Buchcover von »Controlling Reproduction« mit Händen auf schwarzem Hintergrund, auf denen rote Blitze gemalt sind

Alle ent­scheiden, nur die Frau­en nicht

Rezensiert von Beata Reichenbacher

17.08.2023
Veröffentlicht im iz3w-Heft 398

Die weitreichende Kriminalisierung von Abtreibungen in den USA durch die Aufhebung des Grundsatzurteils »Roe v. Wade« war ein Schock für viele. Die Entscheidung reiht sich jedoch in eine Reihe von Regelungen und Politiken weltweit ein, die darauf abzielen, Reproduktion zu lenken. Nancy E. Riley und Nilanjana Chatterjee gehen in Controlling Reproduction. Women, Society, and State Power den Versuchen, die Reproduktion zu kontrollieren, nach. Sie zeigen an 14 Länderbeispielen, wie das Leben von gebärfähigen Personen eingeschränkt wird, um übergeordneten Zielen, wie denen des Staates, zu dienen.

Die Vielzahl staatlicher Kontrollmechanismen ist erschreckend: Rumäniens Bevölkerungsprogramm in den 1980er-Jahren wird als ein reproduktiver Albtraum beschrieben, in dem Frauen monatliche Untersuchungen über sich ergehen lassen müssen, Abtreibung kriminalisiert und der Fötus als Eigentum des Staates propagiert wird. Während in Rumänien Reproduktion als Mittel zur Bevölkerungsvergrößerung gewählt wird, geschieht in China mit der populären »Ein-Kind-Politik« das Gegenteil. Mit geringerer Geburtenzahl versprach man sich wirtschaftliches Wachstum. Wer ein zweites Kind bekam, wurde sterilisiert. Riley und Chatterjee schildern die Politiken der verschiedenen Länder und begründen immer wieder ihre These: Alles dreht sich um Reproduktion.

Dabei wirken verschiedene Kräfte aufeinander ein: das Patriarchat, die Familie, der Staat, Religionen, Communities. Alle haben genaue Vorstellungen davon, wie Reproduktion ablaufen sollte und welche Rechte Frauen besitzen. Und nicht zuletzt ist da der Neoliberalismus, der all diese Institutionen durchdrungen hat. Die Autorinnen kritisieren die spezifisch neoliberale Vorstellung von Choice, der freien Entscheidung. Dabei würde die Verantwortung auf die Einzelnen abgewälzt, anstatt soziale Strukturen in den Blick zu nehmen. Dagegen gehen Riley und Chatterjee auch auf durch Rassismus diskriminierte, ökonomisch schlechter gestellte und marginalisierte Frauen ein, denen keine oder zu wenig staatliche Hilfe zugutekommt.

Zuletzt geben Riley und Chatterjee Ausblicke auf mögliche Weiterentwicklungen der Reproduktionskontrolle, indem sie feministische Fiktion vorstellen: Ist die beschriebene Gesellschaft in dem dystopischen Roman »Der Report der Magd« von Margaret Atwood, in der Frauen verpflichtet sind, Kinder zu gebären, wirklich so weit entfernt von der heutigen Zeit? Die Autorinnen geben einen Überblick über die aktuellen Verhältnisse, nehmen Bezug auf das Urteil zu »Roe v. Wade« und begründen auch historisch, warum die Kontrolle von Reproduktion seit jeher im Interesse der Machthabenden ist – und warum wir weiter dafür kämpfen müssen, dass Frauen selbst über ihre Körper bestimmen können.

 

Nancy E. Riley und Nilanjana Chatterjee: Controlling Reproduction. Women, Society, and State Power. Cambridge/Hoboken 2023, Polity Press. 224 Seiten, ca. 25 Euro.

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