Sie kamen nach der Nelkenrevolution
Die Geschichte der retornados prägt Portugal bis heute
1975 kam eine halbe Million Portugies*innen aus den ehemaligen afrikanischen Kolonien, insbesondere aus Angola und Mosambik, zurück nach Portugal. Die rasche Dekolonisierung nach der Nelkenrevolution vom 25. April 1974 war eine der größten und am wenigsten untersuchten Massenmigrationen in der postkolonialen Geschichte Europas. Welche Spuren hinterließ sie in der Gesellschaft und in der Politik?
Während sich ein Großteil der Welt auf die Entkolonialisierung zubewegte, hielt das portugiesische Regime des Estado Novo unter António de Oliveira Salazar und später Marcelo Caetano an seinen afrikanischen Kolonien fest.
13 Jahre lang führte das Land brutale Kolonialkriege gegen die Befreiungsbewegungen in Angola, Mosambik und Guinea-Bissau. Das kostete Ressourcen. Dazu war fast eine Million Männer aus einer Bevölkerung von nur neun Millionen einberufen worden, um in der Armee zu dienen. Mit der Dauer der Kolonialkriege wuchs die Unzufriedenheit in der portugiesischen Gesellschaft. Sie löste letztlich die Nelkenrevolution aus, welche die Diktatur beendete und den Weg für die Dekolonisierung ebnete.
In der Folgezeit spalteten sich die politischen Fraktionen an der Frage des Umgangs mit den Kolonien zwischen einer föderalistischen, neokolonialen Lösung und der sofortigen Unabhängigkeit der Kolonien. Die portugiesische Bevölkerung jedoch forderte ein Ende der Kriege, und die Befreiungsbewegungen – unterstützt durch die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten, in der Logik des Kalten Kriegs – bestanden auf bedingungsloser Unabhängigkeit. Diese erlangten die ehemals kolonisierten Länder schließlich innerhalb weniger Monate. Doch das verlief alles andere als reibungslos.
Der koloniale Kollaps
Die Entkolonialisierung löste unter den Siedler*innen in den afrikanischen Kolonien Chaos und Panik aus und gipfelte in einer der dramatischsten Massenmigrationen der europäischen Geschichte. Am 7. September 1974 fiel das Abkommen von Lusaka, mit dem Mosambik die Unabhängigkeit zugesprochen wurde, mit einem gescheiterten, rechtsgerichteten Putschversuch weißer Siedler*innen zusammen. Weiße Unabhängigkeits-Gegner*innen griffen unter anderem Schwarze Wohnviertel an und ermordeten Menschen auf offener Straße, woraufhin die Schwarze Bevölkerung sich selbst verteidigte, zum Gegenschlag mobilisierte und weiße Wohnviertel angriff. Diese Gewalt löste eine erste Welle der Abwanderung aus. In Angola spitzte sich die Lage weiter zu, als rivalisierende Befreiungsbewegungen – MPLA, UNITA und FNLA – das Land in einen brutalen Bürgerkrieg stürzten. Die portugiesischen Siedler*innen, die in den eskalierenden Konflikt hineingezogen wurden, flohen mit kaum mehr als den Kleidern, die sie am Leib trugen. Die portugiesische Regierung organisierte Notfallevakuierungen und transportierte tausende Siedler*innen per Flugzeug aus Angola.
Eine gespaltene Gesellschaft
Die dramatischen Umstände der Rückführung der Siedler*innen nach Portugal sowie ihre plötzliche und zahlreiche Ankunft in Portugal im Jahr 1975 hinterließen tiefe Risse in der portugiesischen Gesellschaft. Die Notlage der retornados wurde zu einem Argument der Kritik an der Nelkenrevolution und der Entkolonialisierung. Die ideologisch aufgeladenen Debatten, die darum geführt wurden, prägen bis heute das nationale Gedächtnis und die Politik Portugals.
Als diese halbe Million retornados in Portugal eintrafen, befand sich das Land inmitten des Processo Revolucionário em Curso (PREC). Diese politisch wie ökonomisch unsichere Zeit war geprägt von Zusammenstößen zwischen linken Revolutionär*innen und reaktionären Kräften. Portugal stand am Rand eines Bürgerkriegs. Die Ankunft der retornados verschärfte die sozialen Spannungen weiter. Viele Inlandsportugies*innen sahen in ihnen Profiteur*innen des Estado Novo und seiner Kolonialpolitik, während die Bürger*innen in Portugal unter der wirtschaftlichen Not und der Wehrpflicht in der Diktatur zu leiden hatten. Die Bemühungen der Regierung, ihre Wiedereingliederung durch die Bereitstellung von Wohnraum und finanzieller Unterstützung zu fördern, schürten diese Ressentiments weiter. Viele sahen darin die Fortführung der Privilegien, die die Siedler*innen in den Kolonien genossen hatten. Der Begriff retornado wurde schnell zu einem Stigma und sollte die Rückkehrer*innen als Außenseiter*innen markieren, die auf Kosten der afrikanischen Arbeitskräfte und der Opfer der Diktatur in Portugal zu Wohlstand gekommen waren.
Die doppelte Migrationsgeschichte Portugals
Die Geschichte der retornados ist untrennbar mit der langen Geschichte der portugiesischen Migration verbunden. Im Gegensatz zu anderen europäischen Kolonialmächten gab es von Portugals Seite erst in den 1950er-Jahren nennenswerte Besiedlungsbewegungen in dessen afrikanischen Kolonien, als das Regime des Estado Novo Kolonisierungsprogramme für die arme Landbevölkerung startete. Diese Bemühungen wurden nach dem Ausbruch des Unabhängigkeitskrieges in Angola im Jahr 1961 intensiviert. Siedler*innen galten dem Regime als Garant für die Aufrechterhaltung der Kontrolle über die Kolonien. Während der portugiesischen Kolonisierung Afrikas wanderten jedoch Millionen von Portugies*innen aus Portugal nach Brasilien, in die Vereinigten Staaten und später nach Westeuropa aus. Auf dem Höhepunkt der kolonialen Besiedlung flohen viele illegal nach Frankreich, Luxemburg oder Deutschland, um der Armut oder der Einberufung zu den Kolonialkriegen zu entgehen. Diese Migrationsbewegungen zeigen Portugals ambivalente Doppelrolle als Kolonialmacht und zugleich relativ arme, europäische Nation.
Politsprüche und ihre Geschichte
Ein Spiel für junge und alte Linke – und eine Zeitreise in die Geschichte linker Parolen und Demosprüche
Zum ShopSo ging es auch in der postkolonialen Periode weiter. Auf die Ankunft von fast einer halben Million retornados in den 1970er-Jahren folgte bald die Einwanderung aus ehemaligen Kolonien wie den Kap Verden, Mosambik, Guinea-Bissau und später Brasilien. In der Zwischenzeit entschieden sich viele weiße Rückkehrer*innen für eine erneute Auswanderung und schlossen sich Familienangehörigen in bestehenden portugiesischen, migrantischen Gemeinschaften im Ausland an. Portugal war zudem weiterhin auf die Auswanderung angewiesen, um Wirtschaftskrisen abzufedern. So dienten etwa Rücküberweisungen Ausgewanderter vielen portugiesischen Haushalten als wichtige Einkommensquelle, die den Abstieg in die Armut verhinderte.
In Folge der Finanzkrise von 2008 etwa verließen zwischen 2011 und 2013 mehr als 300 000 Portugies*innen das Land. Viele zog es nach Angola, dessen Wirtschaft aufgrund seines Ölreichtums boomte. Viele von ihnen waren selbst ehemalige Siedler*innen oder Nachkommen von retornados. Sie kehrten in ein einst kolonialisiertes Land zurück, weil es mehr Chancen bot als ihr Heimatland. Eine Diffusion der Nord-Süd-Machtverhältnisse und historischen Rollen erscheint in diesen Migrationsbewegungen, die die doppelte Identität Portugals als ehemaliges Imperium und als eine Nation, die stark von der Migration geprägt ist, unterstreichen.
Vergessene Geschichten
Mit umfangreicher staatlicher Unterstützung integrierten sich die überwiegend weißen, portugiesisch sprechenden retornados schnell in die portugiesische Gesellschaft und bauten sich ein neues Leben auf. Im Schatten dieser Erfolgsgeschichte stehen ärmere und häufig mixed-race Rückkehrer*innen, ganz zu schweigen von den Afrikaner*innen, denen die portugiesische Staatsbürgerschaft entzogen wurde und die auf der Flucht vor Bürgerkriegen und Verfolgung nach Portugal kamen. Das vorherrschende Narrativ der erfolgreichen Integration der retornados drängt diese Geschichten von Vertreibung in den Hintergrund. Diese Verdrängung ist Teil einer nationalen Tendenz des Ausblendens der negativen Aspekten der kolonialen Vergangenheit und den Umwälzungen der PREC-Monate.
Da Portugal zunehmend unter Druck gerät, sich mit seiner Kolonialgeschichte auseinanderzusetzen, hat die Geschichte der retornados das Potenzial, die Komplexität der Vergangenheit zu beleuchten und Solidaritäten jenseits vereinfachender Opfer-Täter-Schemata zu befördern. Am fünfzigsten Jahrestag der Nelkenrevolution wurde ihre Geschichte jedoch durch rechte politische Akteure wie die Chega-Partei wiederbelebt, die die Notlage der retornados benutzen, um Kritik an der Nelkenrevolution zu üben und zugleich Debatten über Einwanderung und nationale Identität zu beeinflussen. Sie ignorieren die Tatsache, dass Portugal selbst eine Nation von Emigrant*innen ist. Einmal mehr werden die retornados zu einem Spielball politischer Kräfte. Ihre Geschichte spiegelt die Brüche in einer Gesellschaft wider, die immer noch mit ihrem postkolonialen Zustand ringt.