Wenn Boote Geschichten erzählen
Archäologie und Fluchtrouten übers Mittelmeer
Jedes Jahr sterben Tausende Menschen bei Fluchtversuchen über das Mittelmeer. Doch was genau auf dem Mittelmeer passiert, ist nahezu unbekannt. Nun forschen Archäolog*innen dazu auf der italienischen Insel Lampedusa. Sie untersuchen die Boote der Geflüchteten und dokumentieren, wie sich die Flucht im Laufe der Zeit verändert.
Seit über zwei Jahrzehnten ist ein kleiner Flecken Erde im italienischen Mittelmeer einer der wichtigsten Ankunftsorte für Geflüchtete aus Afrika. Die Insel Lampedusa liegt 130 Kilometer vor dem afrikanischen Festland. Sie ist ein Ort der Hoffnung für jene, die die gefährliche Überfahrt wagen – und zugleich ein Symbol für das Sterben im Mittelmeer und die mangelnde Solidarität der europäischen Regierungen mit den Geflüchteten. Wir erfahren davon meist in Form von Zahlen und Statistiken – über die Lebensrealität auf der Flucht hingegen wissen wir wenig. Hinzu kommt, dass jene, die die Flucht überlebt haben, oft nicht von ihren Erlebnissen erzählen möchten. Sie haben Angst vor Menschenhändler*innen, Angst selbst einer Straftat bezichtigt zu werden, oder sind traumatisiert. Nur Wenige schildern ihre Fluchterfahrung so detailliert, dass man sich als Europäer*in ein Bild von der Situation machen kann.
Am Institut für Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie der Universität Kiel wollten wir uns nicht länger damit abfinden, dass wir über eine seit Jahrzehnten bestehende Krise so wenig wissen. Im Rahmen eines Promotionsprojekts breche ich im September 2023 mit einem Team aus freiwilligen Archäolog*innen nach Lampedusa auf. Als prähistorische Archäolog*innen haben wir es gewöhnlich mit Kulturen und Geschehnissen aus einer Zeit zu tun, aus der es keine schriftlichen und mündlichen Überlieferungen gibt. Mit den gleichen Methoden wollen wir uns die Boote