»Die Unsicher­heit ergibt einen Cocktail, der jederzeit explodieren kann.«

Mehr zum aktuellen Konflikt im Osten der DR Kongo im Interview mit dem Ökonom und Leiter des Pole Institute Dr. Nene Morisho und Rouddy Kimpioka

Audiobeitrag von Lars Springfeld und Antonia Vangelista

03.04.2025

So wirklich ruhig scheint es in der Demokratischen Republik Kongo, im Zentrum des afrikanischen Kontinents, nie zu sein. Aber seit Anfang diesen Jahres ist die Situation im Osten des Landes weiter eskaliert. Eine bewaffnete Rebellengruppe, die M23, hat mehrere Städte in Ostkongo eingenommen. Nach Regierungsangaben sind dabei 7.000 Menschen gestorben, knapp 780.000 Menschen sind auf der Flucht. Mehr zur Lage im Interview mit dem Ökonom und Leiter des Pole Institute Dr. Nene Morisho und dem Sozialunternehmer und Aktivisten Rouddy Kimpioka.


Skript zum Audiobeitrag

Erstausstrahlung am 1. April 2025 im südnordfunk #131

 

Interview mit Rouddy Kimpioka

südnordfunk: In den deutschen Medien ist dieser Konflikt oft eine Randnotiz – anders als in den Diskussionen, im Whatsapp-Status, Protesten und Instagram-Stories von Kongoles*innen vor Ort und in der Diaspora. Einer, der auf die Situation aufmerksam machen will, ist Rouddy Kimpioka. Er lebt in Lesbos in Griechenland und engagiert sich dort seit Jahren für die Gemeinschaft von geflüchteteten und einheimischen Menschen. Jetzt macht er den Konflikt in seinem Heimatland zum Thema. Er hat einen Aufruf gestartet, um auf die Situation in der Demokratischen Republik Kongo, speziell im Osten, in Nordkivu, aufmerksam zu machen. Der Aufruf richtet sich an eine globale Öffentlichkeit, aber insbesondere an Aktivist*innen und Journalist*innen. Ein Zitat aus dem Aufruf lautet: »This platform is a call to communities worldwide, to come together, take meaningful action and support the congolese people who are fleeing war and violence.«

Was war deine Motivation?

Rouddy Kimpioka: Ich habe an vielen Protesten in Belgien und Frankreich teilgenommen, die von der kongolesischen Diaspora organisiert wurden, um auf die Situation aufmerksam zu machen. Aber die Menschen protestieren nur und tun dann nichts. Deshalb habe ich diese Kampagne gestartet, um das Bewusstsein zu schärfen, ein globales Netzwerk aufzubauen, echte Maßnahmen zu ergreifen und vom Protest zur echten Aktion überzugehen. Wir brauchen einen Aktionsplan. Wir protestieren, aber was kommt danach? Mein Ziel ist es, die Situation zu erklären, weil die Situation in Afrika nicht genug in den Medien auftaucht. Sie berichten vielleicht über die Krise, aber sie gehen nicht wirklich in die Tiefe, um die Menschen darüber zu informieren, was dort passiert und warum viele Afrikaner*innen nach Europa kommen. Es gibt also eine Informationslücke.

Wie blickst du von der Diaspora nun auf den aktuellen Konflikt, den Vormarsch der M23 Rebellen und ihre offene Unterstützung durch Ruanda ?

Es ist kein Krieg, es ist nicht so, dass Ruanda gegen den Kongo kämpfen will. Es ist eher ein Geschäft um die Mineralien, das auf einem imperialistischen System von Amerika und Europa und China aufbaut. Diese Politik hat Belgien seit der Kolonialzeit in die Demokratische Republik Kongo gebracht. Das ist nichts Neues. Dieses System besteht immer noch, und noch immer profitieren am Ende Amerika und Europa davon.

Die EU hat nun Sanktionen gegen Ruanda erlassen. Ist das ein Schritt in die richtige Richtung?

Vor vielen Jahren schon hat die Europäische Union Sanktionen gegen Menschen in der Demokratischen Republik Kongo verhängt. Aber diese Menschen sind immer noch dort. Sie haben sie einige Jahre lang sanktioniert und dann die Sanktionen aufgehoben, und nichts hat sich geändert. Heute will die Europäische Union Ruanda sanktionieren. Aber im Dezember oder Januar erst haben die Europäische Union, Frankreich und Belgien Ruanda Geld gegeben. Auch Großbritannien hat Ruanda Geld gegeben. Und zwar, um Menschen nach Ruanda zurückzuschicken. Dafür haben sie Ruanda Milliarden bezahlt. Und jetzt sagen sie, dass Ruanda Rebellen unterstützt. Natürlich ist das eine Schein-Sanktion, es gefällt mir nicht.

Was erwartest du von einer europäischen Öffentlichkeit? Wie können wir hier deiner Meinung nach aktiv werden, um uns für einen Frieden in der Demokratischen Republik Kongo einzusetzen?

Ich glaube, das Wichtigste wäre, kongolesische Menschen ins Parlament zu bringen, um über die Situation zu sprechen. Uns dorthin zu bringen, um uns anzuhören. Wir brauchen die Möglichkeit, uns im Europäischen Parlament zu äußern. Wir müssen dort sprechen, nicht nur draußen. Wir sind es leid, draußen zu sein. Denn sie sind drinnen und treffen Entscheidungen und wir sind draußen und protestieren. Wir wären also wirklich froh, wenn diese Politiker uns die Möglichkeit geben würden, teilzunehmen an den Debatten. Dann werden wir sehen, was wir mit den Menschen besprechen werden, die Entscheidungen über unser Leben, unseren Frieden, unsere Situation treffen. Wir sind es leid, unter der Sonne, im Schnee oder in der Kälte zu protestieren.

Ein Motorrad transportiert Matratzen, auf einem anderen sitzt eine Frau mit Baby. Im Hintergrund Häuser.
Während der Kämpfe zwischen Militär und M23 mussten viele Menschen im Osten Kongos ihre Dörfer und Häuser verlassen – knapp 780.000 Menschen sind auf der Flucht. | Quelle: Pole Institute

Interview mit Nene Morisho

südnordfunk: Nene Morisho lebt in Goma, der Großstadt, die als erste von den M23-Rebellen eingenommen wurde. Dort leitet er das Pole Institut, dass sich für interkulturelle Verständigung und Frieden in der Region einsetzt. Zudem ist er Professor für Ökonomie in Goma und Bukavu.

Bevor wir über die Rebellion der M23 sprechen, könntest du uns kurz die beiden Städte in ihren regionalen Kontext einordnen? In welcher Region befinden wir uns hier?

Dr. Nene Morisho: Goma liegt am Schnittpunkt zwischen dem Einfluss von Kinshasa, der Hauptstadt des Landes, und dem östlichen Teil des Kontinents. Die Stadt ist viel stärker nach Osten ausgerichtet, und diese wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Goma und dem Osten, auch zwischen Bukavu und dem Osten des Kontinents, erklären meiner Meinung nach die wirtschaftliche Dynamik, die man in der Stadt Goma und in der Stadt Bukavu sieht. Es gibt eine Unternehmerkultur, wie man sie in Uganda, Ruanda und Kenia kennt.

Zur aktuellen Situation vor Ort: Wie geht es jetzt der Bevölkerung, nachdem die M23 Rebellen Goma und auch Bukavu eingenommen haben?

Die Bevölkerung hat keine andere Wahl, als mit den Rebellen zu leben, aber sie steht vor zwei großen Problemen. Das erste ist die Unsicherheit in den großen Städten, in Goma und Bukavu. Man hat den Eindruck, dass diese Städte völlig aufgegeben wurden. Es gibt fast keine Soldaten und Polizisten in der Stadt. Man hat den Eindruck, dass die M23 nicht darauf vorbereitet war, eine große Stadt wie Goma zu verwalten. Die Unsicherheit wird auch von der M23 selbst verursacht: durch willkürliche Verhaftungen, durch die Entrückung von Fahrzeugen, durch Entführungen von Menschen. Es gibt also eine gewisse physische Unsicherheit, die die Bevölkerung empfindet. Die zweite Unsicherheit, die mit dieser physischen Unsicherheit einhergeht, ist die wirtschaftliche Unsicherheit. Es gibt keine wirtschaftliche Aktivität mehr. Das Geld zirkuliert nicht. Es gibt keine Banken mehr. Und wenn man diese physische und wirtschaftliche Unsicherheit zusammennimmt, ergibt das einen Cocktail, der jederzeit explodieren kann.

Wer sind die Rebellen der M23? Warum diese Rebellion? Was sind ihre Motive?

Ursprünglich ist es eine Gruppe, die hauptsächlich aus der ethnischen Gruppe der Tutsi besteht. Die kongolesischen Tutsi haben eine Reihe von Forderungen. Eine der Forderungen ist natürlich der Schutz der Tutsi-Bevölkerung. Eine andere ist die Rückkehr der kongolesischen Tutsi-Flüchtlinge aus Ruanda in den Kongo. Ihre Hauptforderung ist also der Schutz einer Gemeinschaft, die sich als marginalisierte Minderheit betrachtet.

Daneben gibt es eine regionale Dimension. Ruanda unterstützt die M23 offen, indem sie Truppen schicken. Uganda ist auch beteiligt, aber auf eine verstecktere und hinterhältigere Art und Weise. Die regionale Dimension ist wichtig. Aber es scheint, dass die wahren Gründe für die regionale Unterstützung der M23 nicht genannt werden.

»Die wahren Gründe für die regionale Unter­stützung des M23 werden nicht genannt.«

Ich denke, es geht um den Zugang zu Ressourcen. Das bezieht sich nicht nur auf die Bodenschätze, die im Osten der Demokratischen Republik Kongo reichlich vorhanden sind. Es geht um alle natürlichen Ressourcen im Osten des Landes. Dazu zählen auch die Ackerflächen. Bei der Rebellion der M23 geht es auch darum, sich mit Gewalt Zugang zu diesen Ressourcen und Flächen zu schaffen. Uganda z.B. grenzt im Nordosten an den Kongo, an die Provinz Nord-Kivu. Es ist bekannt, dass Gold aus Nord-Kivu regelmäßig auf betrügerische Weise nach Uganda gelangt. Das Gold aus Ituri wird, sobald es nach Uganda gelangt, zu einem rein ugandischen Produkt. All diese Fragen des Zugangs zu Ressourcen auf regionaler Ebene müssen ernsthaft diskutiert werden.

Für mich gibt es also drei wichtige Säulen, über die wir sprechen müssen, um diese Krise zu verstehen. Es gibt die Säule der natürlichen Ressourcen, die wichtig ist. Aber sie ist nicht die einzige. Es gibt die Säule der Identität, die ernsthaft analysiert werden muss. Und es gibt die Säule der Sicherheit für die Länder der Region, die Dynamik der regionalen bewaffneten Gruppen im Osten des Kongo. Das ist ein ernstes Problem. Wenn wir eine dauerhafte Lösung für den Konflikt finden wollen, dann müssen all diese Probleme zusammen analysiert werden .

Gibt es Hoffnung, dass sich die Situation beruhigen wird? Was bräuchte es deiner Meinung nach für eine Lösung des Konflikts, für einen Frieden?

Ich denke, es gibt positive Zeichen. Das erste positive Zeichen ist die Tatsache, dass die Regierung in Kinshasa bereit ist, direkt mit der M23 zu verhandeln. Das zweite positive Zeichen ist die Tatsache, dass der ruandische Präsident Pau Kagame und der kongolesische Präsident Félix Tshisekedi sich treffen wollen. Das bedeutet, dass auf beiden Seiten der Wille zu einer Beruhigung der Lage und zu Verhandlungen besteht. Das dritte positive Zeichen ist, dass die M23 nicht weiter vorrückt.

Im Dialog, der sich am Horizont abzeichnet und der irgendwann beginnen könnte, sollte man aufhören, über die Verteilung von Posten zu diskutieren, wie es in den verschiedenen Dialogen oft der Fall ist. Man sollte die wahren Ursachen der Instabilität im Osten auf den Tisch legen. Wenn die nicht diskutiert werden, ist nicht viel zu erwarten. Dann dient ein Dialog nur dazu, politische Ämter zu verteilen. Aber einige Jahre später wird der Konflikt wieder aufflammen.

Was sind die wahren Ursachen? Es ist die Frage der Flüchtlinge, die immer wieder auftaucht, der kongolesischen Flüchtlinge, die sich in Ruanda aufhalten. Diese Frage muss ernsthaft behandelt und geklärt werden. Es ist die Identitätsfrage der ruandischsprachigen Bevölkerung im Kongo, die das Gefühl haben, ausgeschlossen und unterdrückt zu werden. Es ist die Frage der Hassrede, die bekämpft werden muss. Es geht auch um die bewaffneten Gruppen in der Region. Ich habe vorhin über die Sicherheitsbedenken der Nachbarländer gesprochen. Diese Frage muss ein für alle Mal geklärt werden. Wenn die strukturellen Ursachen dieses Konflikts nicht angegangen werden, glaube ich, dass es keine Hoffnung gibt, die Region zu stabilisieren.

Was hältst du von Forderungen nach Sanktionen gegen Ruanda? Und wie könnte die europäische Union auch darüber hinaus einen Friedens­prozess unterstützen?

Sanktionen zu verhängen ist einfach. Aber die Herausforderung ist, die Empfehlungen aus den verschiedenen Verhandlungen umzusetzen. Hier liegt das Problem. Welchen Mechanismus können wir einführen? Welchen Mechanismus können die wichtigen Partner, Deutschland, die Europäische Union, Frankreich, die Vereinigten Staaten, einführen, um sicherzustellen, dass die Empfehlungen oder Vereinbarungen diesmal umgesetzt werden? Werden die nicht umgesetzt werden, darf man sich nicht wundern, wenn fünf Jahre später die Instabilität zurückkehrt. Und ich denke, die Unterstützung der großen wirtschaftlichen und politischen Mächte kann viel dazu beitragen, dass es nicht nur gelingt, einen aufrichtigen Dialog zu organisieren, sondern auch, dass die Vereinbarungen des Dialogs anschließend umgesetzt werden.

Zuletzt : Was ist deine Prognose, wie es jetzt weitergehen wird? Werden die M23 dauerhaft in Goma und Bukavu bleiben?

»Es gibt eine kollektive Angst vor der soge­nannten Balkani­sierung.«

Es ist schwierig vorherzusagen, was morgen passieren wird. Die Lage ist sehr kompliziert. Wenn wir danach gehen, was die M23 sagt, ist sie da, um zu bleiben. Wenn sie also bleiben wird, was wird dann passieren? Werden wir zwei Länder haben? Wird es ein föderales System geben, in dem einige Provinzen von der M23 verwaltet werden, und andere von Kinshasa? Was wird genau als nächstes passieren?

Hier im Osten der Demokratischen Republik Kongo herrscht in der Bevölkerung eine kollektive Angst vor dem, was man Balkanisierung nennt, dass das Land in mehrere kleine Teile zerfallen könnte. Und für uns Kongoles*innen ist klar: Wenn die M23 in Goma und Bukavu bleibt, den großen Städten, die sie erobert haben, erleben wir diese Balkanisierung. Alles deutet aktuelle darauf hin, dass sich die Lage in diese Richtung entwickelt, dass die M23 bleiben und Bukavu udn Goma verwalten möchte. Ich bezweifle sehr, dass Kinshasa das akzeptieren kann.

Die Interviews führten Lars Springfeld und Antonia Vangelista.

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