Eine Person läuft vor Absperrgittern mit einer Presseweste entlang
Berichterstattung bei Protesten in Hong Kong 2019 | Foto: Studio Incendo CC BY 2.0

Gegen­öffentlich­keit gegen was?

Kritische Öffentlich­keit wird nicht überall gleich hergestellt

Kritische Medien sind der Aufklärung, Wahrheit und dem sozialen Fortschritt verpflichtet. Je nach politischem Kontext findet das in unterschiedlichen Formen statt. Einmal im Spartensender, ein anderes Mal in Medien der Gegenöffentlichkeit – und dann wieder gegen solche.

von Christian Jakob

13.12.2024
Veröffentlicht im iz3w-Heft 406
Teil des Dossiers Kritischer Journalismus

Eine »Gegenöffentlichkeit« wollte die 1979 gegründete Tageszeitung taz einst schaffen und »unterdrückte Nachrichten« publizieren. Ein damals fraglos plausibles Anliegen. Als »alternatives« Medium von einst wollte sie progressive Inhalte verbreiten und so fortschrittlicher Politik den Weg ebnen. Heute müsste eine neue taz ihr Selbstverständnis aber vermutlich anders bestimmen.

Denn heute tritt hierzulande als »Gegenöffentlichkeit« ein Ökosystem von Medien und Social-Media-Kanälen auf, die nicht progressiv, sondern rechtsextrem, verschwörungsideologisch oder beides sind. Sie begreifen sich als Gegenspieler eines »grünlinken«, »woken« oder »globalistischen« Mainstreams, der von »Kartellparteien«, »Systemmedien« oder NGOs verkörpert wird.

Gegen­öffentlich­keit ist jetzt rechts …

Wie berechtigt diese Wahrnehmung des »1968er«-Mainstreams angesichts etwa einer immer härter werdenden Migrationspolitik ist, ist zweifelhaft. Doch das Selbstverständnis der »Gegenöffentlichkeit« ist heute anders gepolt. Die Rechte reklamiert die Rolle der Systemgegnerschaft für sich. Und ihre »Alternativmedien« nehmen so dasselbe für sich in Anspruch, wie einst die taz: ,Bei uns lest ihr, wovon die Mächtigen nicht wollen, dass ihr es erfahrt.’

Ihre vermeintlich »unterdrückten Nachrichten« aber sind oft nichts weiter als Leugnung der Klimakrise, Antisemitismus, Demokratiefeindlichkeit, rassistische, LGBTIQ*- oder islamfeindliche Propaganda. Sie sollen demokratische, progressive Akteure, Institutionen und Haltungen diskreditieren – und sie attackieren dabei unterschiedslos alles vom liberalen Konservatismus bis zur radikalen Linken. »Meinungsfreiheit« ist so vielfach zur Chiffre für den Anspruch verkommen, Hass ungebremst in die Welt schleudern zu dürfen. Prodemokratische Positionen hingegen finden sich heute – nicht nur, nicht immer, aber in ihrer Gesamtheit eben doch – vielfach eher in den etablierten Medien.

Das Selbst­verständnis von Gegen­öffentlichkeit ist heute anders gepolt

Rechtsextreme Alternativmedien bekommen dabei durchaus Schwierigkeiten mit dem Staat, etwa mit der Medienaufsicht wie die österreichische TV-Webseite Auf1 oder gar durch einen Verbotsversuch des Innenministeriums, wie das Magazin Compact. Doch natürlich gibt es auch Schwierigkeiten für progressive Alternativmedien, die sich mit den Mächtigen im eigenen Land anlegen. 2023 etwa durchsuchte die Polizei die Wohnung des freien Journalisten Fabian Kienert vom Freiburger Radio Dreyeckland, nahm Laptop, Handys und USB-Sticks mit. Der Vorwurf: Er soll eine verbotene Vereinigung unterstützt haben, weil er in einem Nachrichten-Artikel auf das Archiv von linksunten.indymedia.org verlinkte. Das Landgericht Karlsruhe hat Kienert inzwischen freigesprochen, die Staatsanwaltschaft hat aber Revision beantragt.

Insgesamt ist in Gesellschaften, die halbwegs liberal verfasst sind, die Pressefreiheit vergleichsweise gewahrt. Schwierigkeiten macht alternativen Medien hier vor allem die schrumpfende Zahl an Menschen, die bereit sind für ihre Arbeit zu zahlen.

… oder doch anti­autoritär?

Je autoritärer es zugeht, umso eher ist auch die Pressefreiheit gefährdet – und umso eher sind die Alternativmedien dort progressiv-demokratisch. Für belarussische Journalist*innen im Exil etwa haben Begriffe wie »Systemmedien« naheliegenderweise eine vollkommen andere Bedeutung als etwa in Deutschland, wo er zum rechten Kampfbegriff geworden ist. Umgekehrt sind für belarussische Journalist*innen »Alternativmedien« solche, die etwa in Belarus eine despotische Macht kritisieren, die widerständig und oppositionell sind – und deshalb oft so gefährdet, dass sie nur aus dem sicheren Ausland heraus operieren können.

Alternativmedien aus etwa Belarus oder Russland haben es aufgrund der politischen Lage vergleichsweise leicht, aus Westeuropa zu operieren. Sie dürfen auf Unterstützung, ihre Journalist*innen auf Aufenthaltsrecht, vielleicht finanziellen Support hoffen. Sie können hier sichere Server nutzen und werden teils sogar von den hiesigen Sicherheitsbehörden vor dem Zugriff ihrer Feinde beschützt.

Ein Beispiel dafür ist das reichweitenstarke Portal Nexta (gesprochen: Nechta). Es startete als Oppositions-Nachrichtenprojekt in Belarus und ist seit dem russischen Überfall auf die Ukraine eine der wichtigsten Newsplattformen in Osteuropa geworden. Nexta hat keine eigene Webseite, die gesperrt, gehackt oder abgestellt werden könnte. Es verbreitet seine Inhalte über soziale Medien: Eine Millionen Abonnent*innen hat Nexta auf Telegram, 1,2 Million auf X/Twitter, 1,8 Million auf YouTube, 160.000 auf Instagram.

Über kaum einen Kanal werden Videos, Bilder, Newshäppchen über den Krieg in der Ukraine schneller weitergeleitet als bei Nexta. Vor allem über Telegram ist es, trotz aller Medienkontrolle, in Belarus und Russland zugänglich. Neben Freiwilligen gebe es rund zehn bezahlte Stellen, sagt Chefredakteur Stepan Putilo: »Die belarussische Staatspropaganda hat nicht glauben können, dass es technisch möglich ist, dass so ein kleines Team so viel schafft.« Sie habe deshalb verbreitet, dass Nexta in Wahrheit ein »Zentrum für psychologische Einflussnahme« sei. Finanziert werden die Mitarbeiter*innen im Wesentlichen durch Werbung auf YouTube.

Das kritische Potential kommerzieller Sender

Blickt man in den Globalen Süden, ist die Realität für Medienschaffende oder -aktivist*innen nochmal eine ganz andere. Ihre Arbeitsbedingungen sind von zweierlei Umständen geprägt: Zum einen haben semiautoritäre und autoritäre Regierungen und Regime – und die Staaten des Globale Südens sind in ihrer großen Mehrheit von solchen regiert – meist keine Skrupel, kritische Journalist*innen zum Schweigen zu bringen. Oder kritische Medien werden gar nicht zugelassen. Und zum anderen gibt es in der Regel keine ausreichend große Mittelschicht, die über Abos, Spenden oder Anzeigen imstande wäre, den Betrieb solcher Medien halbwegs auskömmlich zu finanzieren.

Im Globalen Süden wird die Funktion kritischer Medien – unterdrückte Nachrichten verbreiten, Herrschende kritisieren oder Marginalisierten eine Stimme geben – entsprechend auf anderen Wegen erfüllt.

Das Bild ist hierbei höchst amorph. Die Forschung beschreibt unter anderem »indigene« Alternativmedien, »Community Media«, oder »Social Movements«-Media. 2010 versuchte ein britisches Forscherteam Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Alternativmedien im Globalen Süden und Norden zu beschreiben. Die Studie »Comparing Alternative Media in North and South« untersucht zwei Beispiele: Erstens das Weltbank & IWF-Watch-Portal IFIwatchnet, zweitens das Bündnis vier regionaler afrikanischer Indymedia-Projekte, IMC Africa. Beide existieren heute nicht mehr. Das Fazit der Forscher*innen damals: Während Alternativmedien aus dem Norden »eher auf ‚marginalisierte‘ Identitäten, fließende Organisationsstrukturen und informelle Strukturen ausgerichtet waren«, artikulierten die Aktivist*innen aus dem Süden »eher ‚Mainstream‘-Identitäten, stützten sich auf stärker strukturierte Formen und waren mit formalisierten Formen der Rechenschaftspflicht verbunden.«

Zu den ökonomischen kamen also kulturelle Differenzen. Das ist heute nicht anders. Viele afrikanische Journalist*innen etwa sehen heute kommerzielle Privatmedien als die kritischen Medien. Weil diese nicht vom Staat kontrolliert werden, stellen sie in ihren Ländern ein teils unschätzbar wichtiges Korrektiv zur Macht der Herrschenden dar.

Im Inselstaat Mauritius etwa wurde am 10. November 2024 ein neues Parlament gewählt. Das Fernsehen ist hier staatlich, für privates Fernsehen gibt es keine Lizenzen. Seit einigen Jahren aber wächst die Zahl der kommerziellen Online-TV- und Radiosender. Um die Verbreitung von Fake News zu stoppen, ordnete die Regierung des Mauritian Alliance (MA) Parteienbündnisses für die zehn Tage vor den Wahlen eine Sperre von Social Media an. Die Online-Sender berichteten indes weiter – und kritisierten den der MA angehörenden Premierminister Pravind Kumar Jugnauth scharf. Am Ende verlor die MA 46 ihrer 48 Parlamentssitze, die Alliance du Changement, angeführt von der Labour Party, bekam 60 der 66 Sitze. »Die Online-Medien haben alle Verfehlungen der Regierung aufgedeckt,« sagt dazu ein mauretanischer Journalist, der selber bei der staatlichen Mauritius Broadcasting Corporation-Holding arbeitet.

Vom Aus­land unterstützt

Oft ist für Alternativmedien im Globalen Süden heute westliche Unterstützung zentral. In Niger etwa gehören die Onlinezeitung Aïr Info und das dazugehörige Privatradio Sahara.Fm mit rund zwanzig Mitarbeiter*innen zu den wichtigsten Informationsquellen. Der Leiter Ibrahim Manzo Diallo ist ein vielgefragter Ansprechpartner für die journalistische Recherche und Menschenrechtsbeobachtung. Das Medium ist im Land und international eng mit sozialen Bewegungen verzahnt, etwa mit dem Alarmphone Sahara. Aïr Info wird vom in Amsterdam ansässigen Fonds Freepress Unlimited gefördert, welcher unabhängige Medien unter anderem mit Mitteln der EU, der britischen Regierung und der UNESCO unterstützt.

Oft ist für Alternativ­medien im Globalen Süden westliche Unter­stützung zentral

Das Dandal Kuru-Radio im nordnigerianischen Maiduguri berichtete ab 2014 vor allem zu den Umtrieben der islamistischen Boko Haram, die die Region terrorisiert. Man wolle »gewalttätigem Extremismus entgegenwirken«, die »Narrative der Boko-Haram-Aufständischen zurückdrängen« und »den Gemeinden im Nordosten Nigerias helfen, aus der schrecklichen Situation, die durch den Aufstand entstanden ist, herauszukommen«, schrieb der mittlerweile geschlossene Sender in seiner Selbstdarstellung. Für die Bewohner*innen der Region waren die Infos teils von existenzieller Bedeutung. Gleichzeitig war das Radio der Terrorgruppe ein Dorn im Auge und mit seinen Büros sicht- und angreifbar. Es war unfassbar mutig von den Mitarbeiter*innen, vor Ort zu bleiben. Möglich war der Sender nur, weil die Privatsendergruppe Freedom Radio für den Aufbau von Dandal Kuru westliche Finanzierung bekam.

Sparten­sender und Internet

Ein anderes Phänomen in diesem Kontext sind Spartensender westlicher Medien. Ein Beispiel dafür ist Ruanda, wo der seit dem Jahr 2000 autoritär regierende Paul Kagame hart gegen Kritiker*innen vorgeht. Wichtige Orte vergleichsweise offener Kritik sind daher heute etwa Radio France Internationale, BBC Kinyarwanda und Voice of America, die mit ihren Programmen in den Sprachen Kirundi und Kinyarwanda durchaus »alternative«, kritische Berichterstattung zu den von der Regierung kontrollierten Medien Ruandas bieten.

Eine offene Frage ist, wie lange und in welchem Umfang es noch internationale westliche Medienförderung geben wird: In den USA werden staatliche Ausgaben radikal zurückgeschnitten, in Europa werden die Entwicklungsausgaben zugunsten etwa von Militärausgaben gekürzt. Dazu geraten die öffentlich-rechtlichen Medien insgesamt zunehmend unter Druck.

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Die alternative Medienszene Ruandas ist heute eine Mischung aus lokalen und in der Diaspora ansässigen Stimmen. Denn natürlich existieren kritische Medien auch im Land selber: Von unabhängigen Websites wie The Chronicles Rwanda und Blogs bis hin zu Social-Media-Kanälen und Community-Radiosendern. Innerhalb Ruandas leiden sie oft unter staatlicher Zensur, Überwachung und juristischen Schikanen. Sie müssen vorsichtig sein, um nicht den von der Regierung schnell erhobenen Vorwurf der »Spaltung« – gemeint ist die Spaltung der Versöhnungsbemühungen nach dem Genozid von 1994 – auf sich zu ziehen.

Je unabhängiger die Stimmen sind, desto eher sind sie auf Social-Media-Plattformen und internationale Verbindungen angewiesen. Die Plattformen sind dabei oft zu Orten für offenere Diskussionen geworden. Journalist*innen, Bürgerjournalist*innen, politische Kommentator*innen verlassen entweder etablierte Medien, um sich auf Facebook, YouTube oder Twitter neu und freier aufzustellen, weil die etablierten Medien von Repression betroffen sind. Oder sie fangen direkt als Social-Media-Persönlichkeiten an, um sich die Mühe zu ersparen, unter widrigen Umständen ein neues Medium aufbauen zu müssen.

Doch auch für Äußerungen in den Sozialen Medien müssen sie Repression fürchten. 2021 etwa wurde Yvonne Idamange in Kigali zu 15 Jahren Haft verurteilt. Die damals 42-jährige Mutter von vier Kindern hatte über ihren äußerst reichweitenstarken YouTube-Kanal heftige Kritik an der Genozid-Gedenkpolitik der Kagame-Regierung geübt. Die Anklage warf ihr deshalb »Anstiftung zu Gewalt und Aufruhr, Verunglimpfung von Gedenkstätten für den Völkermord, Verbreitung von Gerüchten und tätlicher Angriff« vor. Allein 2020 zählte Human Rights Watch acht ähnliche Fälle von Personen, die wegen politischer Äußerungen in Sozialen Medien in Ruanda verhaftet oder anderweitig vom Staat verfolgt wurden.

Information und Desin­formation

Noch einmal schwieriger ist die Lage dort, wo Krieg herrscht. In Sudan waren in der kurzen Phase nach dem Sturz des Diktators al-Bashir im April 2019 und dem Beginn des jüngsten Bürgerkriegs vor allem im Netz Medien zu neuer Blüte gelangt, die eng mit der Musik- und Kunstszene verwoben und teils von Künstler*innen selber betrieben wurden. Hierzu zählt etwa die 2015 gegründete bilinguale Plattform Andariya die über »Graswurzelthemen, mit einer Mischung aus positiven und kritischen Perspektiven auf Gender, Technologie, Kunst, Kultur« berichtete.

Nach dem Beginn des Krieges verlagerte sich der Fokus der alternativen sudanesischen Medien auf die Berichterstattung über die Lage im Land. Dabei hat der Krieg die Arbeit der Medieninstitutionen im Sudan fast vollständig lahmgelegt, insbesondere in den Konfliktgebieten. Im April 2024 gründeten unabhängige Journalist*innen und Medienorganisationen das Sudanese Media Forum, um gegen die von den Kriegsparteien betriebene Desinformation zu kämpfen. Der Krieg habe nicht nur zur Einschränkung der Pressefreiheit geführt, sagte Kamal Elsadig, der Chefredakteur von Radio Dabanga im April 2024. »Beide Konfliktparteien führen einen Propagandakrieg, der zu einem Medienchaos geführt hat.« Die beiden Kriegsparteien hätten »Dutzende von Websites und gefälschte Konten auf Social-Media-Plattformen erstellt, um den Informationsfluss zu kontrollieren und falsche und irreführende Nachrichten, Hassreden und Rassismus zu verbreiten.« Das Sudanese Media Forum wolle »verifizierte Geschichten veröffentlichen«, um dem entgegen zu wirken.

Damit nimmt es sich vor, was künftig eine der wichtigsten Aufgaben gleichermaßen etablierter wie alternativer Medien sein dürfte: Der Kampf gegen explodierende globale Desinformation.

Christian Jakob ist Redakteur der taz und lebt in Berlin.

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