Buchcover »Die Regeln des Spiels« von Colson Whitehead Spiegel Besteller

Ringen mit der Metropole

Rezensiert von Patrick Helber

11.12.2023
Veröffentlicht im iz3w-Heft 400

Die Regeln des Spiels ist die Fortsetzung von Colson Whiteheads Ganovenroman »Harlem Shuffle« (2021), in dem der US-amerikanische Autor und zweimalige Pulitzerpreisgewinner (2017 und 2020) den Schwarzen Protagonisten Ray Carney durch das Harlem der 1970er-Jahre wandeln lässt. Whitehead erweckt New York zum Leben, wenn er politische Ereignisse im Rahmen Schwarzer Communities, Orte in Manhattan, aber auch begehrte Konsumobjekte oder beliebte Popsongs mit in die Handlung einbaut.

Ray Carney verfolgt als Sohn eines verstorbenen Harlemer Ganoven eine Karriere als erfolgreicher Möbelhändler. Vom kriminellen Erbe der Familie kann er sich aber nicht komplett freimachen und so tanzt er geschickt zwischen Legalität und Illegalität durch die moderne Großstadt. Die beiden Pole bilden einerseits seine bürgerliche Kernfamilie mit seiner Frau Elizabeth und seiner Tochter und andererseits seine meist nächtlichen Machenschaften mit Pepper, einem knallharten Koreakriegsveteranen, der schon seinem Vater bei schmutzigen Geschäften zur Seite stand. Das Möbelgeschäft ist immer wieder Zentrum der Handlung. Für aufstrebende Schwarze Familien ist es ein bürgerlicher Sehnsuchtsort. Für Carney ist es zudem ein Übergangsort, an dem er sowohl als charmanter Verkäufer als auch als Hehler aktiv ist, um gestohlene Ware in den legalen Kreislauf zurückzuführen.

Whitehead bindet dabei immer wieder den Blick des Möbelexperten in die Handlung ein: »Er saß auf einer Backe der Armlehne eines 1940er-Collins-Hathaway-Sofas, das einen kranken Eindruck machte. Ihm war nie zuvor der Gedanke gekommen, dass Möbelstücke erkranken konnten, doch von diesem Tag an erkannte er sie, wenn er sie sah, die Art, wie Menschen alles infizierten.« Lesenswert ist »Die Regeln des Spiels«, weil Whitehead, ähnlich wie Alfred Döblin in »Berlin Alexanderplatz« (1929), die moderne Metropole selbst zur Akteurin macht. Mit der Stadt liefert sich Carney eine bildreiche Auseinandersetzung darüber, wer tatsächlich die Hauptrolle im Roman spielt: »Er hatte Stunde um Stunde geschuftet, Wellen von Rückschlägen und Misserfolgen ertragen, unter den Augen jenes grausamen und leidenschaftslosen Chefs – der Stadt selbst – geschwitzt und gelitten.« Wer am Ende das Rennen macht, wird wohl der Abschluss der Trilogie zeigen. Vielleicht bricht dieser dann noch mit der von heterosexuellen Männern dominierten Erzählung. Marlon James queeres Gangsterepos »Eine kurze Geschichte von sieben Morden« (2016), das mit dem Booker Prize ausgezeichnet wurde, demonstriert gut, dass auch das in New York möglich ist.

Colson Whitehead: Die Regeln des Spiels. Hanser Verlag, Berlin 2023. 384 Seiten, 26 Euro.

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