»Ich wäre gerne eine glückliche Feministin«
Alexia Buendia vom Städtischen Fraueninstitut hat Hoffnung auf mehr feministische Politik in der mexikanischen Grenzstadt Ciudad Juarez, Mexiko
Audiobeitrag von Kathrin Zeiske
04.03.2025
In Mexiko ist mit Claudia Sheinbaum zum ersten Mal eine Frau Präsidentin. Und mit ihr steht zum ersten Mal der Kampf gegen Gewalt gegen Frauen auf der Regierungsagenda. Dabei blickt Mexiko auf eine traurige Geschichte von Femiziden zurück. In der Grenzmetropole Ciudad Juarez wurden schon Anfang der 1990er Jahre Fabrikarbeiterinnen systematisch ermordet - aus Hass, weil sie Frauen waren. Alexia Buendia ist in der »Stadt der Frauenmorde« groß geworden. Die junge Frau ist heute Pressesprecherin des Städtischen Fraueninstituts. Dort werden Frauen mit Gewalterfahrungen betreut.
Skript zum Audiobeitrag
Erstausstrahlung am 4. März 2025 im südnordfunk #130
Sprecherin: In Mexiko ist mit Claudia Sheinbaum zum ersten Mal eine Frau Präsidentin. Und mit ihr steht auf einmal der Kampf gegen Gewalt gegen Frauen auf der Regierungsagenda. Dabei blickt Mexiko auf eine traurige Geschichte von Femiziden zurück.
In der Grenzmetropole Ciudad Juarez wurden schon Anfang der 1990er Jahre Fabrikarbeiterinnen systematisch ermordet - aus Hass, weil sie Frauen waren. Alexia Buendía ist in der »Stadt der Frauenmorde« groß geworden. Die junge Frau ist heute Pressesprecherin des Städtischen Fraueninstituts.
Alexia Buendia: Ich bin ein großer Fan von ihr. Ich mag die Art, wie sie spricht, die Dinge, die sie tut, nicht alles, ich stimme nicht allen ihren politischen Projekten zu. Aber sie ist die erste Präsidentin hier in unserem Land. Ich bin stolz auf sie. Als junge Frau habe ich das Gefühl, dass sie uns Hoffnung gibt, sie gibt uns einen Grund, weiterzukämpfen, nicht aufzugeben.
Sprecherin: Claudia Sheinbaum sagt selbst, dass sie es nicht alleine ins mexikanische Präsidentenamt geschafft habe, sondern dass dies unzählige Frauen vor ihr und mit ihr gemeinsam erreicht haben.
Alexia Buendia: Ich bin glücklich, dass wir sie haben. Ich habe eine Schwester, sie ist 12 Jahre alt, und ich habe ihr immer gesagt, du kannst tun, was immer du willst, du kannst sein, was immer du willst … Und jetzt ist es Realität, jetzt gibt es wirklich diese Option. Wenn du Präsidentin werden willst, kannst du das erreichen. Es ist nicht so, als ob es eine theoretische Möglichkeit gäbe. Wir können nicht nur davon träumen, sondern wir sehen es. Ich glaube, das hat eine ganz andere Wirkung auf Mädchen.
Sprecherin: Frauen in Mexiko sollen gleichberechtigt und ohne Angst vor Gewalt leben können. Dafür ließ Präsidentin Claudia Sheinbaum eigens ein Frauenministerium schaffen. Ihre Parteigenossin Citlali Hernandez machte sie mit gerade einmal 34 Jahren zur ersten Frauenministerin des Landes. Hernandez startete ihre bundesweite Dialogreise in Ciudad Juarez, wo seit 30 Jahren Frauen umgebracht werden, weil sie Frauen sind.
Alexia Buendia: Sie nimmt uns ernst und will unsere Meinung hören, das ist ziemlich wichtig. … Ich denke, es passieren gute Dinge, und ich denke, es wird auch noch mehr passieren. Was mir gefällt, ist, dass sie nicht mit fertigen Antworten hierhergekommen ist. Sie geht Schritt für Schritt vor. Sie sagt uns, seid geduldig, aber seid gewiss, wir arbeiten daran…

Sprecherin: In Mexiko werden jeden Tag zehn Frauen umgebracht. Dies soll sich nun ändern. Aber wie, das ist die große Frage. Oftmals geht einem Femizid eine Gewaltspirale voraus. Die Mörder sind meistens Partner oder Ex-Partner der Opfer. Suchen Frauen Hilfe, so wenden sie sich oft an das städtische Fraueninstitut, wo sie kostenlose psychologische und legale Beratung finden. Alexia hat dort einst als Praktikantin angefangen.
Alexia Buendia: Ich arbeite seit so etwa sechs Jahren hier. Ich bin mir nicht sicher, aber ja, ich war circa zwanzig und heute bin ich 27 Jahre alt. Ich denke, ich selbst bin das Ergebnis des Vertrauens so vieler Frauen auf meinem Weg. Als ich 18 war, wusste ich nicht einmal, was Gender überhaupt ist. Ich war auch gegen Feminismus. Aber als ich anfing, mich damit zu beschäftigen, dachte ich, das habe ich ja auch alles durchgemacht, ich bin selbst Opfer gewesen, ich war selbst unsolidarisch mit anderen Frauen. Da hat es bei mir klick gemacht.
Sprecherin: Alexia muss als Pressesprecherin des Instituts über alles informiert sein, was in der Stadt passiert. Oft fühlt sie sich überwältigt, täglich von so viel Gewalttaten zu hören. Denn Ciudad Juarez ist eine der gefährlichsten Städte der Welt, beherrscht von den Kartellen. Und die Stadt mit den meisten Frauenmorden in Mexiko.
Alexia Buendia: Hier im Institut muss ich eine Alexia sein und wenn ich nach Hause gehe, muss ich abschalten und quasi ein anderer Mensch sein, das ist schwer. Ich wäre gerne eine glückliche Feministin. Ich versuche, stark für andere Frauen zu sein, die das brauchen. Ich habe hier eine gute Zeit mit euch, aber dann gehe ich durch das Gebäude und sehe die Frauen, die darauf warten, mit den Anwältinnen zu sprechen und von den Psychologinnen empfangen zu werden. Und ich sehe ihre Gesichter und ich sehe den Schmerz, den sie durchmachen. Ja, das macht mich wütend und traurig, aber ich muss weitermachen, so wie wir alle hier.
Sprecherin: In vielen Regionen Mexikos hängen Femizide mit der Präsenz der Kartelle in der Gesellschaft zusammen. Sie verbreiten Gewalt und garantieren Straflosigkeit. Die Kartelle sind aber auch verantwortlich für eine Renaissance des Machismus, denn in ihren Strukturen herrscht das Recht des Stärkeren. Es gibt eine ganze Musikindustrie, die das besingt und antiquierte Rollenbilder vermittelt: Frauen müssen ein perfektes Aussehen haben, sind darüber aber auch Konsumware und völlig austauschbar. Eine Partnerin soll eine Oase in der Welt der Gewalt schaffen und nur für Mann und Kinder da sein.
In vielen Regionen Mexikos hängen Femizide mit der Präsenz der Kartelle in der Gesellschaft zusammen.
Alexia Buendia: Wir nehmen so viele Fälle auf, wo Gewalt zuhause stattfindet. Aber in unzähligen dieser Fälle ist der Aggressor auch gleichzeitig im organisierten Verbrechen tätig. Oft heißt es, wir haben diese Woche einen Mann wegen illegalem Waffenbesitz festgenommen, er war aber auch schon wegen häuslicher Gewalt vorbestraft. Oder: Bei jener Person wurden Drogen gefunden, aber es liegt auch schon eine Anzeige wegen häuslicher Gewalt vor. Da gibt es einen Zusammenhang, Männer in den Kartellen sind Aggressoren. Frauen werden geschlagen, kontrolliert. Sie gelten als Objekt, als Besitz, und werden auch so behandelt. Es sind dieselben Dynamiken im Kartell und zuhause. Männer müssen Machos und knallhart sein, es geht um Macht, und diese wird dann auch ausgeübt, wenn sie nach Hause kommen.
Sprecherin: Im Kampf gegen Frauenmorde kann Ciudad Juarez heute als Vorbild gelten. Wenn auch die Gewalt nicht abgenommen hat, gibt es doch viele Errungenschaften, die auf dem nun schon über 30 Jahre alten Kampf der Mütter von verschwundenen und ermordeten Frauen und Mädchen beruhen. So konnte Mexiko als Staat vor dem Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof wegen der aktiven Vertuschung von Femiziden verurteilt werden. Es gibt deshalb ein weltweit einzigartiges Mahnmal gegen Femizide und eine Sonderstaatsanwaltschaft gegen Gewalt gegen Frauen. Doch das Mahnmal ist in der eigenen Stadt kaum bekannt und die Erfolge der Staatsanwaltschaft lassen zu wünschen übrig. Das Fraueninstitut hat es sich zur Aufgabe gemacht, dessen Arbeit zu beaufsichtigen.
Alexia Buendia: Wir sind eine der Institutionen, die sie dazu anhalten, ihre Arbeit zu machen, und so gut, wie sie können. Ich würde nicht sagen, dass wir Verbündete sind, aber wir lernen, empathisch miteinander zu sein. Wenn ich die Frauen sehe, die dort arbeiten, sehe ich, dass sie auch müde sind. Es sind auch Frauen und auch Menschen. Und selbst wenn ich wütend auf sie bin, weil ich denke, dass sie ihre Arbeit nicht so gut machen, wie sie sollten, sehe ich sie und denke mir, ich verstehe dich, du bist auch müde. Manchmal sitzen wir am selben Tisch mit männlichen Polizisten, und dann sehe ich, dass ihre Blicke sagen, dass ist alles eure Schuld.
Als Aktivistin stimme ich zu, dass wir einfach nicht genug tun, aber das heißt nicht, dass wir gar nichts tun. Ich verstehe die Mütter so sehr, dass sie wütend sind. Aber ich habe auch Verständnis für die Ermittlerinnen als Menschen. Sie müssen ihre Arbeit besser machen. Doch vieles hängt vom politischen Interesse ab. Ich verstehe ihre Argumente, oft sagen sie, dass sie mehr Geld für Ermittlungen bräuchten und dass sie einfach keines bekommen. Als Angestellte haben wir nun mal keine Möglichkeit, die Höhe des Budgets unserer Institution festzulegen.
Sprecherin: Das Fraueninstitut gibt auch Fortbildungskurse für die städtischen Polizeieinheiten, um diese in Genderfragen zu sensibilisieren. Sie sollen Frauen beiseite stehen gegen häusliche Gewalt. Keine leichte Aufgabe, denn auch unter den Beamten gibt es viel Machismus. Und Notrufe von Frauen, wenn Männer zuhause gewalttätig werden, werden oft nicht ernst genommen.
Alexia Buendia: Wir müssen ihnen sagen, wie wichtig es ist, dass sie die Notrufe annehmen. Und bitte nicht den Frauen die Schuld geben sollen. Das kommt so häufig vor, dass die Beamten nicht wissen, wie sie sich korrekt verhalten sollten. Sie kommen dorthin, und die Frau bereut den Anruf, und sie sind sauer: Warum sind wir denn extra hergekommen? Sie sollten sich freundlich und vertrauenserweckend gegenüber den Frauen zeigen: ‚OK, diesmal ist alles gut, aber Sie können jederzeit anrufen, wenn Sie uns brauchen.‘
»Das ist keine Handlungsoption, das ist deine Pflicht.«
Wir tun, was wir können, aber sie wollen nicht immer kooperieren. Wenn Beamte aufmüpfig werden, sagen wir es ihnen, und das ist nicht toll, aber manchmal müssen wir auf diese Strategie zurückgreifen, ihnen zu sagen, halte das, wie du willst bei dir Zuhause, aber hier bist du Teil der Exekutive und es ist dein Job, den du erfüllen musst. Das ist keine Handlungsoption, das ist deine Pflicht. Mit der Polizei zusammenzuarbeiten ist eine der schwierigsten Aufgaben überhaupt. Oft bekommen wir ja auch Fälle von Frauen, die mit Polizisten zusammen sind und Opfer häuslicher Gewalt sind. Das ist also eine wirklich zwiespältige und komplizierte Zusammenarbeit.
Sprecherin: Wenn Alexia dann nach einem langen Arbeitstag nach Hause kommt, wird sie oft noch mit Erzählungen von Gewalterfahrungen in ihrem eigenen Umfeld konfrontiert. Nachbarinnen und Cousinen sehen sie als Expertin und wollen ihren Rat hören. Und deren männliche Partner wollen oftmals mit Alexia diskutieren, ob das nicht alles übertrieben sei mit der Gleichberechtigung und dem Feminismus.
Alexia Buendia: Das kann gemein sein, wenn man ihnen dann sagt, ich will in diesem Moment nicht zuhören. Wenn sie mir nicht wirklich nahestehen und mich ganz genau kennen, dann klingt das natürlich gemein. Und noch mehr, weil sie annehmen, dass ich das tun muss. Männer wollen über die Frauen diskutieren, die sich diese Tage „zu viel herausnehmen“. Ich habe mich leidenschaftlich darüber aufgeregt. Ich habe es persönlich genommen, aber dann hat mir eine Kollegin und Mentorin gesagt: In deinem Job wirst du dafür bezahlt dich zu streiten, aber mach das nicht auch noch umsonst.
Das Interview führte Kathrin Zeiske.