Protestaktion von erlassjahr.de vor dem deutschen Bundestag 2023 anlässlich des SDG-Gipfels. "Mit Schulden fair verfahren!"
Protestaktion von erlassjahr.de vor dem deutschen Bundestag 2023 anlässlich des SDG-Gipfels | Foto: © erlassjahr.de

Der Schulden­falle endlich ent­kommen?

Schuldenkrise in Sambia

Sambia gehört zu den kritisch verschuldeten Ländern im Globalen Süden. Umschuldungs­verhandlungen ziehen sich in der Regel in die Länge und private Gläubiger sind wenig bereit, sich an ausgehandelten Schuldenerleichterungen zu beteiligen. So bleibt der Effekt von Zinserleichterungen gering. Erzwungene Kreditaufnahmen beim Internationalen Währungsfonds führen dann leicht zu sozialen Spannungen wie zuletzt in Kenia.

von Malina Stutz

22.10.2024

Spätestens seit Ausbruch der Covid-19-Pandemie 2020 ist die weltweite Verschuldung wieder auf einem besorgniserregenden Stand. Laut Schuldenreport 2024 des deutschen Entschuldungsbündnisses erlassjahr.de sind mehr als die Hälfte der 152 untersuchten Staaten im Globalen Süden kritisch oder sehr kritisch verschuldet. Regierungen von verschuldeten Staaten im Globalen Süden müssen 2024 so viel wie noch nie an ausländische Gläubiger zurückzahlen: mehr als eine Milliarde US-Dollar pro Tag. Dieses Geld fehlt vor Ort, etwa für Investitionen in Gesundheit, Bildung und Klimaschutz.

Neben länderspezifischen Faktoren sind vor allem globale Faktoren verantwortlich für diese Krise: Die Niedrigzinspolitik in Ländern des Globalen Nordens infolge der Globalen Finanzkrise hat dazu geführt, dass ab 2010 Kredite im großen Umfang an Länder des Globalen Südens vergeben wurden, da dort höhere Zinsen lockten. So hat sich im Globalen Süden ein großer Schuldenberg aufgebaut. Die Rückzahlung dieser Schulden wird für viele Staaten im Kontext von Corona, Krieg und Klimakrise nun zunehmend unmöglich.

Auch Sambia ist betroffen. Schon vor der Corona-Pandemie hatte Sambia ein hohes Überschuldungsrisiko. Von 2019 bis 2021 fielen die Sozialausgaben im Land um mehr als 20 Prozent. An den Sozialausgaben wurde unter anderem gespart, um die hohen Schuldendienstzahlungen an ausländische Gläubiger leisten zu können. Dabei handelt es sich um ein vielfach zu beobachtendes Muster: Regierungen von Schuldnerstaaten versuchen häufig, die Zahlungsverpflichtungen an ausländische Gläubiger unter allen Umständen zu bedienen, selbst wenn dies bedeutet, dass sie die Verpflichtungen gegenüber der eigenen Bevölkerung – etwa in öffentliche Bildung und Gesundheitsversorgung zu investieren – dadurch verletzen.

DSSI mit geringem Effekt

Im Jahr 2020 und 2021 profitierte Sambia zunächst von der sogenannten Debt Service Suspension Initiative (DSSI). Die G20-Staaten hatten diese Initiative geschaffen, um unkoordinierte Zahlungseinstellungen zu verhindern und um Länder in der Pandemiebekämpfung zu unterstützen. Die DSSI ermöglichte es Staaten wie Sambia, ihre vertraglich vereinbarten Schuldendienstzahlungen an öffentliche Gläubiger im Jahr 2020 und 2021 vorübergehend auszusetzen. Allerdings war der Effekt minimal. Einerseits müssen Staaten die ausgesetzten Zahlungen an öffentliche bilaterale Gläubiger nachholen. Andererseits mussten Sambia und andere Schuldnerstaaten ihren Schuldendienst an multilaterale Gläubiger wie die Weltbank und an private Gläubiger wie Investmentbanken weiterbedienen.

Im Falle Sambias werden rund zwei Drittel der ausstehenden Forderungen von solchen privaten und multilateralen Gläubigern gehalten. Zwar forderten die G20-Staaten private Gläubiger auf, sich an der Initiative zu beteiligen, dazu verpflichtet wurden diese jedoch nicht. Im September 2020 stellte Sambia einen Antrag bei seinen Anleihegläubigern, die Rückzahlungen in der Krise vorübergehend auszusetzen. Die privaten Gläubiger wiesen dies jedoch zurück. So war Sambia im November 2020 das erste Land, das im Kontext der Pandemie schließlich seine Rückzahlungen an ausländische Gläubiger einstellen musste und in den Zahlungsverzug geriet.

Verlauf der Schulden­krise in Sambia

Frühjahr 2020: Im Kontext der Corona-Pandemie verschärft sich die Schuldenkrise in vielen Ländern explosionsartig.

15. April 2020: Mit der sogenannten Debt Service Suspension Initiative (DSSI) bieten die G20-Staaten 70 Staaten, darunter Sambia, die Aussetzung ihres Schuldendienstes an.

22. September 2020: Sambia bittet seine privaten Gläubiger, sich an der Schuldenaussetzung im Rahmen der DSSI zu beteiligen – ohne Erfolg.

13. November 2020: Sambia gerät offiziell in den Zahlungsverzug.

13. November 2020: Die G20 einigen sich auf die Schaffung des sogenannten Common Framework for Debt Treatment beyond the DSSI.

1. Februar 2021: Sambia beantragt Umschuldungs­verhandlungen im Rahmen des Common Frameworks der G20 Staaten.

31. August 2022: Der IWF vergibt einen Kredit an Sambia, der die Vorbedingung ist, damit öffentliche Gläubiger überhaupt mit Sambia im Rahmen des Common Frameworks verhandeln.

22. Juni 2023: Die öffentlichen Gläubiger einigen sich auf ein Umschuldungs­abkommen mit Sambia.

28. Mai 2024: Sambia vereinbart mit einem Teil seiner privaten Gläubiger, den Anleihehaltern, eine Umschuldung.

Bis Ende 2024: Die sambische Regierung hofft, bis Ende des Jahres 2024 mit seinen übrigen privaten Gläubigern Umschuldungsverhandlungen abzuschließen.

Bis 2043: Aufgrund der Umschuldungs­vereinbarungen wird Sambia bis 2043 Rückzahlungen an seine öffentlichen Gläubiger leisten müssen.

Bis 2053: Aufgrund der Umschuldungs­vereinbarungen wird Sambia bis 2053 Rückzahlungen an seine privaten Gläubiger leisten müssen.

Wenn ein Land in den Zahlungsverzug gegenüber seinen Gläubigern gerät, muss es mit diesen neue Bedingungen aushandeln, die die Rückzahlung wieder möglich machen. Dies kann durch die Streichung eines Teils der ausstehenden Schulden, eine Senkung der zu zahlenden Zinsen oder eine Verlängerung des Rückzahlungszeitraums geschehen – oder durch eine Kombination aus all diesen Möglichkeiten. Das Problem ist, dass es für überschuldete Staaten kein geordnetes und vor allem kein faires Verfahren gibt, in dessen Rahmen diese Verhandlungen geführt werden könnten: Erstens gibt es keine verbindlichen Regelungen, wann Gläubiger Forderungen gegenüber verschuldeten Staaten streichen müssen. Dies ist beispielsweise bei überschuldeten Privatpersonen anders. Hier schreiben Insolvenzregeln vor, dass Gläubiger ihre Forderungen streichen müssen, wenn die Rückzahlung die Grundrechte des Schuldners auf ein würdevolles Leben gefährden würde. Zweitens gibt es – ebenfalls im Unterschied zur Privat- und Unternehmensinsolvenz – keine unabhängige Instanz, an die sich Schuldnerstaaten wenden könnten und die auf Grundlage verbindlicher Regelungen in einer konkreten Situation entscheidet, welcher Anteil der Schulden gestrichen werden muss. Und letztlich gibt es für Schuldnerstaaten noch nicht einmal ein Verfahren, in dessen Rahmen über alle ausstehenden Schulden mit allen Gläubigern gemeinsam verhandelt werden könnte.

Gläubiger setzen die Spiel­regeln

Schuldnerstaaten wie Sambia müssen die Verhandlungen hingegen nach den Spielregeln führen, die von den Gläubigern gesetzt werden. Im Februar 2021 hat Sambia Umschuldungsverhandlungen im Rahmen des sogenannten Common Frameworks der G20-Staaten beantragt. Die G20-Staaten hatten sich im November 2020 auf dieses Rahmenwerk verständigt, um Schuldenkrisen schnell zu überwinden. Dieses selbstgesteckte Ziel wurde in Sambia ganz offensichtlich nicht erreicht: Streitigkeiten unter den Gläubigern führen dazu, dass sich die Verhandlungen mittlerweile über fast vier Jahre hingezogen haben – und noch immer nicht ganz abgeschlossen sind.

Das Problem ist, dass im Rahmen des Common Frameworks nur über öffentliche bilaterale Forderungen verhandelt wird. China hat lange darauf gedrängt, dass auch multilaterale Forderungen wie solche von der Weltbank in die Verhandlungen einbezogen werden. Die westlichen Staaten beharren jedoch darauf, dass multilaterale Forderungen nicht umgeschuldet oder gestrichen werden dürfen. Diese unterschiedlichen Interessen beruhen darauf, dass China einen Großteil der Kredite bilateral vergibt, während die westlichen Staaten bilateral nur wenig Kredite vergeben, jedoch die wichtigsten Anteilseigner multilateraler Institutionen wie der Weltbank sind. Auch in der Schuldenkrise der 1980er- und 1990er-Jahre haben die westlichen Staaten lange versucht, eine Streichung multilateraler Forderungen zu vermeiden und die Lösung der damaligen Schuldenkrise dadurch verschleppt. Schließlich mussten sie anerkennen, dass die Krise ohne die Streichung der multilateralen Forderungen nicht überwunden werden konnte. Im Falle Sambias hat China sich schließlich darauf eingelassen, dass sich die multilateralen Gläubiger formal nicht an der Umschuldung beteiligen, sondern lediglich neue – zinsgünstige – Kredite vergeben.

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Im Juni 2023, rund zweieinhalb Jahre nachdem Sambia Verhandlungen beantragt hatte, haben sich die öffentlichen bilateralen Gläubiger schließlich auf eine Umschuldungsvereinbarung geeinigt. Es wurden jedoch keine echten Erlasse, sondern lediglich Zahlungsverlängerungen und Zinssenkungen gewährt: Statt dass Sambia wie ursprünglich vereinbart in den 2020er-Jahren die ausstehenden Kredite zurückzahlen muss, wurden diese Zahlungen vor allem auf den Zeitraum von 2036 bis 2043 verschoben und bis dahin mit einem Zinssatz von ein bis 2,5 Prozent verzinst. Gläubiger verstehen dies als Zugeständnis, da Zahlungen in der Zukunft für sie aufgrund der erwarteten Inflation weniger wert sind. Für Schuldnerstaaten kann ein solcher Zahlungsaufschub eine Erleichterung bedeuten, da dadurch kurzfristig der Zahlungsdruck genommen wird. Das Risiko ist jedoch, dass die Krise dadurch nicht nachhaltig gelöst, sondern lediglich in die Zukunft verschoben und Sambia so langfristig in Abhängigkeit gehalten wird.

Das Risiko ist, dass die Schulden­krise nicht nachhaltig gelöst, sondern in die Zukunft verschoben und Sambia so lang­fristig in Abhängig­keit gehalten wird

Die Vereinbarung mit den öffentlichen bilateralen Gläubigern galt außerdem nur vorbehaltlich der Bedingung, dass Sambia es schafft, mit seinen privaten Gläubigern mindestens »gleichwertige Erleichterungen« auszuhandeln. Während die öffentlichen Gläubiger also Druck auf Schuldnerländer wie Sambia ausüben, nutzen sie gleichzeitig nicht ihre regulatorischen Möglichkeiten, private Gläubiger dazu zu verpflichten, sich tatsächlich in vergleichbarer Weise an Schuldenerleichterungen zu beteiligen. Dabei hätten insbesondere westliche Staaten diese Möglichkeiten durchaus, denn die meisten privaten Gläubiger haben ihren Sitz in westlichen Ländern und der Großteil der privaten Verträge ist unter dem Recht westlicher Staaten vereinbart. Daher könnten die westlichen Staaten Gesetze erlassen, die Privatgläubiger verbindlich zur Beteiligung an Schuldenerlassen verpflichten.

Im Mai 2024 schaffte Sambia es endlich, eine Vereinbarung mit einem Teil seiner privaten Gläubiger – den Anleihehaltern – auszuhandeln, die von den öffentlichen Gläubigern als »gleichwertig« akzeptiert wurde. Echte Erlasse haben auch die Anleihehalter nicht gewährt. Tatsächlich werden die alten Anleihen in Höhe von drei Milliarden US-Dollar sogar gegen neue Anleihen in Höhe von 3,05 Milliarden US-Dollar eingetauscht. Eine »Erleichterung« gewähren sie wie die öffentlichen Gläubiger lediglich in Form von Zinssenkungen und der Verlängerung von Rückzahlungsfristen: Ursprünglich hätte Sambia die Kredite bis 2027 an die Anleihegläubiger zurückzahlen müssen; die Umschuldungsvereinbarung sieht nun vor, dass der Großteil der Gelder bis Ende 2033 zurückgezahlt wird und einige Zahlungen auf den Zeitraum von 2051 bis 2053 verschoben werden. Verhandlungen mit den übrigen privaten Gläubigern sind noch nicht abgeschlossen.

Sowohl die öffentlichen Gläubiger als auch die Anleihehalter haben zudem in den Verhandlungen durchsetzen können, dass sie noch umfangreichere Rückzahlungen erhalten, wenn sich die wirtschaftliche Situation Sambias besser entwickelt als zunächst angenommen. Andersrum gilt dies jedoch nicht: Wenn sich die Wirtschaft Sambias – wie aktuell beispielsweise durch die Dürre – schlechter als zunächst angenommen entwickelt, werden die Zahlungsverpflichtungen nicht automatisch nach unten angepasst.

Einmal mehr ein IWF-Diktat

Letztlich haben die Gläubiger Sambia dazu verpflichtet, einen Kredit bei dem Internationalen Währungsfonds (IWF) aufzunehmen und vom IWF vorgegebene wirtschaftliche Maßnahmen umzusetzen. Auch dabei handelt es sich um eine der von den Gläubigern gesetzten Regelungen im Rahmen des Common Frameworks, der sich Schuldnerländer wie Sambia beugen müssen. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass die vom IWF geforderten Maßnahmen negative Auswirkungen für die Schuldnerstaaten hatten und beispielsweise die Ungleichheit im Land verschärft haben. Der IWF fordert aktuell beispielsweise von Sambia, die Steuern zu erhöhen und öffentliche Subventionen für Energieprodukte und Lebensmittel abzubauen. Dies führt dazu, dass die Preise für diese lebensnotwendigen Güter stark steigen und die Inflation anheizen. Der IWF sieht das Risiko, dass dies zu sozialen Protesten führen könnte. Dies führt jedoch nicht dazu, dass der IWF seine Politik ändern würde. Welch verheerenden Auswirkungen dies haben kann, ist aktuell in Kenia zu beobachten. Auch in Kenia versuchte die Regierung auf Vorgabe des IWF, Steuererhöhungen durchzusetzen. Proteste gegen diese Maßnahmen wurden von den kenianischen Sicherheitskräften scharf bekämpft, wodurch mindestens 40 Protestierende ihr Leben verloren.

Die Verhandlungen in Sambia über die letzten vier Jahre zeigen, dass es dringend eine Reform im Umgang mit Staatsschuldenkrisen braucht. Dabei liegt es in der Verantwortung westlicher Staaten, die die wichtigsten Anteilseigner der internationalen Finanzinstitutionen IWF und Weltbank sind, den Einbezug dieser Forderungen in Schuldenstreichungen zu ermöglichen. Auch private Gläubiger müssten von den Staaten, in denen die Gläubiger ansässig sind, dazu verpflichtet werden, sich an Schuldenerleichterungen zu beteiligen, so dass Verhandlungen nicht wie im Falle Sambias in die Länge gezogen werden. Zentral ist auch, dass Umschuldungsverhandlungen nicht weiter an die Bedingung geknüpft werden, dass Länder ein IWF-Programm umsetzen müssen und dass der Erlassbedarf von einem unabhängigen Akteur berechnet wird und die grundlegenden Menschenrechte der Bevölkerung kritisch verschuldeter Staaten gegenüber dem Recht der Gläubiger auf Rückzahlung priorisiert werden. Entschuldungsbewegungen weltweit – darunter in Sambia und in Deutschland – setzen sich für diese Ziele ein.

Malina Stutz ist politische Referentin bei erlassjahr.de – Entwicklung braucht Entschuldung e.V. Der Beitrag erschien zuerst bei afrika süd in der Ausgabe 2024-4.

Erlassjahr-Kampagne: Menschenrechte statt Schuldendienst

erlassjahr.de ist das deutsche Bündnis für faire Entschuldung mit mehr als 500 Mitträgerorganisationen in ganz Deutschland. erlassjahr.de setzt sich dafür ein, dass den Lebensbedingungen von Menschen in verschuldeten Ländern mehr Bedeutung beigemessen wird als der Rückzahlung von Staatsschulden. Die Jahrestagung des Bündnisses zum Thema »Menschenrechte statt Schuldendienst!« findet in Kooperation mit dem Netzwerk Entwicklungspolitik im Saarland vom 13. bis 15. September 2024 in Saarbrücken statt. Weitere Informationen hier.

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