Wie wir uns sehen
Black Joy im Kunstmuseum Basel
»Jeder Mensch hat Hoffnung verdient, auch in Afrika«. Auf einem Werbeplakat der »Bild der Frau« strahlt eine weiße, blondhaarige Frau in die Kamera. Dieses Plakat schmückte im Juni 2024 die Straßenbahnhaltestellen Freiburgs. Das Framing passt zum vorherrschenden Diskurs über den ‚Katastrophenkontinent‘ Afrika.
Einen Perspektivenwechsel bietet dagegen die Ausstellung »When We See Us«, die noch bis Ende Oktober im Kunstmuseum Basel zu sehen ist. Mit dem Fokus auf Black Joy, Schwarze Freude, werden die Titelworte ins Positive gewendet: Sie spielen auf die 2019 erschienene Netflix-Serie »When They See Us« an, die von den Central Park Five handelt: Fünf Schwarze Teenager, die zu Unrecht verurteilt wurden, eine weiße Frau im Central Park vergewaltigt zu haben. Das durch »We« ersetzte »They« zeigt einen Wechsel der Perspektive, weg von der Wahrnehmung weißer Menschen hin zur Selbstdarstellung Schwarzer Menschen.
Die Ausstellung wurde zuerst vom Zeitz Museum of Contemporary Art Africa (MOCAA) in Kapstadt konzipiert und organisiert. Die leitende Kuratorin Koyo Kouoh und ihr Team widmen sich darin der panafrikanischen figurativen Malerei der letzten hundert Jahre und vereinen die Werke von rund 120 Künstler*innen. Es geht Kouoh darum, die Stereotype der Not und des Elends auszuhebeln, denn die Darstellung von Schwarzen Menschen sei oft völlig realitätsfern und herablassend. Somit basiert das Konzept der Ausstellung einerseits auf der Selbstdarstellung afrikanischer Menschen und ihren Erfahrungen sowie andererseits darauf, die Widerstandsfähigkeit und politische Kraft von Black Joy zu feiern.
Von Kapstadt nach Basel
Black Love wird als ein grenzenloses Gefühl visualisiert
Die gesamte Installation wurde vom MOCAA Kapstadt nun eins zu eins in das Kunstmuseum Basel übernommen. Die Kuratorinnen trafen diese Entscheidung so, um die selbstzentrierte westlich-weiße Wahrnehmung zu durchbrechen und für afrikanische Perspektiven zu öffnen. Die Menschen, die das Kunstmuseum Basel besuchen, sollen die Ausstellung genauso wahrnehmen wie die Besucher*innen in Kapstadt. Dieser Anspruch wurde zum Beispiel dadurch umgesetzt, dass derselbe Ausstellungsarchitekt engagiert wurde. Auch die in den Ausstellungsräumen installierten Sound Clouds wurden in Südafrika erstellt. Deren Musik gibt die Stimmung der Black Joy in den einzelnen Ausstellungsräumen wieder.
Unterteilt ist die Ausstellung in sechs Kapitel: Triumph und Emanzipation, Sinnlichkeit, Spiritualität, Alltag, Freude/Ausgelassenheit und Ruhe. Beim Betreten der Ausstellungsräume wirkt kräftiges Orange und tiefes Grün auf die Besucher*innen. Darin finden sich die Farben Afrikas und der afrikanischen Natur wieder. Die Kunstwerke an den Wänden gleichen sich mal sehr, mal gar nicht in Stil, Farbe und Material. Alle erzählen eine eigene Geschichte, in die es sich einzutauchen lohnt.
Schaut her!
Im Kapitel Sinnlichkeit etwa wird Black Love als ein grenzenloses Gefühl visualisiert. Dabei gehen die Inhalte weit über heterosexuelle Liebe hinaus zu Selbstliebe und queerer Liebe aller Altersklassen. So zeigt das Kunstwerk »Never change lovers in the middle of the night« von Mickalene Thomas (1971) zwei queere Frauen, die miteinander ringen. Im Angesicht der ineinander verschlungenen Körper wird man als Betrachter*in Teil eines sehr intimen Augenblicks. Knallige Farben, flächige Formen und Glitzersteine führen in eine sinnliche Dimension voller Emotionen und Freude.
Eine wichtige Rolle in der Kunstaustellung spielt das Kapitel Triumph und Emanzipation: Es präsentiert den Stolz auf die eigene Geschichte und das Erreichte trotz jahrhundertelanger Unterdrückung. Die Wände sind gefüllt mit Schlüsselmomenten und Figuren der afrikanischen Community: Der Widerstand gegen und Sieg über Kolonialisierung, Hass und Gewalt finden genauso ihren Platz, wie auch das Feiern der eigenen Kultur, Herkunft und Geschichte. Dieses Kapitel befindet sich im Erdgeschoss des Gebäudes und ist auch ohne Eintritt zugänglich. Es wirkt fast, als würden die Künstler*innen und Kunstwerke rufen: ‚Schaut her, schaut uns an: Wer wir sind, woher wir kommen und was wir geschaffen haben!‘. Durch den freien Eintritt zu diesem Kapitel wird der Zugang nicht nur für Museumsbesucher*innen ermöglicht, sondern für alle Neugierigen, die sich zufällig in der Nähe der Ausstellung befinden.
Weg vom Leid…
Der zentrale Aspekt der Black Joy ist in der Sammlung durch ein Bild von Esiri Erheriene-Essi (2021) vertreten: »The Birthday Party« ist nicht nur das Titelbild von »When We See Us«, sondern es steht für die Ausstellungsidee der Black Joy. Das Bild zeigt junge Schwarze Menschen, die grinsend und lachend für ein Foto posieren. In ihrem Zentrum: Niemand Geringeres als Steve Biko, ein Aktivist gegen die Apartheid in der Südafrikanischen Union, der durch Staat und Polizei aufgrund seiner politischen Aktivität ermordet wurde. Erheriene-Essi nutzte als Vorlage für das Kunstwerk ein Foto seines Geburtstags. Biko strahlt die Betrachtenden an und präsentiert voller Stolz seine Geburtstagstorte. Dieser Ausdruck von Freude und Glück ist es, den die Künstlerin für immer festhalten will. Ihr Ziel ist es, den Fokus von der tragischen Aufmerksamkeit rund um seine Ermordung zu nehmen und ihn in den Kontext von Ausgelassenheit zu setzen, die genauso ein großer Teil seines Lebens war. Das Bild erinnert an einen Widerstandkämpfer. Aber es wendet im Sinne der Ausstellung den Blick weg vom Fokus auf das Leid und hin zur umfassenderen Abbildung Schwarzen Erlebens.
Koyo Kouohs Anspruch, die Betrachter*innen der Ausstellung in die Black Joy und die dazugehörige Schwarze Selbstdarstellung eintauchen zu lassen, wird über die Auswahl und Ordnung der Kunstwerke sowie mittels unterschiedlicher Medien und Ansätze umgesetzt. So lädt auch das Veranstaltungsprogramm dazu ein, panafrikanische Lebenswelten zu entdecken. Begleitet wird die Ausstellung von Führungen, Gesprächen mit Künstler*innen, Literatur- und Musikbeiträgen sowie Performances und Workshops.
…hin zu Black Joy
In der Ausstellung selbst unterstützen ein Audioguide, ein Zeitstrahl (der wichtige geschichtliche Entwicklungen aufzeigt) und eine Sammlung von Büchern über panafrikanische Lebenswelten die Besucher*innen beim Eintauchen in die Handlung. Der Audioguide stellt den Zuhörenden dabei immer wieder kritische Fragen, um sie aus der eigenen Perspektive zu locken. Die Timeline ermöglicht es, die Kunstwerke in die geschichtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen einzubetten. Die Betrachtenden der Ausstellung werden mittels dieser Medien aufgefordert, sich in die Selbstwahrnehmung der Künstler*innen und der von ihnen abgebildeten Menschen hinein zu begeben.
Digitales Schnupperabo
Drei Monate schnuppern, lesen, schmökern.
Wenn es etwas an dem Konzept von »When We See Us« zu bemängeln gibt, dann nur, dass das Ziel der Ausstellung, »hundert Jahre panafrikanische Malerei« darzustellen, zu groß gefasst ist. Eine umfassende Repräsentation von einem derart langen Zeitraum und weiten Gebiet ist innerhalb einer einzigen Ausstellung kaum möglich. Andererseits sind die über 150 Kunstwerke, der Audioguide, die Büchersammlung und die Timeline schon so umfassend, dass es fast unmöglich ist, die Ausstellung durch einen einzigen Besuch in ihrer Fülle zu erfassen. Somit hätte eine Erweiterung der Ausstellungsstücke wohl jeglichen Rahmen gesprengt. Daher wäre es vermutlich am sinnvollsten gewesen, die Ausstellung als Aspekt von »Hundert Jahre panafrikanische Malerei« zu bewerben, um der Heterogenität und dem Umfang afrikanischer Kunst und Geschichte gerecht zu werden.
Trotzdem gelingt es »When We See Us« mit deren Umsetzung, Musik, Farbe und geschichtlichen Einordnung sowie dem umfangreichen Zusatzprogramm, Interesse zu wecken und ein breites Publikum anzusprechen. Das Konzept und die Umsetzung eröffnen eine spannende Perspektive. Die Ausstellung ist ein Anreiz, um Debatten über Blackness und afrikanische Länder, die auf dem Bild der Not basieren, zu reflektieren und darüber eine differenzierte und realitätsnahe Wahrnehmung zu erlangen. Vor allem verdeutlicht die Werkschau, dass afrikanische Erlebenswelten voller fröhlicher, sinnlicher und liebevoller Momente sind. Und das nicht nur heute, sondern schon seit hundert Jahren und weit darüber hinaus.