Feministisch: Pinkes zweistöckiges Haus und Café mit Grafittis und Malereien an den Wänden
La Virgen de los Deseos, das kulturelle Café von Mujeres Creando in La Paz | Foto: mujerescreando.org

»Wider­setzen und dabei glücklich sein«

Interview mit der anarcha-feministischen Gruppe Mujeres Creando aus Bolivien

Mujeres Creando stehen für einen anarchistischen Feminismus. Sie sind bekannt für ihre künstlerischen Straßenaktionen und betreiben ein freies Radio, sowie zwei Frauenhäuser. Ihr Feminismus ist intersektional, antirassistisch und insbesondere regierungskritisch.

Das Interview führte Theresa Weck

05.03.2023
Veröffentlicht im iz3w-Heft 367
Teil des Dossiers Feministische Kämpfe

 

iz3w: Wie ist die Gruppe entstanden?

Mujeres Creando: 1992 wurde Mujeres Creando von drei Frauen in Bolivien gegründet. Nicht nur in Bolivien, sondern auch in anderen Ländern hatten zuvor viele NGOs die Rolle der Repräsentation der Frauen übernommen. Sie haben die Öffentlichkeit für sich beansprucht und sich als Erlöser präsentiert – im Namen der Frauen. Gerade für Frauen zeichneten sich damals unsichere Zeiten ab, denn die machthabenden Regierungen waren und sind in Korruptionsaktivitäten verwickelt. Wir haben uns als Anklage und Widerstand gegen das machistische, korrupte, gewaltvolle und homophobe soziale System zusammen getan. Eine feministische Bewegung muss auf dem Pfad des Widerstandes entstehen, ohne um Erlaubnis zu fragen oder unter irgendeiner Vormundschaft zu stehen. Deswegen arbeiten wir autonom, also unabhängig von politischen Parteien, Institutionen und NGOs.

Wieso ist es wichtig, die Frauen in Bolivien zu unterstützten? Wie ist ihre aktuelle Situation?

Wir stellen den positiven Wandel, den die Regierung propagiert, in Frage. Wie viele neue Arbeitsplätze gibt es für Frauen? Wie viele Feminizide1 wurden seit der Einführung des Gesetzes 348 im Jahr 2013/2014, das Frauen vor Gewalt schützen soll, aufgeklärt? In einem korrupten System wie dem bolivianischen sind vor allem Frauen vermehrt Gewalt ausgesetzt und von Armut betroffen. Auch die Justiz ist in Korruption verwickelt. Jeden Tag gibt es mehr Fälle von Gewalt, von geschlagenen und getöteten Frauen, von Feminiziden. Die RichterInnen und AnwältInnen rechtfertigen das Nicht-Rechtfertigbare und dadurch werden die Täter am Ende zu Opfern.

Es gibt keine Arbeitsplätze für Frauen, keine Gesundheitsversorgung, keine würdigen Lebensbedingungen. Aber es werden sieben Millionen Dollar für den Bau eines Museums über das Leben und den politischen Werdegang des aktuellen Präsidenten Evo Morales ausgegeben.

Schwangere erhalten mittlerweile während der Schwangerschaft und bis zum zweiten Lebensjahr des Kindes ein Zusatzgehalt von ungefähr 190 Euro. Diese Regelung wurde eingeführt, um der hohen Kinder- und Müttersterblichkeitsrate entgegen zu steuern und wirkt auf den ersten Blick vielleicht progressiv. Allerdings wird es nicht pro Familie, sondern pro Mutter ausgezahlt, was heteronormative Rollenbilder verstärkt. Zudem ist es an Bedingungen geknüpft. Uns wird erzählt, wir sollten frühzeitige Schwangerschaften vermeiden. Gleichzeitig sind Schwangerschaftsabbrüche nur aus gesundheitlichen Gründen möglich. Wir werden also nicht nur in das Korsett der Mutterschaft gezwängt, sondern uns werden eigene Entscheidungen über unsere Sexualität verweigert.

»Wir kämpfen frech, respektlos, hysterisch und sündig«

Die Gewalt gegen Frauen, die Objektivierung von Frauenkörpern, die Halsabschneiderei der Banken, die weiterhin Blasen der Illusion in Form von Mikrokrediten an Frauen verkaufen, die Korruption, Schulen ohne sexuelle Aufklärung, sexualisierte Übergriffe auf der Straße – all das können und wollen wir nicht länger hinnehmen.

Zusammengefasst sind viele bolivianische Frauen täglich mit Machismus, Klassismus, Gewalt, Sexismus und Armut konfrontiert. Wir leben in komplizierten Verhältnissen, denn wir leben unter einer Regierung, die sich mithilfe eines Verfassungsreferendums im Jahr 2016 eine vierte Amtszeit bescheren wollte. Deswegen kämpfen wir jetzt mehr denn je und leisten Widerstand. Wir haben die Lust, es unseren Gegnern zu vermasseln, nicht verloren. Nicht umsonst sagt eins unserer Graffiti: »Widersetzen und dabei glücklich sein«.

Was ist euer Verständnis von Anarchafeminismus?

Man findet unsere Idee nicht auf dem Schreibtisch oder auf Papieren. Vielmehr sind wir auf der Straße und im Alltäglichen. Unsere Positionierung spiegelt sich nicht in Slogans des 8. März oder des 25. November wieder. Genauso wenig passen wir in Workshops zur Stärkung des Selbstbewusstseins oder in die UNO-Solidaritätskampagne zur Förderung der Geschlechtergerechtigkeit »HeForShe«, die es im März 2018 in Bolivien gab. Wir lassen uns in unserer Arbeit nicht durch Frauenrechte, Geschlechtergleichheit und dem Empowerment der Frau einschränken. Denn diese Diskurse wurzeln im Neoliberalismus, der überall auf der Welt versucht, den feministischen Kampf für sich einzunehmen und zu verdrehen.

Wir hinterfragen die Politik, die im Namen der Frauen betrieben wird. Wenn behauptet wird, dass sich die Situation von Frauen verändert oder sich die Regierung beispielsweise damit schmückt, dass es jetzt eine fünfzigprozentige Beteiligung von Frauen in der Politik gäbe. Auch das Gesetz 348, das Frauen vor sexualisierten Übergriffen schützen soll, stellt für uns lediglich ein weiteres bürokratisches Machtinstrument dar. Wir widersetzen uns diesem sozialen Imperativ, der uns vorschreibt, welche Rolle wir einnehmen sollen.

Selbstverwaltung ist für uns essentiell. Wir wollen konkrete, unabhängige Politik betreiben. Die herrschende Politik hat sich unsere Kämpfe teilweise angeeignet und sie dabei sinnentleert. Wir wollen ihnen wieder Bedeutung verleihen! Arbeitsverhältnisse zwischen UnternehmerInnen und ArbeiterInnen sind Teil einer patriarchalen Struktur. Diese Beziehungen müssen wir dekonstruieren, weil sie uns spalten. Deswegen organisieren wir uns horizontal und aus dem Alltäglichen heraus und übernehmen verschiedene Aufgaben und Verantwortungen.

Wir sind eine sehr heterogene Gruppe, eine Allianz aus Frauen unterschiedlichen Alters aus verschiedenen sozialen und wirtschaftlichen Kontexten. Wir wollen weder nur in unseren eigenen vier Wänden agieren, noch uns »nur« als Gruppe von FreundInnen verstehen. Der Kampf besteht darin, sich zu treffen und zusammen zu arbeiten, um Rassismus und Klassismus aufzubrechen. Wir wollen, dass die sozialen Strukturen, die zwischen Verbotenem und Nicht-Verbotenem unterscheiden, Risse bekommen und kämpfen dabei frech, respektlos, hysterisch und sündig.

Wie arbeitet ihr? Welche Projekte habt ihr?

Wir betreiben beispielsweise das Internetradio Radio Deseo. Es richtet sich an HörerInnen in Bolivien, aber auch international und geht dabei über die Grenzen des Akademischen hinaus. Dort gibt es Platz für Diskussionen zu politischen Themen, wie die Entwicklungen bei den jährlichen Zusammenkünften von Arbeiterinnen in La Paz und Santa Cruz. Aber auch anderen Frauenthemen wird Raum gegeben, wie beim Magazin »Liste der unverantwortlichen Eltern« zu Elternschaft und Schwangerschaftsabbruch.

»Eine femi­nistische Be­wegung muss auf dem Pfad des Wider­stands ent­stehen«

Mujeres Creando versucht die Realität von Frauen im Alltäglichen sichtbar zu machen. Dazu gehören Aktionen auf der Straße wie Demos und Infostände. Mit Graffiti wollen wir unbequeme Präsenz im öffentlichen Raum und in diesem erdachten Sozialgefüge zeigen.

Wichtig ist vor allem, dass die Frauen sich organisieren und aus der Rolle der guten Mutter und der schönen Frau ausbrechen können. Die Virgenes, kulturelle Cafés in Santa Cruz und La Paz, sind wichtige Vernetzungsorte, an denen sich immer wieder neue Gruppen gründen. Von dort aus vertreten wir ganz offen unsere Positionen zu verschieden gegenwärtigen Themen. Wir bieten Beratungen zu Schwangerschaftsabbrüchen und Workshops für sexuelle Aufklärung an Schulen, in Stadtvierteln und Tageseinrichtungen für Kinder an. Momentan bilden wir zudem Trainerinnen für Selbstverteidigung aus, die überall in Bolivien Mädchen und Frauen beibringen sollen, ihr Leben zu verteidigen.

Gibt es Menschen, die euch einschüchtern wollen?

Seit unserer Gründung kritisieren wir Rassismus, noch bevor die bolivianische Regierung ein Gesetz gegen Rassismus und alle Arten von Diskriminierung erließ. Homophobie fällt dabei aber scheinbar unter den Tisch, was wir kritisieren. Bei unseren Aktionen zu diesem Thema im Jahr 2016 erfuhren wir Repression von der Polizei und dem Abgeordneten der Regierungspartei MAS (Movimiento al Socialismo) Roberto Rojas, der Homosexuelle als »mental Kranke« bezeichnete.

Es ist schwer, mediale Präsenz zu erlangen, weil die Medien sehr regierungsnah sind. Etwas in Frage zu stellen ist nicht erlaubt. Der Journalismus in Bolivien wird nach Lust und Laune vom Regierungsapparat vorgegeben. Die autonome feministische Bewegung widersetzt sich dieser politischen Einschüchterung, indem sie auf andere Formen der Meinungsäußerung setzt. In unserer unregelmäßig erscheinende Zeitschrift »mujer pública« und anderen Materialien machen wir auf Themen wie Schwangerschaftsabbruch, familiäre Hilfe, Sexualität, Mutterschaft, Gewalt und Homophobie aufmerksam. Bei Radio Deseo machen wir Debatten sichtbar und sprechen mit Menschen aus verschiedenen sozialen Sektoren: Hausfrauen, Frauen, die von machistischer Gewalt betroffen sind, Frauen, die ohne Arbeitgeber arbeiten, Schriftstellerinnen, Sexarbeiterinnen, etc.

 

Mehr Infos zu Mujeres Creando und ihre politische Arbeit

Das Interview führte und übersetzte Theresa Weck.

Dieser Artikel ist erschienen im iz3w-Heft Nr. 367 Heft bestellen
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