Die »Indische Nina Hagen«?

Songs von Tritha Sinha gegen Korruption, Umweltzerstörung und Patriarchat

Audiobeitrag von Eva Gutensohn

09.10.2023

Die Musikerin Tritha wird gerne auch als »Indische Nina Hagen« bezeichnet. Nichts gegen Nina Hagen, doch dieser Vergleich greift zu kurz und ist unserer westlichen Brille geschuldet. Die Musikerin Tritha ist viel mehr.

Tritha Sinha wuchs im Kalkutta auf und pendelt seit vielen Jahren zwischen Neu-Delhi und Paris, wo sie jeweils in vielen Musikprojekten und Bands aktiv ist. Ihre Musik ist mehr als Punk: Als klassisch ausgebildete Sängerin mischt sie traditionelle Folkmusik mit psychedelischen Klängen, Krautrock und Electronics. So transportiert sie die typisch indische Musikkultur in den Rest der Welt. Sie spielte schon in vielen Kooperationen und gewann zahlreiche Auszeichnungen. Die BBC nannte sie einst auch »Musikaktivistin«, denn neben der Kraft des Sounds setzt Tritha in ihren Lyrics – größtenteils in Sanskrit gesungen - starke Zeichen gegen Korruption, das Patriarchat und die Zerstörung von »Mutter Erde«. Doch warum eigentlich ist die Erde weiblich konnotiert?


Skript zum Beitrag

Erstausstrahlung südnordfunk 3. Oktober 2023 | Radio Dreyeckland

Tritha Sinha: Sie gibt, sie ernährt, sie versorgt uns, es wird in sie eingedrungen, was ein sehr männliches Ding ist... Menschen nehmen Öl aus ihr heraus. Das letzte Album, das ich veröffentlicht habe heißt Pacha Mama. Alle fragten, wer ist Pacha Mama? Sie ist die Göttin Mutter Erde und noch nie zuvor hatte sie es so nötig, so sehr gepriesen und geliebt zu werden, wie jetzt. Ich versuche, die Liebe für die Erde durch meine Musik zurückzubringen. Ich nenne meine Musik grüne Musik. Die Message, die ich rüberbringen will ist es, grün zu sein als Planet, wir leben alle auf derselben Erde. Wenn ich Musik mache, öffnet das die Grenzen. Meine Musik will also entweder heilen oder provozieren.

Sprecherin: Neben ihrer Band arbeitet Tritha seit vielen Jahren in der Musiktherapie, die insbesondere auf die heilende, vibrierende Kraft von Tönen und Sounds setzt. Dafür setzt sie zum Beispiel eine Klangschale ein, die sie mit einem Holzstab zum Klingen und gleichzeitig ihre professionelle Stimme damit in Gleichklang bringt. Ihre Musik ist somit auch ein ganz und gar physisches Ereignis, wenn der Körper der Zuhörer*in wohlig zu vibrieren beginnt.

Provozieren will Tritha, indem sie problematische Themen aus ihrer Heimat in Rockmusik verpackt und unverblümt besingt.

Tritha Sinha: Es geht auch viel um sozial relevante Themen in Indien: Angefangen bei Frauenräumen. Wir fühlen uns nicht sehr frei als Frauen, wir werden oft belästigt. Es gibt auch viele Zwangsehen, häusliche Gewalt. Und viel Korruption. Es gab einen Entwurf für ein Antikorruptionsgesetz, ein Aktivist war im Hungerstreik und starb fast. Im Parlament haben sie mit Schuhen nacheinander geschmissen, das Gesetz wurde schließlich nicht verabschiedet. Das Parlament und das Land wurden regelrecht zum »Fischmarkt«. So entstand mein Punksong. Ich rede tatsächlich über Fisch. Da, wo ich herkomme, ist der Fluss quasi tot aufgrund der Verschmutzungen. In dem Song sind die Politiker*innen die faulen Fische, die alles vergiften, wovon man krank wird. Das wurde wirklich ein Hit, wegen des Sounds vor allem.

Sprecherin: Indien ist in der Vergangenheit öfters wegen Gewalt an Frauen in die Schlagzeilen gelangt. Gibt es eine feministische Bewegung in Indien und hat sie eine Chance, was zu erreichen?

»Das ist schockierend. Jede Frau ist verhüllt.«

Tritha Sinha: Die Gesellschaft ist hardcore patriarchal. Sogar meine Mutter und Großmutter kannten nichts anderes als ihre Rolle als Mutter und Hausfrau. Das kann ja okay sein, solange die Ehe okay ist. Aber dazu kommt die Tradition der Gewalt: Vielleicht aufgrund von Konkurrenz, Druck, was auch immer unter den Männern. Und wird ins Haus zurückgetragen. Das sahen wir als Töchter und das war nicht zu ertragen. Meine Mutter wollte, dass ich unabhängig werde und eine Stimmer habe. Mit einer Freundin habe ich das Bandprojekt »Space« (Raum) gegründet, worin es viel um diese Themen geht. Wir hatten als Band viele Freundinnen, die mit ihren Problemen auf uns zukamen und uns inspiriert haben.

Es gibt Unterschiede zwischen Stadt und Land. Auf dem Land gibt es sehr viel erzwungene Ehen und viel Gewalt gegen Frauen, bis hin zu Verbrennungen. Das ist schockierend. Jede Frau ist verhüllt. Wir wollten dort ein Video gegen diese Zwangsehen drehen und das war sehr schwierig. Aber umso wichtiger, denn für viele Frauen ist unsere Musik eine Art Katharsis. Motivation, Inspiration und Hoffnung. Viele Mütter unterstützten uns, indem sie sagen: Ja, verbreitet eure Message, sodass unsere Töchter nicht wie wir leben müssen.

Shownotes

Eva Gutensohn ist Musikredakteurin bei Radio Dreyeckland. Sinha Tritha spielte im Sommer auf dem Agrikulturfestival in Freibug und war bei RDL im Studio zu Gast.

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