»Wir unterziehen diese Fälle einem Wahrheits­test«

Magdalena Kafiar und Leonardo Ijie über gewalt­same Land­nahmen in West Papua

Audiobeitrag von Martina Backes

20.12.2024

Das in Rom ansässige Ständige Völkertribunal PPT* organisiert regelmäßig internationale Tribunale. Im Juni 2024 saß Indonesien auf der Anklagebank – wegen Landraub, gewaltsamer Unterdrückung, Menschenrechts­verletzungen und Umweltzerstörung in West Papua. Der Anwalt Leonardo Ljie ist einer der zentralen Kläger. Magdalena Kafiar hat Menschenrechts­verbrechen in West Papua dokumentiert. Gemeinsam haben die beiden im Oktober vor dem UN Menschenrechtsrat von den Vergehen der indonesische Regierung berichtet. Doch was bringt eine Gerichtsbarkeit außerhalb der von Indonesien anerkannten Rechtsinstitutionen?


Skript zum Audiobeitrag

Erstausstrahlung am 7. Januar 2025 im südnordfunk #128

Leonardo Ijie (L.I.): Wir engagieren uns in West-Papua für die Rettung des Erde und der Ökosysteme sowie der Lunge unseres Planeten. Papua ist die dritte Lunge der Erde, nach dem Amazonas und dem Kongo. Wir sind nach Europa gekommen, um der Welt zu sagen, dass die Lungen der Erde gefährdet sind - und dass das Ökosystem und das Leben auf der Erde durch die globale Erwärmung bedroht ist.

Sprecherin: Leonardo Ljie ist Jurist. Er kommt aus West-Papua und war im Oktober 2024 in Genf, um dort vor dem UN-Menschenrechtsrat zu sprechen. Seine Mission: Der Anwalt hat das Urteil des Permanenten Völkertribunals zu staatlicher und umweltbezogener Gewalt in West Papua vorgestellt.

L.I.: Wir setzen uns dafür ein und sind hier, um das internationale Bewusstsein dafür zu schärfen, die Bedrohungen, denen die Erde ausgesetzt ist, ernst zu nehmen.

Magdalena  Kafiar (M.K.): Was ist das für ein Widerspruch – Indonesien hat das Pariser Klimaabkommen unterschrieben, das im Grunde besagt, Wälder helfen, das Klima zu stabilisieren und auch, Indonesiens Emissionen zu reduzieren. Warum verkauft die indonesische Regierung dann ihre Wälder, die Lungen der Erde?

Sprecherin: Magdalena Kafiar ist Menschenrechtsbeobachterin und verfolgt das gleiche Ansinnen wie Leonardo Ljie.

M.K.: Das ist es, was uns Papuas ratlos macht. Denn Indonesien hat viele Abkommen unterzeichnet, die für unsere Waldgebiete nicht gut sind. Und zugleich eine Erklärungen darüber abgeben, dass Papua Teil der Lunge der Erde ist.

Sprecherin: West-Papua gehört zu den Provinzen Indonesiens, in denen Landnahmen – etwa für den Anbau von Palmöl oder den Export von tropischen Hölzern – für Konflikte sorgen. Unternehmen, die Land meist vom indonesischen Staat in West Papua in einer Weise unterstützt werden, die bei der Bevölkerung auf harsche Kritik stößt:

M.K.: Das zeigt uns, dass der Staat Indonesien nach außen vorgibt, das Pariser Abkommen ernst zu nehmen. Aber uns Papuas, uns Bewohner*innen, sieht Indonesien nicht als Menschen. Sie betrachten unsere Wälder und den natürlichen Reichtum als ein Businessmodell - sie entziehen unserer Erde die Wurzeln, einfach nur, um Einkommen zu generieren.

Sprecherin: Leonardo Ljie ist nicht nur Menschenrechtsanwalt – er ist auch einer der Ankläger des Ständigen Volkstribunals PPT* im Fall zu West Papua, der Mitte 2024 verhandelt wurde. Reverend Magdalena Kafiar engagiert sich seit vielen Jahren für Menschenrechte in West Papua, sie ist Koordinatorin für die Interessen der Indigenen Papuas und der Frauen bei der Synode für Gerechtigkeit und Frieden. *

Magdalena Kafiar und Leonardo Ljie waren eingeladen, als zentrale Zeug*innen bei dem Permanent Peoples Tribunal auszusagen. Es waren zwei Tage zum Teil schwer erträgliche Schilderungen von Folter, Massakern der Zivilbevölkerung, illegaler Landinbesitznahme, Unterdrückung und Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen - Dinge, die nur selten nach außen dringen und aufgrund der Abgelegenheit West Papuas weitgehend abseits der Weltöffentlichkeit geschehen. In einem Gespräch mit dem südnordfunk erläutern die beiden , wie es zur Anklage vor dem Ständigen Völkertribunal kam.

L.I.: Einige der rechtlichen Verfahren auf nationaler Ebene vermitteln uns nicht das Gefühl, dass hier Gerechtigkeit waltet. Dieser Volkstribunal-Prozess ist bekanntlich ein informeller Prozess. Die Entscheidung ist nicht bindend. Aber wir wollten das Völkertribunal anrufen, weil der indonesische Staat einige Fälle von Menschenrechtsverletzungen als Vorkommen betrachtet, die nicht den Qualitätsanforderungen des indonesischen Rechts entsprechen und daher - sowie aus weiteren Gründen - von Indonesischen Gerichten nicht Menschenrechtsverletzungen eingestuft wurden.

»Klagen in West Papua waren nicht verhandelt, verschoben oder nicht zugelassen worden.«

Sprecherin: Nachdem jahrelang Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen eingegangen waren, beschloss das Präsidium des Tribunals auf Antrag einer Koalition von Nichtregierungsorganisationen, eine Sitzung zu West Papua zu organisieren. Klagen in West Papua waren nicht verhandelt, verschoben oder nicht zugelassen worden. Das in Rom ansässige Ständige Völkertribunal organisiert regelmäßig internationale Tribunale. Im Juni 2024 Jahr saß Indonesien – nach jahrelangen Vorbereitungen - auf der Anklagebank des Ständigen Völkertribunals, kurz PPT, das sich mit der Menschenrechtslage und den Landkonflikten in West Papua befasste. Es tagte an der Queens Mary University of London.

L.I.: Der Weg ist normalerweise – und das ist meine eigene Erfahrung so: Der Militärapparat beschlagnahmt das Land. Militärs haben das Land meiner Eltern beschlagnahmt. Das Militär kam und zwang meinen Onkel, die Übergabe des Landes zu unterschreiben.

Sprecherin: Leonardo Lijie und Magdalena Kafiar waren auch deswegen als Zeug*innen geladen, weil sie – neben ihrer Recherche zu Menschenrechtsverletzungen – eigene Geschichten vorzutragen hatten. Nach den anstrengenden Berichten in Genf wollen sie diese hier nur kurz anreißen.

M.K.: Ich komme von Rajawali, in Tandang, aus Timur/Java. Die Regierung hat hier einem Unternehmen die Erlaubnis erteilt, Land zu übernehmen und den Menschen auch gesagt, dass sie dieses Unternehmen akzeptieren müssen, damit Schulen und Straßen gebaut werden können – damit die Menschen mit Hilfe der Regierung Zugang zur Stadt haben.

Sprecherin: Die Gemeinden auf der Insel Java haben, so berichtet es Magda Kafiar, schon viel früher  ähnliche Erfahrungen mit ausländischen Unternehmen gemacht, wie nun auf West Papua. Auf die Frage, wie sie die staatlichen Investitionsversprechen für Straßenbau, Schulen und weitere Infrastruktur bewertet, sagt sie:

M.K.: Das geschieht im Rahmen großer nationaler Vorhaben, insbesondere die lange Ringstraße sei hier genannt, die mehrere Bezirke miteinander verbindet. Der Bau von Flughäfen und Schulen, alle Investitionen, die getätigt wurden, zielen eigentlich darauf ab, sie mit der Ringstraße von Kebar nach Sorong zu verbinden. So können die Produkte, die exportiert werden sollen, von den Plantagen aus bis nach Sorong transportiert werden. In Sorong gibt es ein großes Hafenbecken.

Sprecherin: Gemeint ist der Industriehafen in der Stadt Sorong, der größten Stadt und Hauptstadt der indonesischen Provinz Südwest-Papua. Leonardo spricht über einen Fall auf West Java, von dem seine eigene Familie betroffen war.

L.I.: Über die Grundstücke, die das Unternehmen mit Genehmigung der Regierung in Besitz genommen hat, gab es in den Gemeinden viele Kontroversen. Und wegen dieser Streitfälle protestieren die Leute bis heute gegen das, was die indonesische Regierung und verschiedene von ihr gegründete Unternehmen getan haben. Die staatlichen Sicherheitskräfte  haben bei den Protesten jedes Unternehmen unterstützt, das eine Arbeitsgenehmigung in Papua erhalten hatte.

Sprecherin: Bis es zur Anklage vor dem PPT kam, haben Leonardo Lijie und Magdalena Kafiar aufwändige und riskante Recherchen durchgeführt.

M.K.: Ich war an einer Studie über die Situation der Frauen in Papua beteiligt, die 2019 bis 2020 durchgeführt wurde und die sich mit den Auswirkungen großflächiger Landveränderungen und industrieller Landnahmen befasste. Die Landnahmen haben die Lebensgrundlage vor allem der Frauen stark beeinträchtigt, da sie die Waldgebiete und damit die Basis ihre Lebensweise verloren haben. Die industrielle Nutzung wird oft in Form von Palmölplantagen betrieben, was nicht der lokalen Agrarkultur in Papua entspricht.

Sprecherin: Doch wie funktioniert die sogenannte Landnahme genau? Was wurde den Gemeinden angeboten?

M.K.: Nehmen wir das Beispiel des Palmöl-Anbauprogramms. Es gibt zwei Typen von Plantagen. Die eine ist der sogenannte Kernbereich des Unternehmens, der andere Bereich ist für die lokale Gemeinde bestimmt und parzelliert. Doch schaut man sich letzteren an, so wird klar, dass es den Gemeindemitgliedern offensichtlich an Ressourcen mangelt, an Kapital, um diese Parzellen gemäß den Ansprüchen der Unternehmen zu bewirtschaften, die die Weiterverarbeitung der Ernte kontrollieren. So können die Gemeinden dieses Land nicht mehr einträglich bewirtschaften und müssen dann ihren Anteil oft an andere Parteien verkaufen, was bedeutet, dass sie am Ende mit leeren Händen da stehen.

Sprecherin: Die Landkonflikte sind vielschichtig und wie es zu Landverlusten kommt, sind komplexe Vorgänge.

»Heute gibt es mehr als 10.000 Betroffene, bei denen der Staat Land konfisziert hat.«

L.I.: Heute gibt es mehr als 10.000 Betroffene, bei denen der Staat Land konfisziert hat. 10.000 Menschen, die gezwungen wurden, Investmentgesellschaften Platz zu machen, beispielsweise für ein riesiges Plantagenprojekt im Süden Papuas – für Palmöl und Zuckerrohr. Es gingen hier über 10.000 Menschen vor Gericht und sie hoffen immer noch, dass eine Rechtsprechung auf der richtigen Ebene getroffen wird.

Sprecherin: Leonardo Ljie hat hier als Anwalt detailreiche Einblicke in zahlreiche Einzelfälle erhalten

L.I.: Ich habe mehrere Fälle verteidigt, und meine Erfahrungen sind auch der Grund, warum  ich Anwalt geworden bin. Noch im Jahr 2021 /22 habe ich Gemeindemitglieder verteidigt, die gegen den Raub von Land und ihren Wäldern protestiert haben  und - gegen den illegalen Holzeinschlag. Sie wurden beschuldigt, Verbrechen gegen den Staat begangen zu haben. Fast alle wurden beschuldigt, kriminalisiert und sogar mit dem Vorwurf des Hochverrat angeklagt.

L.I.: Solche Fälle haben sich gehäuft, und das ist nicht nur in meinem Fall oder in diesem Gebiet passiert, sondern in ganz West Papua. Ich habe mich, gemeinsam mit anderen Menschenrechtsanwälten, intensiv mit den Fällen befasst, und als wir daraufhin eine Überprüfung des Justizsystems forderten und Revision wollten, scheiterten wir. Deshalb haben wir die Chance ergriffen, das Ständige Völkertribunal anzurufen, um internationale Aufmerksamkeit für die Geschehnisse in West Papua zu gewinnen.

Sprecherin: Das PPT hatte bereits im Juni 2024 über vier Anklagepunkte beraten, die gegen die indonesische Regierung sowie gegen ausländische Akteure erhoben wurden: Landraub, gewaltsame Unterdrückung und Menschenrechtsverletzungen, Umweltzerstörung und geheime Absprachen zwischen dem indonesischen Staat und in- und ausländischen Unternehmen.

Keine Recherchen unabhängiger Menschenrechtsgremien

L.I.: Wir brachten 46 Fälle beim PPT zur Sprache, einschließlich außergerichtlicher Tötungen, die Unterdrückung der freien Meinungsäußerung,  als Menschen gegen die Anwesenheit von Investoren protestierten und dann mit militärischer Repression konfrontiert waren. Ich erwähnte auch den durch Rassismus ausgelösten Aufstand in Surabaya, in einem anderen Teil Indonesiens, wo die Menschen aus Papua als Affen bezeichnet wurden. Ich erwähnte die außergerichtlichen Tötung - und die Fälle, bei denen Mitglieder der Indigenen Gemeinschaft oder Einzelpersonen auf grausame Art und Weise umkamen  - etwa infolge von Verstümmelung.

M.K.: Aus der Ferne mag West Papua gut aussehen, ohne jegliche Probleme, und das hat die Regierung in Indonesien auch immer gesagt. Aber wenn man genauer hinschaut, sieht man eine Menge Probleme. Deshalb fordern wir den Staat auf, den Zugang zu West Papua zu öffnen. Eines der Dinge, die wir uns von diesem Prozess erhoffen, ist die Öffnung des Zugangs für das Rechercheteam, damit internationale Medien sehen können, was in Papua passiert.

Wenn wir Papuas diesen Kampf gegen die Entwicklung im Land Papua führen, nun, das können wir nicht alleine. Wir kommunizieren mit Mitstreiter*innen und teilen ihnen mit, dass es Berichte über unsere Fälle gibt. Wir kooperieren, um weiter zu recherchieren und setzen uns dafür ein, die Ergebnisse zu veröffentlichen, die wir nun an die UN weitergeben können. Wir haben in Papua mit Einschränkungen zu kämpfen, wenn wir Daten erheben wollen. Und wir denken auch an unsere Sicherheit. Also bitten wir befreundete Kolleg*innen von außerhalb, unserer Daten zu verarbeiten.

Sprecherin: ohne internationale Vernetzung wären die Menschenrechtsanwält*innen mit ihrer Beweisführung nicht so weit gekommen, die Anklageschrift so umfassend vorzubereiten. Denn investigative Recherchen sind in West-Papua ebenso schwer oder nur unter  hohen Risiken durchführbar - Presse- und Meinungsfreiheit stark eingeschränkt*. Auf die Frage, wie wirksam denn die Rechtsprechung eines Tribunals überhaupt sein kann im Vergleich zur Rechtsprechung und einem Verfahren vor einer indonesischen anerkannten Gerichtsbarkeit meint Leonardo Ljie:

L.I.: Wir wissen, dass dies ein informeller Prozess ist. Aber wir haben diesen Prozess durchgeführt, um der internationalen Gemeinschaft die juristischen Argumente, die Zeug*innen und die Fakten zu präsentieren, die wir vor Ort vorgefunden haben, um sie prüfen zu lassen. Wir unterziehen diese einem Wahrheitstest, damit wir die internationale Gemeinschaft und sogar die staatlichen Parteien zusammen mit Indonesien auffordern können, Papua zu einem Gebiet zu erklären, das geschützt werden muss, weil es die Lunge der Welt ist.

Shownotes | Landkonflikte in West Papua

 

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