Transparent mit der Aufschrift Rassismus spaltet Stoppt die AfD
We'll come united Demonstration in Hamburg im September 2018 | Foto: Rasande Tyskar | CC-BY NC

Die Ent­wick­lungs­politik der AfD heißt Mi­gra­tions­verhin­derung

Entwicklungspolitische Ziele vom rechten Rand im Wahl­kampf 2021

»Entwicklungshilfe muss deutsche Interessen berücksichtigen« – so heißt der zentrale Slogan der AfD zur Entwicklungspolitik im Bundestagswahlkampf. Es stellt sich allerdings die Frage, inwiefern sich die Programmatik der AfD im Bereich Entwicklungszusammenarbeit von anderen Parteien unterscheidet.

von Aram Ziai

22.11.2022
Veröffentlicht im iz3w-Heft 386

Das Grundsatzprogramm der Alternative für Deutschland (AfD) von 2016 * stellt hinsichtlich der Zielsetzung von Entwicklungspolitik unmissverständlich fest, sie müsse deutschen Interessen dienen, beziehungsweise stärker als bisher »die sicherheitspolitische und außenwirtschaftliche Interessenlage Deutschlands« berücksichtigen. Präzisiert wird dieses Interesse wie folgt: »Es liegt im deutschen Interesse, wenn die Menschen in Entwicklungsländern eine Perspektive für ein menschenwürdiges Leben in ihrer Heimat erhalten. Die Auswanderung von Menschen in wirtschaftlicher Not nach Deutschland löst die Probleme vor Ort nicht.«

Ein Blick ins Wahlprogramm

Wenig überraschend liegt der Hauptzweck von Entwicklungspolitik für die AfD damit bei der Migrationsverhinderung. Bemerkenswert ist schon eher, dass hier eine mögliche Spannung zu eigenen wirtschaftlichen Interessen antizipiert wird: »Fluchtursachen in den Herkunftsländern müssen bekämpft werden, auch wenn dies für die westliche Wirtschaft nachteilig ist.« In diesem Kontext wird »ein Exportstopp für hochsubventionierte landwirtschaftliche Erzeugnisse nach Afrika, die dort die lokalen Märkte ruinieren und den Menschen ihre Lebensgrundlage nehmen« gefordert. Der AfD geht es jedoch nur dann um ein menschenwürdiges Leben im globalen Süden, wenn dies der Verhinderung von Migration dient; so postuliert sie: »Gewährung oder Streichung von Entwicklungshilfe und die Visapolitik müssen zum Hebel für die Kooperationsbereitschaft der Herkunftsstaaten bei der Rücknahme ihrer Staatsangehörigen werden.«

Darüber hinaus sollten laut AfD entwicklungspolitische Maßnahmen Vorrang haben, die durch private Unternehmen begleitet werden. Das wird mit einem Plädoyer für Public Private Partnerships (PPP) ausgeführt, wie es dem wirtschaftsliberalen Ursprung der AfD auch entspricht. Zudem soll die Entwicklungshilfe organisatorisch in das Auswärtige Amt eingegliedert werden. Im Wahlprogramm 2021 * wird das Ganze ethnopluralistisch garniert mit »Respekt vor der kulturellen Identität aller Partner«, einer Warnung vor Korruption und einer angeblichen »Bevölkerungsexplosion in Afrika« – als ob die Ressourcen des Planeten nicht viel eher durch die imperiale Lebensweise der Reichen gefährdet wären. Wert legt die AfD weiterhin auf finanzielle Selbstbeteiligung der Partnerländer und die erwähnte »Bereitschaft zur Rücknahme ausreisepflichtiger Migranten.«

So empörend dies auf den ersten Blick auch klingt: Mit den erwähnten Positionen vertritt die AfD nichts, was sich nicht auch in den entwicklungspolitischen Programmen anderer Parteien findet – oder von der Regierungspolitik bereits umgesetzt wird. Die Vorliebe für Partnerschaften mit der Privatwirtschaft, die offensive Betonung deutscher Interessen in der Entwicklungszusammenarbeit (EZ), selbst die Pläne für die Auflösung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und die Eingliederung der Entwicklungspolitik ins Auswärtige Amt kennen wir vom FDP-Minister Dirk Niebel, wenngleich er die Pläne nicht umsetzen konnte.

Und auch unter dessen deutlich moderater auftretendem Nachfolger Gerd Müller ist seit 2015 die Fluchtursachenbekämpfung zur wichtigsten Zielsetzung der deutschen Entwicklungspolitik geworden. Selbst den Einsatz von EZ-Geldern als ‚Hebel‘ in Verhandlungen um Rückübernahmeabkommen für Geflüchtete bräuchte die AfD eigentlich nicht zu fordern – er ist schon lange gängige Praxis. In den Kernpunkten ihres entwicklungspolitischen Programms befürwortet die AfD demnach ähnliche Politiken wie die Regierungsparteien, nur lauter und aggressiver.

In der Migrationspolitik wiederum vertritt die AfD erwartungsgemäß Hardliner-Positionen hinsichtlich der zwangsweisen Rückführung von Asylsuchenden unter Bruch der Genfer Flüchtlingskonvention, der Kriminalisierung von Seenotrettung und einer maximalen Abschottungspolitik. Doch auch dies ist bereits in der heutigen EU keine einzigartige oder besonders extreme Praxis.

Vorsicht Globalisten!

Eine eigene Handschrift ist bei der Entwicklungspolitik der AfD in Detailfragen dennoch deutlich sichtbar: Beispielsweise in der Anprangerung der Diskriminierung von Christ*innen in muslimischen Ländern. Gleichzeitig wendet sich die Partei vehement gegen die Gleichberechtigung von Muslim*innen hierzulande.

Hinzu kommen die Ablehnung des UN-Migrationspakts oder der Agenda 2030 und ihrer Sustainable Development Goals. Über den Migrationspakt hat die AfD über ihre Webseite diverse Unwahrheiten verbreitet, etwa er würde irreguläre Migration legalisieren, untergrabe die nationale Souveränität und sei ein verstecktes Umsiedlungsprogramm. Auch die Agenda 2030 verletzt der AfD zufolge deutsche Souveränitätsrechte und sei nicht nur utopisch und sozialistisch, sondern auch eine »Erfindung von Globalisten« so einmal der AfD-Bundestagsabgeordnete Markus Frohnmaier.

Hier wie auch in der Kritik an der Open Society Foundation von George Soros werden Stereotype von einer umfassenden Weltverschwörung bedient. Spezifisch für die AfD ist auch die Kritik an zivilgesellschaftlichen Organisationen in der EZ: Deren Unterstützung sei normativ und ideologisch ausgeformt und sie würde Steuergelder für Genderprojekte verschwenden. Stattdessen solle viel mehr mit der Industrie zusammengearbeitet werden. Diese Kritik hindert die AfD jedoch nicht daran, die Unterstützung christlicher Kirchen und die Eindämmung des Bevölkerungswachstums in Afrika zu fordern – völlig unideologisch und wertfrei, versteht sich. *

Mythen der EZ

Insgesamt ist festzustellen, dass die Analyse der Entwicklungspolitik der AfD die Diagnose untermauert, dass es sich bei ihr um eine monothematische Partei handelt: Migration scheint ihr die Wurzel allen Übels und ihre Verhinderung das Ziel aller Politik zu sein. Ihre Konstruktion des deutschen Interesses in der Entwicklungspolitik (»Fluchtursachenbekämpfung zur Migrationsverhinderung«) unterscheidet sich zwar deutlich von der geopolitischen Zielsetzung (»Unterstützung antikommunistischer Diktaturen«) oder der außenwirtschaftlichen Zielsetzung (»Außenwirtschaftsförderung durch Infrastrukturprojekte, PPP und Investitionsschutz«), ist aber interessanterweise gar nicht so weit entfernt von der linksliberalen Konstruktion (»in einer globalisierten Welt sind auch wir in Deutschland durch Migration und Terrorismus betroffen von Armut und Krisen im Süden, weshalb wir sie bekämpfen müssen«).

Mit der Unter­stützung von NGOs würden Steuer­gelder für Gender­projekte verschwendet

Mit genau dieser Definition eines »aufgeklärten Eigeninteresses« hat beispielsweise die frühere Ministerin für Entwicklungszusammenarbeit Heidemarie Wieczorek-Zeul (Amtszeit 1998-2009) im BMZ versucht, ihre progressive Politik auch in konservativen Kreisen mehrheitsfähig zu machen. Ihre fortschrittliche globale Strukturpolitik, die ja sinnvoller Weise auf die Veränderung weltwirtschaftlicher Strukturen und deren Ungleichheit abzielte, konnte sich gegenüber der orthodoxen Definition nationaler Interessen im Wirtschafts- und Landwirtschaftsministerium meist nicht durchsetzen. Damit blieb jedoch auch diese linksliberale Konstruktion nationaler Interessen dem Gründungsmythos der Entwicklungspolitik verhaftet, dass Armutsbekämpfung im Süden durchaus vereinbar sei mit den wirtschaftlichen und politischen Interessen der Länder des Nordens.

Diese Annahme diente in der EZ seit Mitte des 20. Jahrhunderts dazu, den Ländern des Südens zu vermitteln, dass ein Ende ihrer Ausbeutung und sogar Wohlstand in wenigen Jahrzehnten auch innerhalb der bestehenden internationalen Arbeitsteilung möglich – und eine sozialistische Revolution daher überflüssig sei. Das Versprechen auf »Entwicklung« entstand mit dem Ziel, antikoloniale Bewegungen vom Überlaufen ins kommunistische Lager abzuhalten und so die kapitalistische Weltordnung auch nach dem absehbaren Ende des Kolonialismus zu stabilisieren.

Eine Alternative zu dieser sehr harmonischen Interessenkonstruktion wäre die ehrliche Benennung von Konfliktlinien zwischen Staaten und Klassen, gerade im Hinblick auf die imperiale Lebensweise einer globalen Mittelschicht, die zunehmend auch im Süden zu finden ist. Sie wäre ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer Welt, in der die Ausrichtung wirtschaftlicher Aktivitäten am individuellen Profit statt am Gemeinwohl nicht mehr als legitim angesehen wird. Eine Dekonstruktion des Mythos vom gleichen Interesse nationaler Kollektive stünde dem AfD-Programm in einer emanzipativen Weise entgegen.

Aram Ziai unterrichtet an der Uni Kassel, ist Mitglied bei der BUKO und bei Kassel postkolonial aktiv.

Dieser Artikel ist erschienen im iz3w-Heft Nr. 386 Heft bestellen
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