Proteste gegen ICE und Abschiebe-Razzien in Chicago, Illinois, 2019. Interview zu Trumps Abschiebepolitik
Proteste gegen ICE und Abschiebe-Razzien in Chicago, Illinois, 2019 | Foto: Charles Edward Miller CC-SA 2.0 Generic

»Die Angst hat sich deutlich erhöht«

Ein Interview mit Ariel Ruiz Soto zur US-Migrations­politik

Die Regierung Trump schockiert durch Massenabschiebungen und migrationsfeindliche Rhetorik. Was macht das mit migrantischen Communities? Darüber, und in welchen Punkten sich Trumps Politik von der seines Vorgängers Biden unterscheidet, haben wir mit Ariel Ruiz Soto gesprochen. Er ist Senior Analyst beim Migration Policy Institute, einem überparteilichen Forschungsinstitut in Washington, D.C., das Migrationspolitiken weltweit untersucht.

Das Interview führte Anuk Oltersdorf

07.04.2025
Veröffentlicht im iz3w-Heft 408

iz3w: Es gibt dieses Argument der politischen Rechten, dass es wirtschaftlich günstiger sei, Menschen abzuschieben, als sie im Land zu behalten. Ist das tatsächlich der Fall?

Ariel Ruiz Soto: Die wirtschaftlichen Auswirkungen von Abschiebungen sind komplex und vielschichtig. Zu den direkten Kosten der Abschiebung gehören die Ausgaben für die Inhaftierung, die Bearbeitung der Fälle und den Transport in die Herkunftsländer. Diese Kosten können beträchtlich sein, insbesondere wenn Abschiebungen mit Militärflugzeugen durchgeführt werden oder groß angelegte Maßnahmen nötig sind.

Abgesehen von den unmittelbaren finanziellen Kosten haben Abschiebungen auch erhebliche soziale Folgen. Viele der Abgeschobenen sind Hauptverdiener*innen für ihre Familien. Ihre Abschiebung kann zu finanzieller Unsicherheit für die Familienangehörigen führen. In einigen Fällen werden staatliche Mittel benötigt, um die Betroffenen zu unterstützen, was die Kosten für die Allgemeinheit weiter erhöht.

Viele zögern aus Angst vor Inhaftierung, öffentliche Ein­richtungen und Angebote in Anspruch zu nehmen

Massenabschiebungen können sich negativ auf ganze Sektoren auswirken, die auf die Arbeitskraft von Zuwanderer*innen angewiesen sind, wie die Landwirtschaft, die verarbeitende Industrie und der Dienstleistungssektor. Viele Migrant*innen ohne Aufenthaltstitel arbeiten in Stellen, in denen sie nur schwer durch US-Arbeitskräfte ersetzt werden können. Wenn es in diesen Branchen aufgrund von Abschiebungen zu einem Arbeitskräftemangel kommt, kann dies zu wirtschaftlichen Problemen, steigenden Kosten und geringerer Produktivität führen. In solchen Fällen können also die wirtschaftlichen Kosten groß angelegter Abschiebungen die vermeintlichen Vorteile überwiegen.

Wie ist die Stimmung in migrantischen Communities seit der Amtseinführung von Donald Trump?

Das politische Klima unter der Trump-Regierung hat die Angst und Unsicherheit in migrantischen Communities deutlich erhöht. Die aggressive Haltung der Regierung in Bezug auf die Durchsetzung der Einwanderungsbestimmungen, gepaart mit öffentlichkeitswirksamen Abschiebungen und scharfer Rhetorik, verbreitete ein Klima der Angst, selbst unter Migrant*innen mit legalem Aufenthaltsstatus und US-Bürger*innen in Familien mit gemischtem Aufenthaltsstatus.

Viele Migrant*innen zögern aus Angst vor Inhaftierung und Abschiebung, öffentliche Einrichtungen und Angebote in Anspruch zu nehmen oder sich in ihren Wohnorten frei zu bewegen. Eltern vermeiden etwa Gesundheits- oder Bildungseinrichtungen für ihre Kinder mit US-Staatsbürgerschaft, da sie befürchten, dass sich das negativ auf ihren Einwanderungsstatus auswirken könnte. Zudem versucht die Trump-Administration, öffentliche Leistungen für Einwanderer*innen einzuschränken. Auch das schreckt viele ab, diese in Anspruch zu nehmen.

Wie unterscheidet sich Bidens Migrationspolitik von der Trumps?

Die Regierung Biden versuchte, einen ausgewogeneren Ansatz zu verfolgen, indem sie Möglichkeiten legaler Migration ausweitete, aber an der Kontrolle der Grenzen festhielt. Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung war Bidens Politik jedoch nicht unbedingt nachsichtiger als die von Trump.

Auch Bidens Regierung setzte strenge Maßnahmen um. So ging die Zahl der Migrant*innen, die an der Grenze ankamen, Anfang 2024 zurück. Interessanterweise waren trotz Trumps Rhetorik über Massenabschiebungen die tatsächlichen Abschiebezahlen unter Biden höher, mit durchschnittlich 57.000 Abschiebungen pro Monat im Vergleich zu 38.000 unter Trump. Der größte Unterschied besteht darin, dass sich die Abschiebungen unter Biden auf die US-mexikanische Grenze konzentrierten. Trump hingegen hat auch die Migrant*innen im Fokus, die bereits in die Gesellschaft integriert sind.

Wie stehen die Herkunftsländer zu den Abschiebeflügen?

Die meisten Länder akzeptieren die Rückkehr ihrer eigenen Bürger*innen und bereiten die Unterstützung ihrer Wiedereingliederung vor. Ein neuer Trend ist jedoch die Bereitschaft einiger Länder, aus den USA abgeschobene Drittstaatsangehörige aufzunehmen.

So erklärte sich beispielsweise Panama zunächst bereit, Drittstaatsangehörige aufzunehmen, ließ sie aber später wieder frei, als klar wurde, dass sie nicht weiter abgeschoben werden konnten. Costa Rica hat einige Migrant*innen aufgenommen und denjenigen, die die Voraussetzungen erfüllen, Asyl gewährt, während El Salvador zugestimmt hat, Drittstaatsangehörige im Austausch für finanzielle Unterstützung aus den USA in Haft zu nehmen. Diese Veränderungen in der internationalen Zusammenarbeit sind Zeugnis eines bedeutenden Wandels in der globalen Abschiebedynamik.

Ariel Ruiz Soto ist Senior Analyst beim Migration Policy Institute, einem überparteilichen Forschungsinstitut in Washington, DC, das Migrationspolitiken weltweit untersucht.

Das Interview führte Anuk Oltersdorf. Übersetzung aus dem Englischen von Kathi King.

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