Cover von  »Zwei Sekunden brennende Luft« von Diaty Diallo

Zusammen einsam

Rezensiert von Rosaly Magg

11.12.2023
Veröffentlicht im iz3w-Heft 400

Astor und seine Freunde Chérif, Issa, Demba und Nil kennen sich schon ewig. Sie leben in einer Banlieue von Paris, in der die Konfrontation mit der Polizei zum Alltag gehört. Als Kinder und Enkelkinder von Migrant*innen, sind sie in Frankreich aufgewachsen und zugleich von der Migrationserfahrung ihrer Familien geprägt: »Es gibt Leute, die in uns nur den lärmenden Nachwuchs unserer Vorfahren sehen, die wenigstens noch die Fresse gehalten haben.«

Wenn sie zusammen feiern, reden sie laut, tanzen, rennen, qualmen billige Zigaretten, geben sie sich den Bässen hin. Auf ihren Partys küssen sich die Leute sanft, »außer Atem, Handfläche an Handfläche, Körper aneinandergeschmiegt (...) Arrythmetische Herzen, zu zweit, zu dritt. Die undisziplinierte Sprache der Zärtlichkeit.«

Diallo findet für diese Partys eine radikale und zugleich schöne Sprache: »Honig fließt von den Wänden, ich möchte ihn ablecken, meine Zunge und Finger hineintauchen.« Detailliert beschreibt die 1989 geborene französische Autorin die Fallstricke einer abgehängten jugendlichen Existenz. Sie sind immer im Rudel unterwegs, die »kleinen Brüder« auf ihren frisierten Mofas. »Aber eigentlich schleppt jeder etwas Düsteres, Unergründliches mit sich rum«. Sie sind »zusammen einsam«. Regelmäßig erdulden sie die schikanösen Identitätsfeststellungen der Polizei – gleich einem Ritual der Unterwerfung. Es ist nur ein kleiner Schritt bis zur Eskalation: »Man kann nicht 365 Tage im Jahr in Deckung bleiben.« Es schließt sich ein Kreislauf aus Provokation, Beleidigung, Schlägen, Entmenschlichung, Erniedrigung, Angst und Tod.

Diallos Debüt atmet den »Geruch des Undergrounds«

Das Schreiben über Trauer, Polizeigewalt, Ausgrenzung und strukturellen Rassismus wird in diesem Roman neu ausbuchstabiert von einer, die in der selben Welt groß geworden ist. Diallos Debüt atmet den »Geruch des Undergrounds« und ist gleichzeitig auch ein Songbook – die Playlist der Autorin und der Übersetzerinnen findet sich am Ende des Buches.

Für Astor und seine Freunde ist klar: Das System ist für die Gewalt verantwortlich. »Selbst wenn die Polizei abgeschafft würde, der Hass würde weiterexistieren auf unserer Haut, die uns einen Platz zuweist, egal wer wir sind, diese Besessenheit würde weiterexistieren, diese Momente, in denen wir unter Schlägen verschwinden: Das nennt man System.« In Diallos Roman spielt Hass eine zentrale Rolle: Hass als Motor und Werkzeug. Hass im Sinne von politischer Macht und eines Bekenntnisses zu Radikalität in Zeiten des Aufstiegs der extremen Rechten. Der Roman kommt zur richtigen Zeit.

Diaty Diallo: Zwei Sekunden brennende Luft. Assoziation A, Berlin
2023. 188 Seiten, 20 Euro.

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