Biodiversität: Bekommt die Natur ein Preisschild?

Kommentar zum Rahmen­abkommen über die Biologische Vielfalt

Audiobeitrag von Martina Backes

28.01.2023

Der Schutz der Biologischen Vielfalt ist eine Versicherung gegen den Klimawandel. Darin sind sich die UN-Mitgliedstaaten einig. Wenig Einigkeit hingegen herrschte im Dezember 2022, als das Rahmenabkommen über Biodiversität verhandelt wurde. Wie und mit welchen konkreten politischen Strategien können Ökosysteme und Artenvielfalt erhalten werden? Die einen treibt vor allem die Sorge um die Existenzgrundlage der Wirtschaft um. Die anderen die Sorge der Menschen, die am Wohlstand wenig partizipieren und auf den Zugang zu intakten Ökosystemen angewiesen sind. Diese Interessenskonflikte gipfeln auch in einer widersprüchlichen Debatte darüber, ob die Natur Preisschilder braucht.

Shownotes

  • Erläuterung zur Funktion des Biodiversitätsrats mit seinen Gremien und seiner Entstehungsgeschichte
  • Pressemitteilung des Biodiversitätsrates mit Hinweisen auf den ökonomischen Wert der biologischen Vielfalt
  • Ein Quantensprung in der Naturschutzdebatte ist das Buch von Bram Büscher, Robert Fletcher: Die Naturschutz-Revolution. Radikale Ideen zur Überwindung des Anthropozäns. Passagen Verlag, Wien 2022, 280 Seiten

Skript zum Beitrag

Erstausstrahlung südnordfunk #104 im Januar 2023 bei Radio Dreyeckland | Autorin: Martina Backes

Planetarisches Versprechen trotz Uneinigkeit auf dem Gipfeltreffen über Biodiversität

»Die multinationalen Konzerne füllen ihre Bankkonten, während sie unsere Welt und ihre natürlichen Gaben ausbeuten. Ökosysteme werden zu Orten des Profits.« Auch wegen dieser harschen Worte von UN-Generalsekretär Antonio Guterres schaffte es die Nachricht vom beschleunigten Artensterben im Dezember 2022 in die Headlines: »Mit unserem grenzenlosen Appetit auf Konsum und Wirtschaftswachstum ist die Menschheit zu einer Waffe der Massenvernichtung geworden.«

Nie zuvor in der Geschichte der Menschheit starben in so kurzer Zeit so viele Arten aus. Die Verluste sind heute bis zu hundertfach höher als im Schnitt der vergangenen zehn Millionen Jahre. Mit warnenden Worten eröffnete Antonio Guterres die Biodiversitätskonferenz (Cop15) im kanadischen Montreal: »Wir behandeln die Natur wie ein Klo. Und letztlich begehen wir damit Selbstmord. Denn die Zerstörung der Natur und der biologischen Vielfalt ist mit einem hohen menschlichen Preis verbunden. Diese Konferenz ist unsere Chance, diese Orgie der Zerstörung zu stoppen.«

Im Februar zuvor hatte Christiana Figueres aus Costa Rica, führende Generalsekretärin des Klimaabkommens, die Staatengemeinschaft gewarnt: »Wir finanzieren unser eigenes Aussterben.« Zwei Wochen lang suchten die Unterzeichnerstaaten im Dezember 2022 nach einer konsensfähigen Formulierung, die einer Politik zum Erhalt der biologischen Vielfalt den Weg weisen sollte. Nicht nur einzelne Arten stehen auf dem Spiel: Es geht um die Funktionen der Gesamtheit der Ökosysteme, um Lebensräume also, ohne die es keine Artenvielfalt geben kann: Meere, ohne die es keinen Fisch gibt, Regenwälder, ohne die der Planet seine grünen Lungen einbüßt. Es geht nicht nur um Koalas oder Eisbären, sondern um Ökosystemleistungen, etwa den Erhalt sauberer Luft, der Bindung von Klimagasen wie Kohlendioxid in Wäldern und Ozeanen, der Regeneration von Wasserreserven, dem Reservoir genetischer Vielfalt, ohne die es keine Evolution gibt. Es geht um die planetarischen Grenzen der Belastbarkeit.

»Erstens muss das Globale Biodiversitätsabkommen transformativ, ehrgeizig, realistisch, praktikabel und umsetzbar sein,« so die Juristin Elisabeth Maruma Mrema aus Tansania. Sie ist seit 2012 stellvertretende Direktorin der Abteilung Ökosysteme beim Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und seit 2020 Exekutivsekretärin der Biodiversitätskonvention. Zu Beginn der Verhandlungen in Montreal zeigte sie große Entschlossenheit: »Wenn diese Merkmale in diesem Rahmenabkommen fehlen, wird die Umsetzung schwierig. Nicht nur das. Es geht um eine Umsetzung, die uns bis 2030 wirklich voranbringen kann, wenn wir den Verlust der biologischen Vielfalt umkehren und aufhalten wollen. Wir brauchen also ein ehrgeiziges Rahmenabkommen.«

Der Inhalt des am 17. Dezember 2022 durchgewunkenen Global Biodiversity Framework, des Rahmenabkommens zur globalen Biodiversität, beinhaltet große Visionen; 23 Ziele wurden formuliert. Sie sollen die Zerstörung der Biodiversität und das Aussterben von Tier- und Pflanzenarten stoppen und eine Trendumkehr einleiten.

So weit, so bekannt. Über das Wie geht die Meinung der Unterzeichnerstaaten auseinander, ein Grund dafür, warum weder Indikatoren noch konkrete Verpflichtungen vereinbart wurden. Eine denkbare Strategie ist, Natur radikal vor dem Einfluss des Menschen und dem Zugriff ökonomischer Verwertung zu schützen. Eine andere, die schädliche Wirkung der Produktion und des Konsums zu verringern. Vermutlich braucht es beides. Die Abschlusserklärung bleibt wage. Was auf den ersten Blick gut klingt, ist am Ende kaum greifbar. Viele der 23 Ziele sind schwammig formuliert. Sie sind, wie so oft bei Gipfeltreffen, der kleinste gemeinsame Nenner, auf dessen Basis in den kommenden Jahren weiter verhandelt wird. Daher fehle dem Abkommen der Biss, klagen Umweltverbände.

Es geht um die plane­tarischen Grenzen der Belastbarkeit

Ein Beispiel: So soll die schädliche Wirkungen und Umweltrisiken durch den Einsatz von Pestiziden und Dünger in der Landwirtschaft bis 2030 halbiert werden. Es heißt nicht, die Düngermengen seien auf eine bestimmte Menge zu begrenzen. Und wie die schädliche Wirkung der Pestizide gemessen wird, bleibt vorerst offen. Das Resultat ist eines der Interessenskonflikte: Schwellen- und Entwicklungsländer sperrten sich gegen verpflichtende Standards. So wollten Brasilien und Argentinien, deren Export industrieller Agrarprodukte ökonomisch Priorität bleibt, die Agrarökologie nicht als festen Bestandteil der Nahrungssysteme anerkennen. Indien war nicht einverstanden, Subventionen mit negativen Effekten auf den Naturhaushalt abzuschaffen. Japan und China widersprachen Mengenangaben, um chemische Dünger auslaufen zu lassen. Andere Zielformulierungen bleiben ähnlich vage.

Sodenn schwankt die Reaktionen auf die 23 Punkte, auf die sich die Staatengemeinschaft einigen konnte, zwischen euphorischen Vergleichen mit dem Paris-Moment und kritischer Ernüchterung. Für die einen bedeutet das Paris-Moment einen Durchbruch, eben kein Kopenhagen-Versagen, was so sehr befürchtet wurde. Für andere klingt der Vergleich mit dem Hammerschlag für das Klimaabkommen von 2015 wie ein schlechtes Omen: Allen in Paris verschriftlichten Absichtserklärungen zum Trotz schreitet der Klimawandel bis heute weitgehend ungestört voran.

Es gibt berechtigte Zweifel daran, dass die anvisierten Ziele durch eine noch zu definierende Politik der Mitgliedstaaten faktisch erreicht werden können. Zudem: Genügt der Schutz der anvisierten 30 Prozent der Meere und der Landfläche, wenn die anderen Zweidrittel weiter über das Maß ihrer Fähigkeit hinaus, sich zu regenerieren, ausgebeutet werden?

Die Interessenskonflikte sind beim Biodiversitätsabkommen ähnlich gelagert wie im Klimaabkommen – im Raum schwebt die ungelöste Frage nach einem gerechten Ausgleich zwischen den so genannten Entwicklungsländern und den Industriestaaten, die zur Krise der Ökosysteme und zum Artenschwund einen erheblich gewichtigeren Beitrag geleistet haben als die Menschen im Globalen Süden. Reichere Länder, so eine Absichtserklärung, sollen ärmeren Ländern bis 2025 rund 20 Milliarden Dollar jährlich zahlen, ein monetärer Beitrag zum Erhalt der Artenvielfalt. Ausreichen wird das in keiner Weise. Der Hilfsfonds für die Opfer der verheerenden Überschwemmungen 2021 in der der Pfalz und in NRW beziffert sich auf 30 Milliarden Euro. Eine Finanzierung des Schutzes intakter Natur weltweit ist für 20 Milliarden Dollar nicht zu haben.

Disput um das beste Schutzkonzept

Die anvisierten und schließlich kleindebattierten Lösungsideen kreisen um die gleichen strittigen Fragen: Welche Strategie wird die Trendwende schneller einleiten? Eine robuste Finanzierung von Schutzprogrammen? Die sofortige Unterschutzstellung ausgedehnter Gebiete? Strenge ökologische Standards für die Wirtschaft? Oder eine Bepreisung aller Bestandteile der Natur?

Beim reinen Schutzgebietsgedanken kommt die Erinnerung an koloniale Reservate auf; es lauert die Gefahr neokolonialen Machtgehabes, wenn nicht die einer Ökodiktatur. Proteste gegen die Rede des kanadischen Premierministers Justin Trudeau auf dem Gipfeltreffen stützten diese Kritik aus einer postkolonialen Perspektive. Auf der anderen Seite droht die kapitalistische Verwertung zum Nutzen der einen, jener mit den Bankkonten, und zum Leid aller anderen, die ohne den Wald ihre Existenz einbüßen, ohne intakte Böden keine Ernten einfahren, ohne Viehherden leere Teller und ohne Fisch kein Einkommen haben. Ein alter Streit.

Vor allem die Indigenen Gemeinschaften, Kleinfischerverbände und die Inselstaaten pochen darauf, dass die Staatengemeinschaft anerkennt, welche Rolle sie für den Erhalt der biologischen Vielfalt spielen. Räumlich fallen intakte Ökozonen mit hoher Biodiversität mit den Gebieten Indigener zusammen. Laut UN-Berichten befinden sich 80 Prozent der Tier- und Pflanzenarten auf Indigenen Territorien, und die machen ein Viertel der Landfläche aus. Indigene wollen ihre Rechte am Land und an den Fischbeständen garantiert und ihre Menschenrechte gewahrt sehen. »Biodiversity – it’s an emergency«, dieser Protestruf nach einem Biodiversitätsnotstand war auf dem Konferenzgelände und ebenso auf der Straße zuhören.

»Ich bin Joji Cariño aus den Philippinen…. Und ich arbeite mit einem Netzwerk von ‚Indigenous and Local Knowledge Centres of Distinction‘.« Joji Cariño aus den Philippinen ist ehemalige Direktorin des Forest Peoples Programme, eines UN Programms für Waldgemeinschaften. Im Rahmen ihrer Arbeit für den Weltbiodiversitätsrat (IPBES*) kooperiert sie Forschungszentren, die lokales Wissen über die biologische Vielfalt und den Schwund der Arten dokumentieren. IPBES ist der Idee entsprungen, eine internationale Schnittstelle zu schaffen, zwischen der weltweiten Biodiversitätsforschung und der Politik, die ihre Erkenntnisse umsetzen soll. Vergleichbar also mit dem Weltklimarat. Doch lange nicht so bekannt, lange nicht so wirksam.

Räumlich fallen intakte Ökozonen mit hoher Biodiversität mit den Gebieten Indigener zusammen.

»Es gibt das internationale Indigene Forum für Biodiversität und Öko­system­leistungen, das ist ein selbst­organisiertes Netzwerk von Indigenen, wir nehmen an Plenarsitzungen des Weltbio­diversitätsrates teil und reichen Vorschläge ein, wir unterstützen Gemeinden beim Aufbau von Kapazitäten, bei der Dokumentation von Wissen und in der Politikberatung. Die Zentren für lokales Wissen über die Biodiversität und über das Artensterben haben eine lange Tradition und arbeiten schon lange mit dem Wissen der Indigenen Gemeinden. Wir schicken Berichte an die UN und fördern partizipative Forschung. Gegründet wurde das Netzwerk, damit wir unsere Interessen verstärkt einbringen können.«

Der Beitrag dieser Foren ist von großem Wert. Insofern schmückt sich die internationale Biodiversitätspolitik durchaus mit den Federn derer, die das Wissen über den Artenschwund akribisch dokumentieren, nicht als bezahlte Wissenschaftler*innen, sondern als Betroffene, denn ihre Ressourcen, ihr Land und ihre naturverträgliche Nutzungsweise sehen sie schwinden. Doch bisher haben ihre jahrzehntelangen Klagen über den Verlust von Naturräumen der Zerstörung keinen Einhalt bieten können. Daher der Protest vieler Indigener, die vor allem ihre Bedürfnisse in das Abkommen einbringen wollen.

eine auf Papier gemalte Schwalbe an einer Hauswand und ein auf einen Holzfensterrahmen gemalte Meise - Wandkunst
Vögel ohne Lebensraum? Wandkunst in Portbou | Fotos: bildertexten 2020

Biologische Vielfalt als Versicherung. Gewinnt oder verliert, wer Preisschilder vergibt?

Der Schutz der biologischen Vielfalt ist eine Versicherung gegen den Klimawandel, darin sind sich die UN-Mitgliedstaaten einig. Wenig Einigkeit herrschte im Dezember, als das Rahmenabkommen über Biodiversität verhandelt wurde. Wie und mit welchen konkreten politischen Strategien können Ökosysteme und Artenvielfalt erhalten werden? Die einen treibt vor allem die Sorge um die Existenzgrundlage der Wirtschaft um. Die anderen die Sorge der Menschen, die am Wohlstand wenig partizipieren und auf den Zugang zu intakten Ökosystemen angewiesen sind. Die Interessenskonflikte gipfeln auch in einer widersprüchlichen Debatte darüber, ob die Natur Preisschilder braucht.

Am Anfang der Verhandlungen über ein Rahmenabkommen zum Schutz der Biodiversität standen Proteste – auch Indigener Gruppen. Am Ende gab es anerkennende Gesten für deren Beitrag zum Erhalt der Ökosysteme. Ein transformativer Wandel, wie es die die Juristin Elisabeth Maruma Mrema, Exekutivsekretärin der , zu Beginn der Konferenz zur Biodiversitätskonvention forderte, ist bisher nicht abzusehen. Wie – das ist die große Unbekannte – kann der Zerstörung von Lebensräumen durch konkrete Politik Einhalt geboten werden?

»Biodiversity – it’s an emergency« lautet der Protest­ruf nach einem Bio­diversitäts­not­stand

Sabrina Masinjila vom African Centre for Biodiversity* meint: »Oftmals liefern wir Bewertungen über den Verlust, aber oft wollen die Entscheidungs­träger eigentlich Lösungen oder praktische Schritte zur Bewältigung der Probleme.« Sie macht sich in einem Gespräch mit der kanadischen Umwelt- und Menschenrechts­organisation ETC Group Gedanken über die Rolle derjenigen, die vom Verlust der Biodiversität sehr direkt betroffen sind.

»Die Botschaft, dass wir einen transformativen Wandel brauchen, ist wirklich wichtig. Wir müssen uns mehr auf praktische und auch positive Beispiele konzentrieren. Zumindest brauchen wir ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der Darstellung, wie sehr die biologischen Vielfalt bedroht ist, und einer inspirierenden Botschaft darüber, was wir auf verschiedenen Ebenen tun können, um das zu ändern oder aufzuhalten.« Offensichtlich zweifelt Sabrina Masinjila daran, dass mehr Dokumentationen über den Verlust alleine zu einer Trendwende im Handeln führt: »Wir haben uns entschieden, den Stimmen der Einheimischen mehr Glauben zu schenken und Geschichten von Menschen festzuhalten, die etwas anders machen, die einen Unterschied machen, die aber nicht unbedingt eine Plattform haben, um ihre Erfahrungen zu teilen. Eine Lücke besteht doch darin, Menschen einzubeziehen, die vor Ort etwas tun, die transdisziplinäre Forschung mit lokalen Entscheidungsträgern und Gemeinschaften betreiben.«

Naturschutzverbände wie der Nabu sehen – nicht zu unrecht – in der Natur die beste Partnerin bei der Eindämmung des Klimawandels. Sie rechnen damit, dass ohne den schnellstmöglichen Schutz von mindestens einem Drittel, besser noch der Hälfte der Erdoberfläche, und ohne vernetzte Lebensräume, die Erde noch schneller überhitzt. Die Folgen sind bekannt: Ohne intakte Korallenriffe und Mangroven, werden Küsten noch schneller zerstört, ohne intakte Bergwälder gehen Schlammlawinen ab und Flüsse treten großräumig über die Ufer, wie letztes Jahr in Pakistan – mit der bekannten zerstörerischen Kraft.

Biodiversität ist wie eine Versicherung gegen Wetterextreme und deren Folgen. Die Vielfalt der Arten und die vielfältigen Funktionen von Ökosystemen lassen sich nicht auseinanderdividieren. Andere verstehen unter dem Rechnen mit der Natur harte Zahlen und dividieren gerne. Das Davoser Weltwirtschaftsforum 2020 hat in einer Studie ermittelt: Mehr als die Hälfte des globalen Bruttoinlandsprodukts hängt von der Natur ab, also von intakten stabilen Ökosystemen. Zitat: 44 Billionen Dollar an wirtschaftlicher Wertschöpfung - mehr als die Hälfte des weltweiten BIP - sind mäßig oder in hohem Maße von der Natur und ihren Leistungen abhängig und folglich den Risiken durch Naturschäden ausgesetzt.

links ein aus einem Streifencode-Gitterwagen ausgebrochener Leopard (Wandgemälde) und rechts ein roter Frosch an einem toten Baumast auf einer Häuserwand
links ein BANKSY Motiv - rechts ein Motiv von einer Freiburger Hauswand | Fotos: bildertexten 2022

Zahlreiche Wirtschaftszweige, etwa die Getränke- oder Kosmetikindustrie, sind auf nachhaltig genutzte Wälder angewiesen, die Landwirtschaft und Imkerei auf eine funktionierender Bestäubung und gesunde Böden. Die Leistung der globalen Wirtschaft könne, so hieß es in Davos, um 2,7 Billionen US Dollar sinken, wenn Ökosysteme bis 2030 kollabieren. Wenn im Agrarsektor die Bestäuber fehlen und dem Meer die Fische.

Die internationale Initiative businessfornature.org hat im Dezember in Montreal auf dem Gipfel Druck gemacht: Man müsse sich für die ökonomischen Werte der Ökosystemleistungen stark machen, damit sie nicht ignoriert werden. Rund 330 Unternehmen aus 50 Ländern, darunter Nestle, Ikea und RWE, stellen fest: Auf einem toten Planeten gibt es keine Wirtschaft. Eine positive politische Rückkopplung, so ihre Überzeugung, könne beides retten, die Wirtschaft und die Natur.

Ganz ohne Einfluss war businessfornature nicht. Im Rahmenabkommen steht nun: Subventionen und Fehlanreize in Produktionsweisen, die die Umwelt schädigen, sollen weltweit um 500 Milliarden US-Dollar pro Jahr gekürzt werden (Target 18).

Eine Studie, ebenfalls von businessfornature.org initiiert, errechnete, dass umweltschädliche Wirtschaftsweisen weltweit mit mindestens 1.800 Milliarden Dollar jährlich subventioniert werden. Das geht so: Im Amazonas bekommen Betriebe Steuererleichterungen, die mit Sojaanbau und Rindfleischproduktion den Regenwald zerstören. Die EU hat zwar eine eigene Biodiversitätsstrategie, doch sie vergibt im Rahmen ihrer Gemeinsamen Agrarpolitik – kurz GAP – umfangreiche Finanzhilfen für eine extraktive Intensivlandwirtschaft, die Wälder, Wasser und Böden verbraucht. Im Nahen Osten fördern Regierungen Geschäftsmodelle, die dazu beitragen, dass die letzten Grundwasservorräte versiegen.

Das sind nur wenige Bespiele der finanzierten Naturzerstörung. Fußnote: Hinweis auf Bioökonomie Sie zeigen: Nicht konsistente Politiken konterkarieren ständig alles Bemühen um den Schutz der Ökosysteme. Ob in Land-, Bau- oder Energiewirtschaft: die Finanzhilfen der Staaten für umweltschädliche Wirtschaftsweisen und für die Förderung fossiler oder grün bemäntelter, keineswegs klimaneutraler Energie summieren sich weltweit, so haben es führende Subventionswissenschaftler errechnet, auf 1.800 Milliarden Dollar. Da ein großer Teil der Subventionen aus den Industriestaaten kommt, wird die Praxis der Zerstörung exportiert, vielfach in den Globalen Süden. Die in Montreal von Regierungskreisen geäußerte Anerkennung der gewichtigen Rolle, die Indigene beim Schutz der Natur spielen, hat daher einen faden Beigeschmack, wenn eine politische Praxis gleichzeitig zu Vertreibungen führt oder Naturzerstörung fördert.

Die ökonomische Brille fand Anklang

Das Lager, das eine Bepreisung von Natur und Naturzerstörung befürwortet, wurde mit dem neuen Rahmenabkommen auf jeden Fall gestärkt. Der aus Indien stammende Wirtschaftswissenschaftler Partha Dasgupta hatte im Corona-Jahr 2020 Daten über das Verhältnis von Ökonomie und biologischer Vielfalt zusammengestellt. Er fragte: Warum muten wir der Natur Abfälle, Abwässer und Abgase in einem Ausmaß zu, das sie nicht verkraften kann? Warum entnehmen wir der Natur deutlich mehr Ressourcen, als sie regenerieren kann? Den gewaltigen Subventionen in die Naturzerstörung stehen Dasgupta zufolge viel zu wenige Investitionen in den Erhalt der Natur gegenüber.

Dasgupta meinte: »Wir bezahlen uns praktisch noch dafür, dass wir die Natur aufzehren.« Und schlägt vor: Das Naturkapital müsse erfasst, die Natur monetarisiert und ihre Dienstleistungen - die Regeneration von Bioressourcen - in Geldwert ausgedrückt werden. Nur dann, so die ökonomische Grundschullehre, könne man richtig bilanzieren. Nur dann, so seine Folgerung, kann Erhalt oder Zerstörung der Natur in Entscheidungsprozesse eingehen. 16 Billionen Euro im Jahr brächten etwa die Wälder global an Ökosystemleistungen.

Hier müssen die Sirenen einer kapitalismuskritischen Gesellschaft aufheulen. Zwar könnte hier und da die destruktive Wirkung der Wirtschaft offengelegt werden, wenn Risiken und Umweltveränderungen negativ zu Buche schlügen. Und die eine oder andere Investitionen, so hofft es auch Bundesumweltministerin Steffi Lemke, würde dann vielleicht nicht getätigt. Diese Bepreisungsbrille auf die Natur macht aber auch den Weg frei für das, was die einen als ‚naturbasierte‘ Kompensationen anpreisen, die anderen nennen es Ablasshandel.

Die Frage ist doch die: Gleicht eine Aufforstung oder der Schutz eines Feuchtgebietes irgendwo auf noch nicht zerstörten Territorien, meistens im Globalen Süden, den Naturverbrauch der Industrieproduktion im Globalen Norden aus? Ein paar Bäume pflanzen zum Ausgleich für das Betanken von Flugzeugen ist weder klimaneutral noch schützt es die Biodiversität, das ist inzwischen bekannt. Preisschilder für die Natur leisten der irreführenden Idee Vorschub, Wirtschaftswachstum und Biodiversitätsschutz gingen Hand in Hand.

Das trügt. Wenn die Herstellung von Zement zum Beispiel gegen den Schutz eines Waldes durch Indigene im Amazonas aufgerechnet werden kann, ist das für letztere keine sichere Option. Was, wenn der Schutz einer Holzplantage, etwa auf einer ehemaligen Kohlemine in den USA, plötzlich billiger ist als die zur ‚Dienstleistung‘ umdefinierte Lebensweise der Indigenen im Amazonas? Oder wenn der Schutz eines Feuchtgebietes in der Tundra günstiger zu haben ist als der Erhalt der Grasländer ostafrikanischer Viehhirten? Was, um es marktwirtschaftlich zu fassen, wenn alle noch vorhandene Natur auf dem Markt der Kompensationen miteinander in Konkurrenz tritt?

Die Mär vom Naturerhalt dank Preisschild

Ein Preis für eine Leistung macht Natur zur handelbaren Ware. Er unterschlägt die komplexen Funktionen und die Einzigartigkeit von intakten Ökosystemen. Ein Preis ignoriert den Wert der Koexistenz von Natur und Mensch in nachhaltiger Weise, ohne die es viele Formen von artenreicher Kulturlandschaft einschließlich des Wissens ihrer nachhaltigen Bewirtschaftung gar nicht gäbe. Das Rechnen mit der Natur und Naturzerstörung leitet daher in die Irre. Es stößt nicht nur auf Wohlwollen. Zum einen erinnert es an das Versagen der Bepreisung des Klimagases Kohlendioxid und der enttäuschten Hoffnung auf verminderte Emissionen, wenn das Klimaabgas für die Industrie schlicht zu teuer wird. Bisher ist das nicht gelungen, die weltweiten Emissionen steigen weiter. Zum anderen werden mit der Monetarisierung keine positiven Lösungen für naturfreundliche Wirtschaftsweisen gefördert, sondern höchstens gegen zerstörerische gegengerechnet, also kompensiert.

Bisher sind diese Dienstleistungen der Natur keine Handelsware, sondern ein öffentliches Gut. Etwas, das allen zugute kommt, ein Gemeingut.

Bisher sind diese Dienstleistungen der Natur, das Reinhalten der Luft, die Produktion von Sauerstoff der grünen Lungen im Amazonas, das Einfangen von Kohlendioxid der Meere etc., keine Handelsware, sondern ein öffentliches Gut, etwas, das allen zugute kommt, ein Gemeingut. Wenn aber Ökosystemleistungen bepreist und auf Märkten gehandelt werden, mutieren sie zu privatem Eigentum.

Auch Sabrina Masinjila vom African Centre for Biodiversity betont, Naturschutz nicht nur ökonomisch zu durchdenken: »Wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, dass wir immer größer werden müssen, und mehr darüber nachdenken, was es eigentlich bedeutet, die Wirkung zu vergrößern. Wir sollten dort hinschauen, wo vor Ort etwas Positives passiert, und es zulassen. Dann haben wir eine wirklich gute Story, von der wir lernen können, aber wir dürfen nicht alles einfach kopieren, sondern sollten den Kontext, die lokale Geschichte und soziale Kultur achten. Es geht also um grundlegende Wertvorstellungen darüber, wie eine nachhaltige Zukunft für Mensch und Natur aussehen könnten. Wir sollten die Vielfalt, die wir auf dem Kontinent haben, wirklich wertschätzen und nicht versuchen alles nur zu kopieren.«

Erstveröffentlichung südnordfunk 2022 | Radio Dreyeckland | Autorin: Martina Backes

Die Autorin Martina Backes ist Biologin und Mitarbeiterin des iz3w. Das strenge Auseinanderdividieren von Natur und Kultur hält sie für einen Kaptialfehler.

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