»I am not sure we have even gotten so far as to interpret what the uprisings meant. Is it even possible to do so?« resümiert der amerikanische Journalist Vincent Bevins am Ende seines zweiten Sachbuchs. Doch genau das versucht Bevins in If We Burn. Er analysiert die Massenproteste zwischen 2010 bis 2020 in verschiedenen Ländern im Globalen Süden: Tunesien, Ägypten, Bahrain, Jemen, Türkei, Brasilien, Ukraine, Hong Kong, Südkorea und Chile. Mit Hunderten von Interviews mit Aktivist*innen, Politiker*innen und anderen Zeitzeug*innen zeichnet er Bilder von Engagement und kollektiver Energie, aber auch von verpassten Revolutionen.
Was all diese Proteste miteinander verbindet?
Was all diese Proteste miteinander verbindet? Sie sind laut Bevins alle »führerlose, horizontal organisierte, ‚spontane‘, digital koordinierte Massenproteste auf Straßen und öffentlichen Plätzen«, wo die Teilnehmenden versucht hätten, eine neue Gesellschaft zu prophezeien. Die Kämpfe in Brasilien stehen dabei im Vordergrund, denn dort war Bevins während der Proteste, von 2011 bis 2016, selbst mittendrin – als Brasilienkorrespondent für die Los Angeles Times.
Seine Ausführungen beeindrucken mit ihrer Komplexität und beweisen, dass Bevins viel Recherchearbeit geleistet und Wissen in Politikgeschichte und internationalen Beziehungen angesammelt hat. Vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen als Journalist reflektiert er seine eigene Rolle sowie die der Medien insgesamt sehr kritisch, ebenso die von Politiker*innen. Es zeigt sich aber auch, dass er eben kein Protestwissenschaftler oder Bewegungsforscher ist – die Beschreibungen von Strategien und Taktiken der Protestierenden fallen teilweise viel zu kurz aus.
Das Buch bietet trotzdem einige wertvolle Erkenntnisse, die auch mit Blick auf den Rechtsruck in Deutschland und die dadurch hervorgerufenen Großdemonstrationen interessant sind – und einen neuen Blick auf parlamentarische Politik geben können. Oft stehen bei den Kämpfen im Buch jedoch Regimewechsel im Vordergrund. Es bleibt wie so oft die Frage, inwieweit die Erfahrungen und Schlussfolgerungen für Überlegungen hierzulande übertragbar sind.
Bevins baut sein Buch in einer zeitlichen Abfolge auf – keine klaren Überschriften, eine fehlende Übersicht in der Einleitung sowie viele Sprünge zwischen den unterschiedlichen Ländern spiegeln teilweise die Komplexität von Bevins Analyseversuch wider, erschweren aber auch die Navigation durch das Buch. So ist es definitiv kein Buch für Einsteiger*innen in Politikwissenschaft oder Menschen mit Angst vor vielen Jahreszahlen.