Sandgewitter
Der Sahel* kommt nicht zur Ruhe: In Sudan herrscht wieder einmal ein blutiger Bürgerkrieg. In Mali flammen die Kämpfe zwischen separatistischen Tuareg-Gruppierungen und der Regierung wieder auf. Von West nach Ost machen islamistische und kriminelle Milizen mobil. Und seit 2020 scheint einen Militärputsch dem nächsten die Hand zu reichen. In Bamako/Mali wurden 2020 und 2021, in Ouagadougou/Burkina Faso 2022 und in Niamey/Niger im Juli 2023 die mehr oder weniger demokratisch gewählten Regierungen weggeputscht. Ein folgender Übergang zur Demokratie lässt auf sich warten. Die aktuell regierenden Militärregime setzen auf publikumswirksame außenpolitische Maßnahmen, wie auf die Abkehr vom alten postkolonialen Hauptbündnispartner Frankreich. Sie wird begleitet von der Suche nach neuen Verbündeten, insbesondere eine Allianz mit der Russischen Föderation, doch auch die Vereinigten Arabischen Emirate oder Iran gewinnen an Einfluss und Macht, zum Beispiel in Sudan. Mali, Burkina Faso und Niger assoziieren sich nunmehr in der AES (Allianz der Staaten des Sahel) – in Abgrenzung zum Westen und zur Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS. Die Region befindet sich also in einem politisch tiefgreifenden Umbruch.
Welche Rolle spielt bei diesen Umbrüchen und Umorientierungen die soziale Frage? Also die hohe Armut und Arbeitslosigkeit sowie der begrenzte Zugang zu gesellschaftlichen Gütern wie Bildung, Gesundheit, Wohnraum, Mobilität? Werden die Probleme der mangelnden Sicherheit, der maroden Infrastruktur oder Bildungsdefizite angepackt? Oder geht es, wie häufig bei Militärputschen, einfach um die Macht und um das Sagen?
Oder geht es, wie häufig bei Militärputschen, einfach um die Macht und um das Sagen?
Den Auftakt der Artikelreihe bildet ein Beitrag von Olaf Bernau, der tatsächlich von der sozialen Frage handelt: Es geht um das Wohnen im ländlichen Sahel. Die folgenden Artikel berichten von den politischen Umbrüchen in einzelnen Ländern, wobei die Lösung sozialer Fragen in eine Nebenrolle rutscht. Es geht in das riesige Flächenland Mauretanien, weiter in den Tschad, nach Mali, Niger und Burkina Faso, in die Kriegsregionen Sudans im Osten und nach Senegal im Westen. Insbesondere in Sachen LGBTIQ-Rechte müssen gefährliche Verschiebungen realisiert werden. Der Abbau und Export von Ressourcen, vor allem auch jenen, die in Europa für eine Energiewende nachgefragt werden, sind mit der jeweiligen Strategie zur Sicherung der Macht und den ökonomischen Perspektiven der Volkswirtschaften eng verwoben.
Der einzige Fortschritt, der konstatiert werden kann, ist eine Loslösung von der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich. Es ist zu hoffen, dass dieser Fortschritt nicht nach dem Muster verläuft: ein Schritt vor und zwei Schritte zurück. Denn in der gleichzeitigen Hinwendung einiger Staaten zur Russischen Föderation ist eine Hinwendung zu sozialen oder Freiheitsrechten nicht erkennbar. Zu den vielen alten Problemen im Sahel könnte mit dem wachsenden Autoritarismus schlicht ein neues dazukommen. Wo geht die Reise hin? Die einzelnen Artikel geben darauf keine pauschale, dafür aber etliche differenzierte Hinweise.
die redaktion, 2. September 2024