Krieger­*innen oder Friedens­engel?

Eine sehr junge Frau schaut mit herausforderndem Blick in die Kamera, der Wind spielt in ihren kurzen Haaren, geschultert hat sie ein Gewehr, im Hintergrund das revolutionäre Barcelona im Juli 1936. Das Foto zeigt die damals 17-jährige Marina Ginestà Coloma. Sie wurde zu einer der fotografischen Ikonen des Spanischen Bürgerkriegs.

Ähnliche Bilder gibt es aus Tigray, Nicaragua, Kolumbien, Kaschmir oder Vietnam. Geschlecht spielt in der Ikonographie von Krieg und Frieden schon lange eine, mitunter zentrale, Rolle. Gängiger als die Ikonographie der Kriegerin war dabei lange jene von Frauen als leidende Opfer. Mit ihnen sollte die Grausamkeit von Kriegen personifiziert werden. Und daran anschließend wurden entsprechend mutige Gesichter abgelichtet, jene der Friedensstifterinnen, die sich dem Gewaltakt verweigern und trotz allem (vielleicht gar selbst erfahrenem) Leid aufopfernd für eine Versöhnung arbeiten.

Studien zeigen, dass Frauen in der Berichterstattung zu gewaltsamen Auseinandersetzungen häufig viktimisiert und als misshandelte, trauernde, traumatisierte Opfer ohne eigene Stimme dargestellt werden, selten als wütende oder aufbegehrende Akteurinnen. Und nur in Einzelfällen entspricht ihre Darstellung der einer professionellen Expertin, die zwischen Kriegsparteien vermittelt oder strategische Entscheidungen trifft. Frauen machen die Care-Arbeit an der Basis. Die Friedens- und Versöhnungsarbeit ist in der Praxis Sisyphos-Gedöns: Die Arbeit geht nie aus, kleine Fortschritte werden stetig wieder zunichtegemacht, es braucht einen langen Atem.

Den um seine gefallene Tochter weinenden Vater sucht man vergeblich

Wenngleich das Bild langsam bröckelt, dominiert noch immer die Vorstellung, dass Frauen irgendwie friedfertiger seien als Männer (siehe Wider den Stereo­typen), zuletzt aufgewärmt in der Diskussion um ‚Feminist Peace‘. Zwar drängen Frauen schon lange und immer mehr in die Krieger*innen-Rolle, sei es in staatlichen Armeen (siehe Um­kämpfte Soldat­innen) oder als Revolutionär*innen (siehe »Wir kämpften für eine Re­volution inner­halb der Revolu­tion«). Von männlichen Friedensengeln hört man hingegen selten. So gibt es die weltweite Anti-Kriegs-Bewegung der Women in Black, doch ein männliches Gegenstück fehlt, von vereinzelten Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren abgesehen. Auf der Plaza del Mayo in Argentinien demonstrierten die Madres gegen die Praxis des Verschwindenlassens, nicht die Padres. Kriegsleid wird medial mit Müttern, die um ihre Söhne trauern, bebildert. Den um seine gefallene Tochter weinenden Vater sucht man in der Regel vergeblich.

Es sind diese Rollenbilder, die uns in dem vorliegenden Dossier interessieren. Welche Vorstellungen von Frauen in Konflikten sind in einer Gesellschaft dominant und was haben diese mit den realen Erfahrungen zu tun? Bei der Zusammenstellung der Dossiertexte sind die weiblichen Friedensengel, die wir ebenso auf ihre Wirkmächtigkeit beleuchten wollten, weitgehend verloren gegangen. Dass die Rede von den friedfertigen Frauen eine falsche ist, scheint sich zumindest in der feministischen Forschung durchgesetzt zu haben. Auch verloren gegangen scheint uns das Sternchen in Krieger*innen. Dass Kriege klassische Geschlechterrollen begünstigen und verfestigen, ist keine neue Erkenntnis. Allzu oft wird gesellschaftlicher Fortschritt bei der Emanzipation von Frauen und Queers im Kontext gewaltsamer Konflikte rückgängig gemacht. Dass die Datenlage zu all jenen Menschen, die sich jenseits der binären Vorstellungen von zwei Geschlechtern verorten, so dünn ist, hat uns dann aber doch etwas überrascht.

Damit hat die Konfrontation mit der Praxis wie so oft auch etwas Ernüchterndes: Etwa, wenn wir nach Rojava schauen, das in der Vergangenheit zu einer Art linkem Vorzeigeprojekt avanciert ist, inklusive der Ikonografie der Poster-Kriegerinnen. Doch auch dort wird zwischen den binären Kategorien unterschieden, die Rechte von LGBTIQ-Personen spielen in der Region bisher kaum eine Rolle. Und auch die Kämpferinnen der YPJ sind mit patriarchalen Familienstrukturen und Rollenerwartungen konfrontiert (siehe Zeit und Geduld). Ein Gewehr macht noch keine Emanzipation.

Unser Dossier* spielt auch mit dem Binären, nicht nur im provokanten Titel. Denn worin sich viele der hier versammelten Texte einig sind: Die Wahrheit liegt oft jenseits der Dichotomie. Es gibt keine klare Abgrenzung zwischen Krieg und Frieden. Und die Rollen aller nicht männlich gelesenen Personen sind deutlich vielfältiger, als der Titel vermuten lässt (siehe Gütig und opfer­bereit?).

Marina Ginestà Coloma hat übrigens nicht im Spanischen Bürgerkrieg gekämpft: »Ich habe nie eine Waffe in den Händen gehabt. Nun gut, nur als dies Foto gemacht wurde«, sagt sie in einer Dokumentation. Der deutsche Fotograf Hans Gutman gab ihr das Gewehr, um damit auf dem Foto zu posieren.

die redaktion

Dieser Artikel ist erschienen im iz3w-Heft Nr. 398 Heft bestellen
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