
»Die Liebe zur Südsee wecken«
Kolonialrevisionismus und die württembergische Landespolizei
Vor und während des Zweiten Weltkrieges trieb der NS-Staat Planungen für ein neues deutsches Kolonialreich in Afrika voran. Dazu gehörte auch der Aufbau einer Kolonialpolizei. Den Boden dafür bereitete der Kolonialrevisionismus während der Weimarer Republik. Zeigen lässt sich das am Beispiel der württembergischen Landespolizei.
Mit dem Versailler Vertrag verlor das Deutsche Reich 1919 formell die von ihm beanspruchten überseeischen Kolonien an die Siegermächte. Die Kolonialbewegung wie auch die meisten Parteien und staatlichen Stellen forderten jedoch die Revision der entsprechenden Bestimmungen. Dieser Kolonialrevisionismus schlug sich unter anderem in der 1922 einsetzenden Übernahme der »Traditionspflege« nieder. Dabei förderten aktive Einheiten der Reichswehr das Gedenken an frühere koloniale »Schutztruppen«. Bundesstaaten wie Bayern, Bremen, Preußen und Württemberg zogen nach, indem sie in ihren Polizeien die Traditionspflege kolonialer Polizeieinheiten übernahmen.
Die »Rückgabe« der Kolonien gehörte zur NS-Programmatik

Die Traditionswahrung beschränkte sich dabei nicht auf eine rückwärtsgewandte Verherrlichung der Kolonialzeit. Sie sollte die Einheiten vielmehr auch zu Trägern des »kolonialen Gedankens« für die Zukunft machen. Diese Prozesse wurden ab 1933 vom NS-Staat nahtlos fortgesetzt. Dies geschah auch auf ausdrücklichen Wunsch des 1933 von Adolf Hitler eingesetzten preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring. Dessen Vater war einst Kaiserlicher Kommissar für Deutsch-Südwestafrika gewesen. Nun übernahm die 1. Hundertschaft von Hermann Görings politischer Terrortruppe, der »Landespolizeigruppe General Göring« in Berlin, die Tradition der Polizei Deutsch-Ostafrikas. Teile der später zu einer Division der Wehrmacht ausgebauten Landespolizeigruppe kamen unter anderem 1941 auf dem Balkan zum Kriegseinsatz. 1942/43 unterstützten sie das Afrika-Korps von Generalfeldmarschall Rommel in Tunesien.
Die Gründung der Stuttgarter Traditionskompanie
1926 übernahm Württemberg offiziell die »Traditionswahrung« der »Polizeieinheiten der ehemaligen deutschen Südseekolonien«. Dafür wurde eine aktive Einheit der Bereitschaftspolizei gleichzeitig zur »Traditionskompanie« gemacht. Warum übernahm der demokratische Volksstaat Württemberg bereitwillig die Pflege kolonialer Traditionen der Kaiserzeit? Zum einen wurde dies durch personelle Bezüge zur früheren Kolonialherrschaft gefördert. So hatte unter anderem der Kommandeur der Schutzpolizeibereitschaft Stuttgart, Georg Freiherr Seutter von Lötzen, früher im Krieg gegen die Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika gekämpft. Einer seiner Gefechtskameraden, Karl von Klewitz, wurde später Inspekteur der Polizeitruppe Deutsch-Neuguineas.
Zum anderen war die Gründung der Traditionskompanie eingebettet in kolonialpolitische Bestrebungen in Württemberg und ganz Deutschland. Sie wurde finanziell unterstützt vom Leiter der Abteilung für kolonialpolitische Angelegenheiten im Auswärtigen Amt (AA), Edmund Brückner. Dieser war aber aus außenpolitischen Gründen darauf bedacht, dass das Amt nicht öffentlich in Erscheinung trat. Brückner bat nachdrücklich darum, die Begriffe Militär oder Truppe in Bezug auf die Polizei nicht zu benutzen. Denn im Ausland sei man bestrebt, die Polizei »als eine verkappte Militärmacht hinzustellen und versuche, auch die harmlosesten Äusserungen begierig aufzugreifen, um uns daraus Schwierigkeiten zu machen«. Die Zurückhaltung des AA gründete in den Abrüstungsbestimmungen des Versailler Friedensvertrages und ihrer Überwachung durch die interalliierte Kontrollkommission.
Die Traditionspflege hatte mehrere Zielgruppen. Polizeihauptmann Heinrich Eberbach schrieb dazu über die Maßnahmen »der dem Bezirk 2 übertragenen Südsee-Tradition« im Juni 1927: »Die Feier der Traditionsübernahme war geeignet, in jedem Wachtmeister des Bezirkes Liebe und Sinn für die Tradition der Landespolizei der Südsee, deren Träger er nun war, zu wecken.« Dafür wurde auch ein ‚Kolonialheim‘ in der Stuttgarter Polizeikaserne eingerichtet, in welchem Fotos und Objekte aus der Südsee ausgestellt waren und welches über eine Bücherei verfügte. Den Polizisten wurde ‚Traditionsunterricht‘ erteilt und mit den örtlichen kolonialen Vereinen wurden Vorträge und Feste organisiert. Die Tätigkeiten, die schrittweise auf die gesamte Polizei ausgedehnt werden sollten, wurden bis mindestens 1941 fortgesetzt.
Eine Gedenktafel und ein Machtwechsel
Weiteren Schwung bekamen diese Bemühungen, als 1928 eine große Kolonialtagung in Stuttgart stattfand. Am 3. Juni 1928 wurde eine Gedenktafel für die in der Südsee gestorbenen Deutschen im Innenhof des neuen Schlosses enthüllt. Ihre Inschrift lautet: »1885 / 1918 – Zur Erinnerung an alle die in der Südsee für Ehre und Ruhm des deutschen Vaterlandes ihr Leben ließen. Den Toten zum Gedächtnis – Den Lebenden zur Mahnung«. Mit »alle« waren nur Deutsche gemeint. Die Tafel wurde anschließend an der Polizei-Kaserne angebracht.
Die Kolonialbewegung wandelte sich in den Jahren nach der Machtergreifung der NSDAP. Im Mai 1936 löste sich die Deutsche Kolonialgesellschaft auf und ging praktisch in den NS-kontrollierten Reichskolonialbund über. Dieser wurde eine Massenorganisation mit über zwei Millionen Mitgliedern im Jahr 1941. Hierbei half das württembergische Innenministerium, das alle Beamten zum Beitritt aufforderte. Auch sollte die kolonialpolitische Schulung innerhalb der Polizei intensiviert werden, wie das Innenministerium unter Bezugnahme auf Runderlasse des Reichsführers-SS und Chefs der deutschen Polizei, Heinrich Himmler, anordnete.
Aufbau einer NS-Kolonialpolizei
Während der NS-Herrschaft wurden wie erwähnt Planungen für ein neues deutsches Kolonialreich in Afrika vorangetrieben. Sie hatten nachgeordnete Priorität, zogen sich aber weit in den Zweiten Weltkrieg hinein. Ein Bestandteil war, dass ab spätestens 1936 die Bemühungen zur Aufstellung einer Kolonialpolizei intensiviert wurden.
Ein Entwurf eines Polizeiverwaltungsgesetzes sollte vorbereitet werden und die erste Personalplanung begann. Ab 1938 wurden Kolonial-Sonderkurse für Polizeibeamte abgehalten. 1939 meldeten sich reichsweit 380 Offiziere und 2.000 Wachtmeister als Freiwillige für eine zukünftige Kolonialpolizeitruppe. Hier trug die Traditionspflege also Früchte.
Die Schulungen wurden ab 1941 in den Kolonialpolizeischulen Oranienburg und Wien konzentriert, 1943 angesichts des Kriegsverlaufs aber wiedereingestellt. Die »Aufstandsbekämpfung« war ein wesentlicher Schulungsinhalt. Eine Reihe von Lehrgangsteilnehmern bildete dementsprechend später den Kern des III. Bataillons des SS-Polizeiregiments 5, das in Serbien eingesetzt wurde.
Von den Polizisten wurde für den Kolonialdienst eine besondere »Charakterfestigkeit« gefordert, um sich den »schädlichen Einflüssen« einer »rassefremden Lebensgemeinschaft« entziehen zu können, wie es im NS-Jargon hieß. Wichtig für die Ausbildung war auch die Zusammenarbeit mit Italien. In Tivoli bei Rom betrieb Italien eine Kolonialpolizeischule für den Einsatz in der Kolonie Libyen. Auch hier waren die »Rasse-Beziehungen« und die »Aufstandsbekämpfung« zentrale Lehrinhalte. 150 deutsche Teilnehmer wurden zwischen 1940 und 1943 zu Lehrgängen nach Tivoli geschickt.
Die Südsee-Gedenktafel nach 1945
Die Südsee-Gedenktafel überdauerte das Weltkriegsende an der Stuttgarter Moltkekaserne. Nach deren Abriss 1967 ließ sie der Bundeswehr-Standortälteste aus dem Schutt bergen. Anschließend ließ er sie am Gebäude der Standortkommandantur in Stuttgart-Bad Cannstatt anbringen. Diese befand sich ausgerechnet in der Rommelstraße, benannt nach Erwin Rommel, der 1941 bis 1943 das Deutsche Afrikakorps kommandiert hatte.
An der Einweihung nahmen Mitglieder des »Traditionsverbandes der ehemaligen Schutz- und Überseetruppen« mit Kolonialfahnen teil. Eingebunden war die Zeremonie in ein gemeinsames Treffen mit dem Veteranenverband des Deutschen Afrikakorps, dem dort ebenfalls eine Gedenktafel gewidmet war. Dabei wird deutlich, dass die Tafel nicht allein für die in der Südsee gestorbenen Deutschen stehen sollte, sondern für das deutsche Kolonialmilitär und letztlich für den deutschen Kolonialismus im Allgemeinen. Mittlerweile befindet sich die Gedenktafel im Garnisonmuseum Ludwigsburg.