeder Publizistik gut an.

Doch weiter heißt kritisch und unabhängig zu sein, Position zu beziehen, anzumahnen und kontextabhängig einzuordnen – immer mit einem aufklärerischen Auftrag. Demokratie lebt nun einmal von pluraler, medialer Berichterstattung und dem Aushalten von Meinungsverschiedenheiten. Solange sie sich an demokratische Spielregeln halten. Vor allem in Sozialen Medien sieht es teilweise so aus, als ob diese Spielregeln gerade von Rechten Stück für Stück ausgehöhlt werden. Kritischer Journalismus in Kooperation mit einer aktiven Zivilgesellschaft darf dies nicht hinnehmen und muss Präsenz zeigen; und durch die Beleuchtung von Missständen eine rechte, narrative Hegemonie verhindern.

Maus Taute arbeitet in der Online-Redaktion des iz3w.

Dieser Artikel ist erschienen im iz3w-Heft Nr. 406 Heft bestellen
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