Graffiti Wand mit Motiven des Protestes, im Vordergrund eine Rednerin
Iran-Proteste in Kanada, Oktober 2022 | Foto: Taymaz Valley | CC BY-NC-ND 2.0

»Die Wut wird nicht weg­gehen«

Interview mit Gilda Sahebi über Iran nach einem Jahr Aufstand

Als im September 2022 Mahsa Amini in Folge einer brutalen Festnahme durch die iranische Sittenpolizei in Polizeigewahrsam starb, erfasste eine Massenbewegung das Land. Frauen verbrannten ihre Hijabs auf der Straße, die Menschen forderten das Ende der islamischen Republik. Wie steht es ein gutes Jahr später um die Bewegung? Wir fragten die deutsch-iranische Autorin und Journalistin Gilda Sahebi. Dieses Jahr erschien ihr Buch »Unser Schwert ist Liebe: Die feministische Revolte im Iran«.

Das Interview führte Eva Gutensohn

15.09.2023
Veröffentlicht im iz3w-Heft 398

iz3w: Als im September 2022 die feministischen Proteste gegen die Regierung aufflammten, richteten sich alle Blicke auf den Iran. Ein gutes Jahr später erfahren wir hier in Deutschland deutlich weniger aus den Medien. Wie stellt sich die Situation gegenwärtig für Aktivist*innen vor Ort dar?

Gilda Sahebi: Die Situation bleibt weiterhin schwierig. Viele Frauen sind gerade im Alltag sehr widerständig. Sie halten sich nicht an die Kleiderordnung und bewegen sich ohne Kopftuch in der Öffentlichkeit. Das Regime versucht seit Monaten, sie wieder unter den Hijab zu zwingen, bisher erfolglos. Nun wurde angekündigt, die sogenannte Sittenpolizei solle wieder ihre ‚normale Arbeit‘ aufnehmen. Was das bedeutet, wird sich zeigen.

Auch die iranische Diaspora ging weltweit auf die Straße. Welche Relevanz hatte diese Unterstützung aus dem Ausland für die Bewegung?

Es war beeindruckend, wie viele Iraner*innen im Ausland aus Solidarität mit den Protesten aktiv wurden. Für die Bewegung ist das von großer Bedeutung: Das Regime hat auf der Weltbühne stets versucht, den Schein einer Quasidemokratie zu wahren und die Welt blickte bei den Verbrechen, die in Iran geschahen, lange weg. Das hat sich geändert. Zum ersten Mal wurden investigative Recherchen zu sexualisierter Gewalt, zu den Haftbedingungen und Folter in den Medien veröffentlicht. Viele Aktivist*innen versuchen aus der Diaspora weiterhin mit Demonstrationen, Kunst und Performances Aufmerksamkeit für die Situation in Iran zu erzeugen. Aktionen im Ausland kommt eine wichtige Rolle zu. Denn sobald die Welt wegschaut, wird das Regime wieder repressiver: Im Schatten der fehlenden Aufmerksamkeit gab es im Frühsommer eine riesige Hinrichtungswelle.

Sind Iraner*innen, die sich aktiv äußern, auch in Deutschland in Gefahr?

Ja. Eine Freundin, die Journalistin und Aktivistin ist, benötigte zeitweise Polizeischutz, nachdem sie bedroht wurde. Es handelt sich um ein Regime, das Repression auch transnational sehr aktiv ausübt. Sie verüben Mordanschläge und bedrohen oder verschleppen Menschen auch im Ausland. Der Deutsche Jamshid Sharmahd, der gerade als politische Geisel in Iran ist, wurde von Dubai aus verschleppt. Ein Schwede, der jetzt im Frühjahr hingerichtet wurde, wurde in der Türkei entführt.

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Welche Rolle spielen die Sozialen Medien in den Protesten und welche Bedeutung haben sie für die Menschen in Iran?

Die Sozialen Medien hatten bereits vor den Protesten eine zentrale Rolle. Bevor der Staat im September 2022 das Internet abschaltete, waren 95 Prozent der Iraner*innen auf Instagram. Der Großteil der Menschen in Iran weiß genau, dass das Staatsfernsehen nur Propaganda und Lügen sendet. Sie nutzen also andere Kanäle, um sich zu informieren. In den Sozialen Medien vernetzen sie sich mit Iraner*innen im Ausland und folgen Exilfernseh- und Radiosendern. Das ist auch ein Grund, warum das Iranische Regime so eine riesige Cyberarmee hat. Sie bedrohen die Leute online, hacken Accounts und verbreiten Hassrede.

Verbreitet das Regime auch selbst aktiv Propaganda im Internet?

Definitiv. Dem Regime sind damit in den vergangenen Monaten tatsächlich einige Desinformationskampagnen geglückt, die von westlichen Medien aufgegriffen wurden. Von »die Sittenpolizei ist abgeschafft« über »Zehntausende Iraner feiern die Revolution« bis »das Iranische Regime erlässt Gesetze zum Schutz von Frauen«. Ich dachte: Mein Gott, was wird denn da geschrieben? Da ist es gut, wenn man Quellen kennt und Accounts in den Sozialen Medien folgt, von denen man weiß, dass sie Informationen prüfen.

Wie beurteilst du das Agieren der Internationalen Gemeinschaft ein Jahr nach der Revolte? Was müsste anders gemacht werden?

Es bräuchte eine grundlegende Neupositionierung in der Sanktionspolitik: Was nötig ist, sind zielgerichtete Sanktionen. So lange es keine Konsequenzen für Regimevertreter*innen gibt, wird sich nichts ändern. Auf der Sanktionsliste der EU stehen aktuell 216 Personen. Verglichen damit, wie viele Menschen an dieser Tötungsmaschinerie beteiligt sind, ist das ein Witz.

»Im Schatten der fehlenden Auf­merksam­keit gab es eine riesige Hin­richtungs­welle«

Gleichzeitig müsste man sich bei den Sanktionen, die vor allem die Bevölkerung treffen, fragen: Was davon macht Sinn? Viele führen nicht dazu, das Regime einzuhegen, sondern dazu, dass Medikamente fehlen, die Währung verfällt, dass man nicht spenden kann. Wie sollen etwa so Streikende unterstützt werden? Von großer Bedeutung wäre es auch, die Revolutionsgarden auf die Terrorliste zu setzen. Das wird aber nicht passieren. Es gab einen Zeitraum von ein, zwei Monaten im Herbst 2022, da hatte man das Gefühl, dass die Politik sich ändert. Aktuell hingegen sieht es so aus, als wäre der Status quo vor September 2022 wieder erreicht. Die USA scheinen einen Deal mit dem Iranischen Regime abzuschließen, die EU hat sich auch wieder mit Vertretern des Iran getroffen und es gibt absolut keinen Wandel in der Iranpolitik.

Welches Interesse verfolgen die USA und die EU mit solch einer nachgiebigen Politik?

In der Debatte wird oft auf die wirtschaftlichen Interessen verwiesen. Iran hat mit die größten Öl- und Gasfelder der Welt, und nachdem das Atomabkommen abgeschlossen war, reisten 2016 zahlreiche Wirtschaftsdelegationen nach Iran. Deutschland ist obendrein Irans wichtigster Handelspartner in der EU. Aber auch dabei geht es nicht um ein so großes Handelsvolumen, dass man sich daraus erklären könnte, dass sie dem alle anderen Fragen unterordnen. Es scheint daneben andere Gründe zu geben, warum man sich so ängstlich und feige gegenüber dem iranischen Regime verhält. Die Bundesregierung war in ihrem Umgang mit dem Regime schon immer sehr nachgiebig, selbst dann noch, wenn seine Geheimdienste in Deutschland Mordanschläge verübt haben. Letztlich ist das eine sehr kurzsichtige Politik. Die sehen das akute Problem Atombombe. Mit Lösungen wie dem Atomdeal versucht man ein derartiges Horrorszenario ein paar Jahre in die Zukunft zu verschieben. Das ist aber ein Politikansatz, der rein gar nichts löst. Der einzige Weg, dass dieses Land atomwaffenfrei bleibt, ist eine demokratische Regierung in Iran.

Worauf sollten Medien in Deutschland bei der Berichterstattung achten?

Es gibt einen viel zu unkritischen Umgang mit iranischen Nachrichtenagenturen. Wenn die dpa etwa deren Meldungen weiterverbreitet, dann ist das eine Katastrophe. Das wird dann überall übernommen. Klar müsste eigentlich sein: Man kann nicht über Iran berichten, wenn man keine Verbindung zu den Menschen hat, das funktioniert einfach überhaupt nicht.

»Von großer Bedeu­tung wäre es, die Revolutions­garden auf die Terror­liste zu setzen«

In anderen Ländern können ausländische Journalist*innen auch vor Ort recherchieren. In Iran geht das aufgrund der Überwachung so gut wie nicht. Darüber hinaus würde ich mir wünschen, dass man Bereiche anschaut, die jahrzehntelang vernachlässigt wurden: Was denken die Menschen? Wie ist das Verhältnis von Bürger*innen und Staat?

Was ist deine Einschätzung, wie es weitergeht mit der sozialen Bewegung gegen das Regime?

Grundsätzlich brauchen Veränderungen Zeit. Obwohl das Regime mit der Sittenpolizei droht, sagen sehr viele Menschen, dass sie sich nichts vorschreiben lassen wollen. Da steckt einfach so viel Wut und so viel Kraft dahinter – die wird auch nicht weggehen. Eine Freundin hat mir heute geschrieben, sie wünsche sich fast, dass die Sittenpolizei zu ihr kommt, damit sie sie beschimpfen kann. Diese Gefühle gehen nicht weg. Und genauso wenig die Erinnerungen an die Gewalttaten, die das Regime in den letzten Monaten verübt hat. Deswegen glaube ich, dass es weiter gehen wird mit diesem revolutionären Prozess. Nur wann er endet, und was dann passiert, da habe ich absolut keine Ahnung.

Besteht auch ein Risiko, dass das Regime einen autoritären Rollback vollzieht und alles noch viel schlimmer wird?

Das ist schon sehr schwer vorstellbar. Ich wüsste nicht, wie es schlimmer werden kann. Es gibt, glaube ich, neben Iran und wahrscheinlich noch Nordkorea keinen Staat, der derart gewaltvoll mit seinen Bürger*innen umgeht. Ich weiß nicht, was da noch Schlimmeres passieren kann, als Kinder zu vergewaltigen, hinzurichten und Frauen zu ermorden.

Eva Gutensohn hat mit der Autorin Gilda Sahebi im Juli 2023 gesprochen. Das Interview kann in ganzer Länge als Audio nachgehört werden.

Dieser Artikel ist erschienen im iz3w-Heft Nr. 398 Heft bestellen
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