»Die Verhaftungen zeugen von unserem Mut«
Kriminalisierung von Widerstand gegen EACOP
Audiobeitrag von Antonia Vangelista und
Witness Radio
03.09.2024
Teil des Dossiers Klimakrise in der Pipeline
Verhaftungen, Drohbriefe, Gerichtsprozesse – all das erwartet diejenigen, die in Uganda und Tansania das fossile Großprojekt EACOP kritisieren. Immer häufiger berichten die lokalen und internationalen Medien von Massenverhaftungen nach Protestaktionen, manche Aktivist*innen verschwinden sogar. Doch die Kriminalisierung bringt die Aktivist*innen nicht immer zum Schweigen – manche, wie Bob Barigye aus Uganda, ermutigt es sogar, weiter Widerstand zu leisten.
Skript zum Audiobeitrag
Erstausstrahlung am 3. September 2024 im südnordfunk #124 bei Radio Dreyeckland
Sprecherin: 26. Juni 2024 auf den Straßen der ugandischen Hauptstadt Kampala. Viele Demonstrierende tragen orangene T-Shirts mit der Aufschrift “No to Oil”. Sie protestieren gegen Projekt der Ostafrikanischen Rohölpipeline, kurz EACOP. Ihr Ziel an diesem Tag: die chinesische Botschaft in Uganda, um dort eine Petition gegen das Projekt zu überbringen. 30 Aktivist*innen werden an diesem Tag verhaftet. Einer von ihnen ist Bob Barigye.
Bob Barigye: Ich bin jetzt insgesamt sechsmal verhaftet worden. Das letzte Mal war am 26. Juni dieses Jahres. Im Grunde genommen bestand unser Vergehen immer darin, dass wir versucht haben, über die Auswirkungen zu sprechen, Petitionen einzureichen, zu berichten und mit Regierungsvertretern über die Gefahren des Projekts zu sprechen, in das sie unbedingt investieren wollen.
Wir sind mit der chinesischen Botschaft zusammengestoßen, wo wir zusammen mit anderen Aktivisten dreimal verhaftet wurden, als wir dem chinesischen Botschafter eine Petition überreichen wollten. Denn eines der Projekte, das Kingfisher-Projekt, wird im Wesentlichen von den Chinesen über ihr staatliches Unternehmen CNOOC durchgeführt, das das Öl extrahieren wird.
Sprecherin: Sie protestieren nicht nur gegen die chinesischen Ölaktivitäten und -pläne, sondern auch gegen die des französischen Ölunternehmens Total und der Regierungen von Uganda und Tansania. In dem Video von NTVUganda sieht man, wie die Polizei auf die Transparente einschlägt und die Protestierenden auf den Boden bringt. Später liegen einige von ihnen mit gefesselten Händen auf der Ladefläche eines Trucks.
Der Aktivist Bob Barigye ist eigentlich Chemie- und Biologielehrer. Bei einem Schulbesuch im Nationalpark Murchison Falls ist er auf die Pipeline aufmerksam geworden, die den Park bald durchqueren soll. Er erinnert sich an seine erste Verhaftung vor zwei Jahren.
Bob Barigye: Unser Eifer und unser Engagement, auf die Straße zu gehen, um zu protestieren, war auch ein wenig beängstigend. Menschen verschwanden, also dachten wir auch, dass wir verschwinden würden. Die unhygienischen Bedingungen der Infrastruktur und der Zellen in Uganda sind ebenfalls beängstigend.
Die Verhaftungen von Stop-EACOP-Aktivist*innen machen immer wieder Schlagzeilen: 30 waren es Ende Juni, 50 Menschen wurden Anfang August in Uganda verhaftet. Bob und andere Aktivist*innen, mit denen wir gesprochen haben, berichten davon, im Gefängnis geschlagen zu werden und schlechtes Essen vorgesetzt zu bekommen.
Doch dieses Fehlverhalten der Polizist*innen müssen sich die Aktivist*innen nicht gefallen lassen, sagt Rechtsanwalt Brighton Aryampa.
Brighton Aryampa: Wir wollen gegen einzelne Beamte vorgehen, die diese Verhaftungen vornehmen. Denn wir wissen, dass diese Verhaftungen unrechtmäßig sind. Und wir wissen, wenn wir sie identifizieren, dass dieser Beamte A und dieser Beamte B dies tut, wird das andere Polizeibeamte abschrecken, die ebenfalls Menschen verhaften wollen. Ich denke also, dass dies eines der rechtlichen Mittel ist, die wir einsetzen können, um diese Verhaftungen einzudämmen.
Sprecherin: Sie klagen also die Beamt*innen an, die sie unrechtmäßig verhaften. So kämpfen die Aktivist*innen mit Mitteln des Rechts gegen ihre Kriminalisierung. Immer wieder stehen sie aber auch selbst vor Gericht. Für Bob Barigye war das bereits zweimal der Fall.
»Bei den letzten drei Malen, die ich verhaftet worden bin, wurden wir nicht vor Gericht gestellt.«
Bob Barigye: Sie haben uns also im Grunde genommen als Kriminelle hingestellt, als unseriöse Menschen. Ich stand schon zweimal vor Gericht. Die Anklagen, die sie immer gegen uns erhoben haben, sind zweifelhaft und entmenschlichend. Normalerweise wird uns „common nuisance“ vorgeworfen, Störung der öffentlichen Ordnung. Du willst einen Bericht zu einer politischen Behörden bringen. Und dafür wirst du vor Gericht wie ein allgemeines Ärgernis behandelt. Das ist eine psychologische Masche, um uns zu zeigen, dass wir zu nichts nütze sind.
Sprecherin: Störung der öffentlichen Ordnung, Aufruf zu Gewalt und seit Neuestem auch unrechtmäßige Versammlung sind laut unseren Gesprächspartnern die häufigsten Vorwürfe gegen die Stop-EACOP-Aktivist*innen. Für den Anwalt Kato Tumusiime ist klar, wer hinter den Verhaftungen steht.
Kato Tumusiime: Ja, natürlich werden die meisten Verhaftungen, auch die der Aktivisten und der von dem Projekt betroffenen PAPs direkt von diesen Unternehmen gesponsert. Denn wenn man diese Fälle verfolgt, findet man die Vertreter dieser Unternehmen auch auf verschiedenen Polizeistationen oder sogar bei verschiedenen Gerichtssitzungen, um herauszufinden, was in diesen Fällen vor sich geht. Das ist also ein klarer Beweis dafür, dass diese Unternehmen direkt involviert sind und diese Art von Verhaftungen unterstützen. Denn sie haben ein Interesse daran, dass diese Aktivisten verhaftet werden und auf den Polizeistationen landen.
Sprecherin: Was Unternehmen und Regierungen aber unterschätzen: die Verhaftungen und Gerichtsprozesse erregen Aufmerksamkeit, mehr Menschen hinterfragen das Pipeline-Projekt. Deswegen werden die Klagen weniger, sagt Aktivist Barigye.
Bob Barigye: Die Situation hat sich aufgrund der internationalen Beobachtung geändert. Der tatsächliche Schaden hat sich verringert, weil Total selbst weiß, dass sie die internationale Unterstützung verlieren, wenn sie uns, die abweichenden Stimmen gegen die EACOP weiterhin verhaften und zum Schweigen bringen. Wenn wir in letzter Zeit verhaftet wurden, wurden wir in Polizeizellen festgehalten und nicht vor Gericht gestellt. Bei den letzten drei Malen, die ich verhaftet worden bin, wurden wir nicht vor Gericht gestellt. Auch wenn wir körperlich gefoltert werden und traumatisiert. Die Unternehmen wissen, dass es negative Schlagzeilen gäbe, wenn sie das tun.
Sprecherin: Ungefährlich ist es trotzdem nicht, sich öffentlich gegen das EACOP-Projekt auszusprechen.
Erst im Juni wurde Stephen Kwikiriza vom Institut für Umweltmanagement in Kampala entführt, der südnordfunk berichtete im Juli darüber. Er hatte französische Dokumentarfilmer unterstützt, die in seiner Heimatregion über die Auswirkungen der Pipeline berichten wollten. Eine Woche nach seiner Entführung wurde er verletzt an einem Straßenrand zurückgelassen und war wieder frei. Kwikirizas Anwalt Kato Tumusiime hat uns damals folgendes gesagt:
Kato Tumusiime: Am Morgen seiner Entführung war Stephen wie an einem normalen Tag in die Stadt gefahren, um für seine Familie einzukaufen. Dort wurde er von Unbekannten entführt, von denen wir glauben, dass sie vom Sicherheitsdienst sind, denn so arbeiten die hier in Uganda.
Sprecherin: Man wird einfach entführt, gekidnappt oder verschleppt. Stephen wurde für etwa eine Woche an einen unbekannten Ort gebracht. Daraufhin schritten wir ein, besuchten eine Reihe von uns bekannten Haftanstalten und kontaktierten verschiedene Sicherheitschefs, konnten Stephen aber nicht finden. Also haben wir juristische Maßnahmen ergriffen und eine Klage für seine Freilassung eingereicht.
Glücklicherweise wurde Stephen noch vor der Anhörung in einem bestimmten Gebiet namens Kyenjojo abgesetzt - das ist etwa fünf bis sechs Autostunden von Kampala entfernt. Aber er wurde gefoltert und verprügelt. Dort kontaktierte er das EGI, das ihm half, nach Kampala zurückzukehren, wo er drei Tage lang im Krankenhaus lag.
Er wurde behandelt, weil er gefoltert worden war. Seine Haut war voller Schürfwunden. Er weinte wegen der Schmerzen im Kopf und in der Brust. Bis jetzt leugnet die UPDF Uganda People's Defence Force, also das Militär, Stephen festgehalten zu haben. Die Polizei leugnete, Stephen gefoltert zu haben. Und alle anderen Sicherheitsbehörden leugnen, Stephen in ihrer Gewalt zu haben. Er erzählte mir, dass sie ihn unter anderem fragten, wie er sich engagiert und wie er Kontakte zu internationalen Menschen, einschließlich der Medien und Journalisten knüpft und wie er an dem Aufstand beteiligt war. Und wie die Gemeinden gegen das EACOP und das Kingfisher-Projekt vorgehen.
»Man wird einfach entführt, gekidnappt oder verschleppt.«
Nicht nur in Uganda leben diejenigen gefährlich, die sich gegen das Ölprojekt engagieren. Sondern auch im Nachbarland Tansania, durch das das Öl ebenfalls fließen soll. Richard Senkondo leitet dort die Organisation für gesellschaftliches Engagement (OCE). Bei der Weltklimakonferenz in Dubai im November 2023 thematisierte er die problematischen Folgen von EACOP in seinem Land.
Richard Senkondo: Ich wusste nicht, dass die Regierung mich zensiert hat. Unmittelbar nach meiner Rückkehr am 4. Dezember nach Tansania erfuhr ich, dass ich zu einer der berüchtigten Polizeistationen in Dar es Salaam vorgeladen worden war. Diese Polizeistation ist typischerweise dafür bekannt, dass viele Menschen, die die Regierung kritisieren, dort gefoltert werden oder ganz verschwinden. Nachdem ich die Vorladung erhalten hatte, trafen wir eine schnelle Entscheidung. Ich sollte sofort nach Kenia ausreisen, und blieb dann für mehr als zwei Monate dort. Bis heute habe ich es nicht geschafft, meine Familie wiederzusehen, weil sie mich immer noch jagen und nach meinem Verbleib suchen. Das alles passiert, weil wir Widerstand leisten. Wir haben eine Aktion vor der chinesischen Botschaft gemacht, und ich habe einen Marsch gegen die Versicherungsgesellschaften für EACOP organisiert. Ich habe auch viel mit internationalen Medien gesprochen. Ich habe meinen Namen für diese Arbeit geopfert, für die Umwelt und für das Leben meines Volkes. Das bedeutet es, ein Aktivist zu sein.
Sprecherin: Sich gegen das Ölprojekt und für Gerechtigkeit einzusetzen verlangt den Aktivist*innen in Tansania und Uganda einiges ab. Und auch den Anwält*innen, die Stop-EACOP-Aktivist*innen und betroffene Gemeindemitglieder vertreten. Auch sie werden bedroht, berichtet Rechtsanwalt Tumusiime.
Kato Tumusiime: Einige von uns haben Briefe erhalten, in denen sie uns aufforderten, sich aus den Fällen zurückzuziehen. Andernfalls würden sie uns wegen Verleumdung ihrer Unternehmen anklagen. Aber wir glauben, dass die Informationen und das Wissen, das wir verwenden, die Beweise, die wir verwenden, klar und korrekt sind. Selbst wenn sie solche Klagen erheben, haben wir keine Angst, denn wir verfügen über Informationen, die auf Beweisen beruhen, die echt sind und die jeder kennt. Es ist allgemein bekannt, dass diese Dinge in Uganda und in den vom Ölabbau betroffenen Gebieten tatsächlich geschehen.
Sprecherin: Ziel der Drohbriefe, der Verhaftungen und der Klagen ist es, die Stimmen gegen das Öl zum Schweigen zu bringen. Aktivist Barigye sagt, dass insbesondere junge Menschen dadurch eingeschüchtert werden, die noch bei ihren Eltern wohnen. Auch Frauen werden durch die Polizeigewalt und das gesellschaftliche Stigma verstärkt abschreckt.
Bob Barigye: Die meisten von ihnen sind verheiratet und haben Kinder. Wenn also eine Anklage wie „allgemeines Ärgernis“ gegen diese Person erhoben wird, wird sie in der Gemeinschaft als Störenfried angesehen. Als Unruhestifter, als jemand, der nicht verantwortungsbewusst genug ist, Kinder zu erziehen. Sie bekommen häufig Schwierigkeiten mit den Schwiegereltern. Wenn man vor Gericht angeklagt wird, wenn man als Frau schikaniert wird, wenn man so verhaftet wird, wie wir verhaftet werden, wenn man geschlagen wird, wenn man auf einen Polizeiwagen geschmissen wird, dann bedeutet das eine Art von Entwürdigung und psychologischer Folter für die Frauen. Das hat die meisten von ihnen entmutigt.
Sprecherin: Insgesamt sei die Stop-EACOP-Bewegung aber trotzdem gewachsen in den vergangenen Jahren. Die vielen Verhaftungen, über die die Medien berichten, sind für ihn also ein ermutigendes Zeichen.
»Da draußen gibt es jemanden, der meine Stimme verstärkt, und mich rettet oder meine Stimme weiterträgt.«
Bob Barigye: Die zunehmenden Verhaftungen, die wir beobachten, sind also nichts Schlechtes. Es geht um den Mut, den die Menschen gewonnen haben, zu sagen, dass sie weiterkämpfen. Am Anfang waren es nur ein paar Mutige von uns, die sich geoutet haben. Aber jetzt sind wir so viele Menschen. Und wir haben die Regierung überrumpelt. Deshalb hat sie immer entschieden, uns zu verhaften, uns tagelang festzuhalten und uns dann freizulassen. Und wenn sie uns freilassen, ziehen wir weiter und gehen zurück. Als ob sie uns nicht verhaftet hätten. Es ist also was Positives. Natürlich haben wir jetzt mehr Öffentlichkeit. Früher, am Anfang, waren wir nur in den sozialen Medien zu finden. Aber jetzt sind wir sogar in die Mainstream-Medien gelangt. Sie können nicht mehr vermeiden, über uns zu sprechen.
Sprecherin: Bob Barigye hat viele schwierige Erfahrungen gemacht mit Polizei und Gerichten. Trotzdem ist es seiner Meinung nach die beste Strategie, sich selbst ans Recht zu halten und es als Waffe zu benutzen.
Bob Barigye: Zunächst einmal haben wir versucht, uns so diszipliniert und gesetzestreu wie möglich zu verhalten. Am Anfang dachten die Leute, wir seien rüpelhafte Jugendliche, wir seien nicht in der Lage, die Situation zu akzeptieren. Also haben wir uns an die Gesetze gehalten. Wir haben sogar ein Verfahren gegen Polizeibeamte angestrengt. Obwohl sie in Uganda sehr viel Macht haben und es sehr riskant ist, haben wir es getan. Zweitens haben wir versucht, die Gemeinden einzubeziehen, denn es ist ihr Kampf, den wir führen. Wir haben auch versucht, Alternativen aufzuzeigen, weil sie manchmal nicht an andere Möglichkeiten denken. Wir haben mit ihnen über Wasserkraft und Solarenergie gesprochen, die viel günstiger sind. Auch der Regierung haben wir diese Alternativen vorgeschlagen.
Außerdem konnten wir Partnerschaften mit anderen Klimawandel-Aktivist*innen und anderen klimabasierten Organisationen aufbauen. Die konnten uns in Bezug auf Rechtsbeistand und Sicherheitstrainings helfen, um das Risiko für die Aktivisten*innen zu verringern, die sich sonst nicht trauen würden, aktiv zu sein. Und schließlich ist es uns gelungen, eine STOP-EACOP-Koalition aus zivilgesellschaftlichen Organisationen zu bilden, die sich auf so viele Dinge spezialisiert haben. Dieses brüderliche Zusammenkommen ist für uns sehr wichtig. Es ist sehr ermutigend, zu wissen, dass ein Bruder über deine Schulter schaut. Ob ich gerade kämpfe, ob ich drinnen bin oder geschlagen werde - da draußen gibt es jemanden, der meine Stimme verstärkt, und mich rettet oder meine Stimme weiterträgt.