Brautpaar in Festkleidung mit Gastgeschenken während der Hochzeit
Hochzeit in Indien | Foto: Benipal Hardarshan | CC BY-SA 3.0

Selektion und Schläge - Bevölkerungs­politik und Familie in Indien

Das Ziel lautet: Die Geburtenrate senken.

Seit den 1970er-Jahren verfolgen Indiens Regierungen eine aktive Bevölkerungspolitik und versuchen, die Geburtenrate zu senken. Statt auf Repression setzt man heute auf finanzielle Anreize. Eine regelmäßige Studie zum Thema Familienplanung zeugt von den Widersprüchen dieser Politik und von einer tief verankerten Misogynie.

von Hanns Wienold

24.02.2023
Veröffentlicht im iz3w-Heft 395
Teil des Dossiers Feministische Kämpfe

Zum ersten Mal seit Beginn der Volkszählungen übertrifft die Zahl der weiblichen die der männlichen Personen im Verhältnis von 1.020 zu 1.000. Das ergab der 5. National Family Health Survey 2019-2021 (5. NFHS). Bei vorangegangenen demografischen Vergleichen lag die Zahl der Männer stets höher. Zwar leben Frauen auch in Indien etwa drei Jahre länger als Männer. Allerdings reißt die gezielte Abtreibung weiblicher Föten und die Vernachlässigung von Mädchen im Kindes- und Jugendalter eine Lücke. Diese wird erst in den Altersstufen nach dem 18. Lebensjahr wieder Stück für Stück geschlossen. Das veränderte demographische Geschlechterverhältnis zugunsten der (im vorherrschenden binären Geschlechtersystem so gelesenen) Frauen ist eine zentrale Erkenntnis des 5. NFHS. Diese Erhebung sammelt im Regierungsauftrag Daten über Familienplanung oder über die Gesundheit von Kindern und Müttern.

In den indischen Medien wurde das veränderte Geschlechterverhältnis als der Beginn eines neuen Zeitalters gefeiert. Jedoch ist die Geschlechterproportion bei Geburt mit 915 lebend geborenen Mädchen auf 1.000 Jungen weiterhin ungleich. Das ‚natürliche‘ Verhältnis würde etwas über 950 Mädchen pro 1.000 Jungen bei Geburt betragen. Die »fehlenden Frauen« ergeben sich vor allem aus der selektiven Abtreibung weiblicher Föten. Der Ökonom und Nobelpreisträger Amartya Sen prägte bereits 1990 den Ausdruck »missing women« für all die Frauen, die leben würden, wenn es ni

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