Zweiter Weltkrieg und Befreiung

von iz3w redaktion

11.02.2025
Veröffentlicht im iz3w-Heft 407
Teil des Dossiers Vergessene Befreier

In der deutschen Geschichtsschreibung erscheint der globale Zweite Weltkrieg als ein europäischer Krieg. Doch auch der afrikanische Kontinent war ein Kriegsschauplatz, vor allem die mit Hitler-Deutschland verbundene Achsenmacht Italien führte ihren Abessinienkrieg in Äthiopien/Eritrea schon seit 1935. Zudem kämpften zahlreiche afrikanische Kolonialsoldaten auf beiden Seiten. Die französischen und britischen Armeen waren bunter gemischt, als es gängige Fotografien deutscher Schulbücher zeigen. Auch Lateinamerika und die Karibik waren involviert, und viel mehr noch gilt das für den ‚nahen‘, ‚mittleren‘ und ‚fernen‘ Osten. Der Zweite Weltkrieg tobte, geführt durch die zweite große Achsenmacht Japan, mit äußerster Wucht auch in China und bis nach Ozeanien.

Das Zentrum und der Ausgangspunkt des Zweiten Weltkriegs war Deutschland und dieser Krieg schockiert in mehrfacher Hinsicht. Auch auf dem Rückzug der Deutschen Wehrmacht und in der äußersten Defensive der letzten Kriegsmonate lief die Vernichtungsmaschinerie der Nazis gegen die Jüdinnen und Juden weiter auf Hochtouren.

Die Kolonial­soldaten sind in den Statistiken zumeist non-existent

Ein Blick über 1.500 Kilometer nach Osten: Hitler hatte den Krieg gegen die Sowjetunion als »Vernichtungskampf« bezeichnet. Mit der »Aktion Reinhardt« war der Terror gegen die Juden 1941 in den organisierten Massenmord übergegangen. Ebenfalls systematisch ermordet wurden Roma, Sinti und sowjetische Kriegsgefangene. Die »Richtlinien für das Verhalten der Truppe in Russland« forderten »rücksichtsloses und energisches Durchgreifen gegen bolschewistische Hetzer, Freischärler, Saboteure, Juden«.

Mit der »Aktion 1005« sollten die Spuren der deutschen Verbrechen in Osteuropa verwischt werden. Zahlreiche Kommandos öffneten die Massengräber, jüdische Häftlinge mussten die Leichen verbrennen um anschließend selbst erschossen zu werden. Im Bundesarchiv Ludwigsburg liegt eine Akte mit der Geschichte des Überlebenden Stefan Pilunov aus einem Gefangenenkommando in Mogilew/Weißrussland. Er berichtet davon, wie er Holz, Teer und Leichen wieder und wieder zur Verbrennung und dem anschließenden Mörsern der Knochen aufeinander stapeln musste.

Die »Aktion 1005« fand 1943 beim Rückzug der Wehrmacht statt und auch da vollbrachten die Deutschen noch logistische Hochleistungen. Und dann ist da die andere Seite der Geschichte: Vom Osten drängte die multiethnische Rote Armee mit dem Mut der Verzweiflung die Deutsche Wehrmacht zurück. Die Alliierten um die Sowjetunion, USA, Großbritannien und Frankreich haben dann das Deutsche Reich in eineinhalb Jahren im Mehrfrontenkrieg erdrückt. Die Kapitulation folgte am 8. Mai 1945.

Das Kriegsgedenken in Deutschland fand lange Zeit vor allem mit Blick auf die eigenen Opfer statt. Dabei machen dessen knapp 6,5 Millionen Tote nur ein Zehntel der etwa 65 Millionen Kriegsopfer aus. Die Sowjetunion verzeichnete 27 Millionen Todesopfer. Indien kommt aufgrund einer kriegsbedingten Hungersnot in Bengalen auf 3 Millionen Tote. Kaum ein Bewusstsein existiert über die 30.000 australischen Todesopfer. Die Kolonialsoldaten sind in den Statistiken zumeist non-existent und verschwinden in Todeszahlen der britischen und französischen Armee. Für beide Staaten bildeten ihre Kolonien das größte Rekrutierungsfeld für Kriegsdienste. Abgesehen von der Sowjetunion kämpften mehr Soldaten aus den Kolonien, als aus Europa in diesem Krieg. Wenig Kenntnis besteht auch über den immensen Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieg und den Beginn des Zweiten Weltkriegs in Asien ab 1937, bei dem es 13,5 Millionen Tote in der Republik China gab. Japan kämpfte noch im August 1945, bis die Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki es zur Kapitulation zwangen, und kam auf 3,7 Millionen Tote.

Eben jene globale Dimension wollen wir hier beleuchten. Im Dossier blicken wir auf die Kolonialsoldaten unter den Befreiern und wenden den Blick nach Nordafrika (Ein Tabuthema). Wir zeigen was der Zweite Weltkrieg für die jüdische Bevölkerung in der Türkei bedeutete (Rettung oder Zurück­weisung?). Dem steht ein Interview über die Erinnerungsarbeit in der Türkei zur Seite (»3000 türkische Juden wurden in KZs ermordet«). Wir berichten über asiatische Frauen im antijapanischen Widerstand (International­ismus statt Ethno­nationalismus). Es geht um Erinnerungsarbeit am Beispiel einer »Friedensstatue«, die das Schicksal von Frauen aus Asien und der Pazifikregion erinnert, die in japanische Militärbordelle verschleppt wurden. Wir zeigen, dass Italien auch von brasilianischen Soldaten befreit wurde (»Ihre Geschichte drohte zu ver­schwinden«). In Deutschland betrachten wir die Rolle des Kolonialismus für diesen Krieg. Zusätzlich haben wir im Mantelteil des Hefts (»Schwarze Menschen hatten keine Rechte«) ein Interview über Schwarze Menschen im NS.

Das Befreiungsjubiläum ist auch ein Anlass, um zu erinnern und zu feiern. Erinnern: Zu den Widersprüchen des Zweiten Weltkriegs gehört seine Einmaligkeit und umgekehrt der Satz des italienischen Schriftstellers Primo Levi: »Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen: Darin liegt der Kern dessen, was wir zu sagen haben.« Je entschiedener wir uns der aktuellen Rechtsentwicklung entgegenstellen, umso eher verhindern wir kommendes Grauen. Und Feiern: Wir feiern die Befreiung mit der Ausstellung »Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg«, die in Köln von recherche international e.V. gezeigt wird. Das recherche-Team hat auch das vorliegende Dossier wesentlich zusammengestellt. Tausend Dank! Dazu finden in Köln, Freiburg und anderen Städten Veranstaltungen zum Erinnern an 80 Jahre Befreiung statt.


die redaktion, 14.2.205

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Dieser Artikel ist erschienen im iz3w-Heft Nr. 407 Heft bestellen
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