Der türkische Patient
Die Inflation fußt auf Armut, Marktkonzentration und Haushaltsdefizit
Seit vielen Monaten verzeichnet die Türkei eine hohe Inflationsrate. Anfang Mai betrug die Teuerung gegenüber dem Vorjahr fast 70 Prozent. Damit stiegen die türkischen Verbraucherpreise im April so stark wie seit Ende 2022 nicht mehr. Besonders betroffen sind Gastronomie, Gesundheit und Verkehr.
In Deutschland sorgte schon eine Inflation von etwa zehn Prozent jährlich gegen Ende der Corona-Pandemie für Unmut. Aber in Ländern mit einer schwächeren, arbeitsintensiven Wirtschaft verfestigt sich dieses Problem auf einem deutlich höheren Niveau. In der Türkei führen die steigenden Lebenshaltungskosten zur Verarmung am unteren Rand der Gesellschaft. Zudem stellen sie einen Anreiz dar, auszuwandern, und steigern die Unzufriedenheit mit den politischen Verhältnissen. Wer davon profitiert, ist offen. Wir setzen mit dem folgenden Artikel unsere Recherchen zur »Vielfachkrise« im Dossier der letzten iz3w (402) fort. Ilhan Dögüs analysiert nun die Hintergründe der hohen Inflation in der Türkei.
Die hohe Inflationsrate in der Türkei verstetigt sich
Die hohe Inflation war schon immer ein Problem für Länder des Globalen Südens oder Länder mit einem niedrigen Bruttoinlandsprodukt. Dazu zählt auch die Türkei. Bezüglich der entwickelten Volkswirtschaften glaubten viele Forschende der Wirtschaftswissenschaften seit den 1990er-Jahren daran, dass die Inflation durch die präventive »Inflationsziel-Politik« überwunden sei. Die Europäische Zentralbank (EZB) beispielsweise strebt derzeit ein Inflationsziel von jährlich zwei Prozent an. Zumindest glaubte man bis zur Pandemie an den Erfolg dieser Politik. Doch geht diese Sichtweise an der Realität vorbei. Die Ökonom*innen Laurence M. Ball und Niamh Sheridan stellen in ihrem Fachartikel »Does inflation targeting matter?« fest, das