Wake up Call Afghanistan
Rezensiert von Clara Taxis
22.01.2022
Veröffentlicht im iz3w-Heft 388
Aus dem Buch Der längste Krieg. 20 Jahre War on Terror spricht die Wut. Eine in den einzelnen Kapiteln ausführlich und differenziert begründete Wut. In seinem Buch resümiert der Journalist Emran Feroz die letzten 20 Jahre amerikanischer Präsenz in Afghanistan und ordnet sie in die Geschichte Afghanistans ein. Die Wut bezieht sich neben der Invasion 2001 als solche auch auf die Ignoranz der deutschen und allgemein westlichen Öffentlichkeit gegenüber der Lage in Afghanistan.
Selbst in der kritischen Haltung der westeuropäischen Linken gegenüber der Invasion sind die Fehler der deutschen und der NATO-/US-Politik in Afghanistan nicht so präsent wie nötig, argumentiert Feroz. Er konfrontiert die Leser*innen zudem mit dem Vorwurf, zwar die amerikanischen Fehltritte zu analysieren und zu thematisieren, der Kontinuität von der sowjetischen zur amerikanischen Besatzung jedoch keine Beachtung zu schenken. Im Buch wird diese Kontinuität immer wieder an konkreten Beispielen nachgezeichnet: Die US-Armee nutzte nach 2001 sowjetische Infrastruktur wie militärische Flugplätze, nahm aber auch ehemalige Agent*innen des von den Sowjets aufgebauten Geheimdienstes in den Dienst.
Auch die Frage danach, warum die Taliban wieder erstarken konnten, lässt Feroz nicht unbeantwortet.
Auch die Frage danach, warum die Taliban wieder erstarken konnten, lässt Feroz nicht unbeantwortet. Sein Vorwurf lautet, dass demokratische Werte für die USA und ihre Verbündeten bei der Suche nach Partnern vor Ort keine Rolle gespielt hätten. Stattdessen dominierte die Strategie, sich mit den lokalen Feinden der eigenen Feinde zu verbünden. Dadurch seien bereits seit der sowjetischen Invasion Afghanistans zahlreiche Warlords und lokale Kräfte finanziert und mit Waffen ausgestattet worden, denen Demokratie fern liege. Diese begingen Menschenrechtsverletzungen und führten innerafghanische Machtkämpfe fort, stets auf Kosten der Zivilbevölkerung.
Feroz argumentiert aus einer österreichisch-afghanischen Perspektive. Immer wieder zeigt er auf, dass die Taliban auch deshalb Aufwind bekamen, weil die westlichen Demokratieversprechen durch Verbrechen an Zivilist*innen konterkariert wurden. Diese wurden oftmals nicht geahndet und in einzelnen Fällen sogar mit einer Beförderung der Verantwortlichen belohnt. Dass diese Entscheidungen der Bevölkerung in Afghanistan bewusst sind und sie das Vertrauen in die ausländischen Kräfte untergraben, lässt die hiesige Rhetorik der ‚Rettung‘ der Demokratie in Afghanistan hohl erscheinen.
Die Vehemenz des Buches droht sich in manchen Passagen selbst zu erschöpfen. So berechtigt die Wut angesichts des Themas ist, die sich wiederholende Empörung nutzt sich ab. Dennoch ist das Buch eine empfehlenswerte Lektüre. Auch nach dem Machtwechsel in Afghanistan ist es entscheidend, ob und wie die deutsche Öffentlichkeit sich über die Vorgänge in Afghanistan informiert.