Bernd Heyl/Sebastian Voigt/Edgar Weick (Hg.): Ernest Jouhy
Einem der »Vordenker des globalen Lernens«, Ernest Jouhy, ist nun ein Sammelband gewidmet. Mitherausgeber Bernd Heyl benennt darin die Anforderungen Jouhys an eine Pädagogik für die »Dritte Welt« so: Es sollen kooperative Forschungsansätze sowie transnationale und interkulturelle Ansätze hin zu »einem solidarischen und friedlichen Handeln« gefördert werden. Jouhy analysierte die Gemeinsamkeiten kolonial geprägter Erziehungssysteme und sprach sich für solidarische Hilfe und Bildung aus, die zur Überwindung der »Verinnerlichung der Unterdrückerideologie« beitragen sollte.
Jouhy steht für ein optimistisches Bildungsverständnis. Die Überwindung der kapitalistisch geprägten Entwicklung sei nicht möglich, »ohne dass das Bewusstsein der Unterdrückten all die materiellen und ideellen Kompetenzen sich angeeignet, die die wissenschaftlich-technische Revolution entwickelt hat.« Jouhy sah zwar den Doppelcharakter der Bildung, jedoch überwog für ihn, dass »Massenbildung auf Dauer das explosive Bedürfnis nach Veränderung« erzeuge. Durch Bildung entdecke der Mensch »nicht nur seine Abhängigkeiten, sondern auch seine Möglichkeiten«.
Dem Band gelingt es, Jouhys Leben und Denken anschaulich und auf hohem Niveau auszubreiten. Schon durch die Themen wird die Aktualität deutlich: Sebastian Voigt illustriert den Lebensweg Jouhys im 20. Jahrhundert anhand deutsch-französischer Geschichte vor dem Hintergrund des Holocaust bis zum reformpädagogischen Aufbruch der 1960er-Jahre. Jouhys Geschichte jüdischer Herkunft, sozialistischer Weltorientierung und undogmatischer Positionsbestimmung steht beispielhaft für sein Werk und einen Teil der westdeutschen Linken. Edgar Weick stellt Jouhys Verständnis von emanzipatorischer Bildung dar. In weiteren Beiträgen gehen Voigt und Weick den in der Forschung bisher wenig beachteten Erzählungen und Gedichten Jouhys nach. Im zweiten Teil des Buches nehmen Orginalschriften Jouhys die LeserInnen mit auf eine Reise durch sein Denken. Leider findet sich dort kein Primärtext zur Pädagogik der »Dritten Welt«. Es bleibt der Verweis auf Jouhys Essaysammlung »Bleiche Herrschaft – dunkle Kulturen«.
Was bedeutet Jouhy uns heute? Nach Jahrzehnten der Alphabetisierungsprogramme, der Bildung städtischer Eliten und des Technologietransfers haben sich die globalen und nationalen Ungleichheiten verfestigt und nicht solidarisch aufgelöst. Auch durch die »Bildung für nachhaltige Entwicklung« stellte sich kein grundlegender Sinneswandel ein. Jouhys Verständnis von einer Pädagogik für die Emanzipation ging weit über die heute praktizierte Bildung für nachhaltige Entwicklung hinaus, auch wenn er den grundsätzlichen Sinn von Entwicklung nicht in Zweifel zog.
Gerade angesichts des Scheiterns der Entwicklungspolitik müssten Jouhys Bildungsoptimismus und seine Sicht auf technologische Entwicklung heute kritisch hinterfragt werden. Und was Jouhys Bezug auf Identität und Heimat für eine Pädagogik des globalen Südens bedeuten könnte, insbesondere vor dem Hintergrund zahlreicher Konflikte zwischen lokaler Identität und nach wie vor westlich geprägter Bildungsorganisation, wäre eine weitere Untersuchung wert.
Tobias Cepok
Bernd Heyl/Sebastian Voigt/Edgar Weick (Hg.): Ernest Jouhy. Zur Aktualität eines leidenschaftlichen Pädagogen. Brandes & Apsel, Frankfurt a.M. 2017. 263 Seiten, 24,90 Euro.