
Differenzen
Editorial
Wie viel Differenz lässt sich in einem politischen Zusammenhang aushalten? Wo ist die rote Linie? Und wie oft haben sich das Linke schon im Kontext des Israel-Palästina-Konflikts gefragt? Wohl kaum ein anderer Konflikt hat in den letzten 50 Jahren so viele politische Zusammenhänge und Freundeskreise gesprengt. Und es ist keine Überraschung, dass auch wir im iz3w diese Sprengkraft zu spüren bekommen.
Mit dem 7. Oktober 2023 und allem, was danach kam, haben die Fliehkräfte, die an uns allen zerren, weiter zugenommen. Die Diskussionen der letzten eineinhalb Jahre finden vor dem Hintergrund des allzu realen Kriegsgeschehens, dem Leid und dem Sterben in der Region statt.
Wie ließe sich das auch ausblenden? Das iz3w ist ein Ort der intellektuellen und politischen Auseinandersetzung. Wir alle stecken tief in unseren politischen Zusammenhängen, Newsschleifen und Diskussionsgruppen. Und so gern man sich auch die Emotionen in der politischen Debatte wegwünschen würde, beim Nahostkonflikt knallen sie richtig.
Bei uns trifft das auf einen achtwöchigen Redaktionsrhythmus. Mit der Heftproduktion laufen unsere Auseinandersetzungen ergebnisorientiert. Bis Satzbeginn müssen 52 Seiten gefüllt sein, basta. Und dem Israel-Palästina-Thema gaben wir mit dem Blick auf die Größenverhältnisse auf der Landkarte wenig Raum. Aber nach dem 7. Oktober ging das nicht. So war die iz3w 400 das Heft, in dem wir erstmals auf das Massaker der Hamas und anderer islamistischen Gruppen in Südisrael und die folgende Invasion Israels in Gaza reagieren konnten und mussten. Dies gelang, sagen die einen: mit einem Hefteditorial, einem Blick auf die Kriegsrezeption seitens der iranischen Oppositionsbewegung, einem Hintergrundartikel über die Hamas, einem Interview über den Zusammenhang von Antisemitismus und Rassismus, sowie einem Artikel über Probleme des Postkolonialismus. Ein anderer Teil des iz3w fand das Artikelensemble zu »einseitig« oder »polemisch« und wünschte sich mehr Platz für das Kriegsgeschehen in Gaza, sowie eine schärfere Kritik an der israelischen Kriegsführung – drei Personen verabschiedeten sich für eine Ausgabe aus dem Impressum.
Angesichts des Kriegsgrauens ist Uneinigkeit im Kollektiv kaum auszuhalten.
Dem Acht-Wochen-Takt im iz3w ist das alles egal. Uns bleibt nichts Anderes übrig, als uns per Supervision, Mediation und nicht zuletzt den guten alten Diskussionen über das Thema zu verständigen und wieder anzunähern. Das funktioniert, denn wir entdecken die uns einende Motivation, wir sehen unsere wertschätzende Leser*innenschaft, wir machen alle acht Wochen ein spannendes Heft. Bei der Diskussion lernen wir einiges. Ein Blick in die iz3w-Geschichte zeigt, es ist nicht die erste Auseinandersetzung. Vermutlich wird es auch nicht die letzte sein. Außerdem hilft die Rückbesinnung auf unsere selbst auferlegte globale Perspektive, mit Fokus auf ‚den‘ Globalen Süden. Der übergroße Fokus auf Israel-Palästina wirkt dann völlig verzerrt. (Funfact: Das Redaktionsbüro der 2000er-Jahre beherbergte das »Länder-Archiv«, in dem seit 1970 Artikel über alle Länder gesammelt waren. Die meisten Regalmeter hatten dabei nicht etwa die Giganten China oder Indien, sondern Israel/Palästina, das zusammen kleiner ist als Baden-Württemberg.)
Während wir dieses Editorial schreiben, hat die israelische Armee wieder tödliche Bomben auf Gaza abgeworfen und blockiert seit drei Wochen notwendige Hilfslieferungen. 59 Geiseln (weniger als die Hälfte werden als noch lebend vermutet) befinden sich noch im Gazastreifen, die Hamas nutzt die hoffnungslose Lage kriegstraumatisierter Jugendlicher aus, indem sie diese rekrutiert. Ende März wird aber auch erstmals wieder öffentlicher Protest gegen die Hamas im Gazastreifen laut! Angesichts des Kriegsgrauens ist Uneinigkeit im Kollektiv kaum auszuhalten. Man will auf der ‚richtigen‘ Seite stehen, Teil der Lösung sein oder zumindest nicht Teil des Problems. Und dann kommen da noch unsere unterschiedlichen Denkschulen ins Spiel. Das Einzige, was weiterführt, ist: aushalten und weiter diskutieren. Sich dessen vergegenwärtigen, was man gemeinsam schaffen will und dass wir alle ‚blinde‘ Flecken haben; dass wir als Linke alle betroffenen Menschen vor Ort sehen müssen. Und dessen, in welchem Kontext wir streiten: in einer Welt, die autoritärer wird, in einem Deutschland, das sich auf dem Marsch nach rechts und in den Sozialabbau befindet. Niemand profitiert mehr von einer Schwächung linker Kräfte als die Rechten.
Ist jetzt Frieden im iz3w? Wohl kaum. Die krassen Widersprüche in der Welt, etwa in der Auseinandersetzung um Islamismus, holen uns auch hier ständig wieder ein. Das explosive Thema lässt uns nicht in Ruhe, wir diskutieren über Sätze, Formulierungen, Wortwahl. Ist das zu polemisch oder einfach nur emotional? Wird hier Klartext gesprochen oder etwas verharmlost? Wir versuchen dabei die Widersprüche auszuhalten. Schließlich wird man nur in der kontroversen und konstruktiven Diskussion klüger. Und zuletzt hilft der unerbittliche Acht-Wochen-Takt der Redaktionsmaschine über ein paar Differenzen hinweg.
die redaktion, 10.04.2025