Der Farmarbeiter Frederick, ein Nama, leidet unter seinem brutalen »Baas«. Die Erzählung ist im Süden des heutigen Namibia angesiedelt. Das Land, auf dem Frederick lebt, war einst im Besitz seiner Vorfahren. Während des von den deutschen Kolonialherren in den Jahren 1904 bis 1908 verübten Genozids wurden die Nama – wie die Ovaherero – enteignet. Indes studiert die Tochter des Farmbesitzers die Geschichte ihres jüdisch-deutschen Familienverbandes. Erst profitierten dessen Mitglieder vom deutschen Kolonialsystem, doch dann wurden viele von ihnen in der Shoah umgebracht oder migrierten nach Südafrika. Die Story basiert auf der persönlichen Familiengeschichte von Daniel Bendix, dessen Verwandte bis heute eine Farm in Namibia besitzen. Bendix, gebürtig aus Berlin und Professor für Globale Entwicklung an der Theologischen Hochschule Friedensau, ist der Mitherausgeber und Autor des Comicbandes Episodes from a Colonial Present. Der namibische Künstler Hangula Werner hat Bendix‘ Geschichte illustriert. Werner musste während der südafrikanischen Besatzungszeit aus Namibia fliehen und lebte als Flüchtling in der DDR.
Eindrücklich ist auch die Geschichte von Miriam friz Trzeciak sowie RotmInas – Rotmi Enciso und Ina Riaskov »Never Conquered«. Die junge deutsche Promovendin Johanna will in ihrer Doktorarbeit den lokalen Widerstand auf der Halbinsel Yucatán erforschen. Alejandro, ein Einheimischer, unterstützt sie dabei. Ausgangspunkt der Geschichte ist der spanische Franziskanermissionar Diego de Landa. Er erlangte traurige Berühmtheit dafür, Mitte des 16. Jahrhunderts alle greifbaren Manuskripte in der Maya-Schrift verbrannt zu haben, da sie »von Aberglauben und den Täuschungen des Teufels« nicht frei gewesen seien. Alejandro weist Johanna darauf hin, dass ein Exemplar der vier letzten authentischen Handschriften der Maya im Buchmuseum der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek in Dresden archiviert ist. Auf einem der Schlussbilder seilen sich Aktivist*innen an der Fassade der Bibliothek ab, um den »Codex Dresdensis«, dieses offensichtlich koloniale Raubgut, an sich zu nehmen und nach Mexiko zurückzubringen.
Der kollaborative Sammelband richtet seinen Fokus auf die tiefgreifenden Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten als Folge von »1492«.
Alle Graphic Novels des Buches sind von den Lebensgeschichten des 15-köpfigen Teams aus Namibia, Mexiko, China, Kanada, Indien, Deutschland und dem Baskenland inspiriert. Opfer, Täter*- innen, Kompliz*innen, Profiteur*innen – die Lebensschicksale sind miteinander verstrickt, alles hängt zusammen. Der kollaborative Sammelband richtet seinen Fokus auf die tiefgreifenden Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten als Folge von »1492«. Die Autor*innen und Künstler*innen schauen genau hin und stolpern geradezu über die aus der kolonialen Vergangenheit herrührende Gewalt, die der globalen Ungleichheit innewohnt. Es werden Schlaglichter auf die Kolonialität unseres heutigen Alltags geworfen. Zugleich wird auf das dekolonialisierende Potenzial der alltäglichen Kämpfe von Aktivist*innen verwiesen. Die ausführliche Einleitung erläutert den postkolonialen Ansatz des Buches. Die Zusammenarbeit auf der künstlerischen Ebene, durch Dialog und solidarisches Miteinander, habe Hoffnung gespendet, heißt es dort. Nicht zuletzt versteht sich das Non-Profit-Projekt als Beitrag für den Einsatz in der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit. Eine Literaturliste im Anhang rundet den Band ab. Die bewegenden »Episodes from a Colonial Present« dürfen in keiner postkolonialen Bibliothek fehlen!