Klasse werden
Eine Reflexion über das Elend des italienischen Klassendiskurses
Auch in Italien wurde der Klassendiskurs durch die Hegemonie des Mittelstandes abgelöst. Die Mittelschicht ist scheinbar die einzige soziale Klasse, die es noch gibt. Je prekärer sie wird, desto mehr will man sie retten: Wenn die Mittelschicht untergeht, geht scheinbar alles unter.
Dieser apokalyptische Diskurs richtet sich an eine Öffentlichkeit, die durch das Schreckgespenst der Verarmung gepeinigt wird. Doch die Mittelschicht ist nicht in der Lage, durch Arbeit neue Ressourcen zu akkumulieren. Sie kann mit ihren Fähigkeiten und Verdiensten nicht auf der sozialen Leiter aufsteigen, wohin auch?
Ein Zweifel drängt sich auf: Die weltweite Ausbreitung der Mittelschicht ist kein Siegeszug des steigenden Bruttoinlandsprodukts, welcher zu allgemeinem Wohlstand führt. Vielmehr ist es ein neues Stadium auf dem Weg in die wachsende Armut. Doch niemand scheint sich der fatalen Anziehungskraft der Forderung zu entziehen, demnach die Mittelstandsgesellschaft nur vor der Verarmung der Mittelschicht zu retten sei. Alle übrigen, also etwa die Unterklassen, die sich ja nicht wegdiskutieren lassen, sind anonym, Nicht-Menschen, ersetzbar. Stattdessen ist die Mittelschicht das ideale kollektive Subjekt in der Klassengesellschaft ohne Klassenkampf, also der neoliberalen.
In dem Maße, wie die neoliberale Politik sich durchsetzt, fühlen sich die Mittelschichten der reichen Länder so behandelt, wie es einst den kolonialisierten Gesellschaften vorbehalten war. Dabei ist die Mittelschicht die Hauptkonsumentin der derzeitigen Erzählungen vom Ende der Welt (zwischen Überfremdung und Klimakatastrophe) und damit auch von sich selbst. Darin zeigt sich der Bumerang-Effekt des Kolonialismus: Eine paradoxe Vorstellung, die die ausländerfeindlichen Machthaber*innen Italiens auf die verzweifelten Menschen üb