Kein Patriarchat!
Am 8. März ist Feministischer Kampftag. Weltweit gehen FLINTA**-Personen an diesem Tag für Anerkennung und Gleichberechtigung auf die Straße. Mehr noch: Es geht um lautes, sichtbares, solidarisches Aufbegehren gegen eine gesellschaftliche Realität, in der sich antifeministische Strömungen erstaunlich unerhört breitmachen; in der digitale Gewalt zunimmt, während der Pay-Gap international kaum kleiner wird *; in der häusliche Gewalt gegen FLINTA steigt, während Hunger als Waffe oder Korruption in besonderem Maße FLINTA-Personen trifft. Und, und, und.
Es stimmt zwar, dass in vielen Ländern nach zähem Ringen und langjährigen politischen Kämpfen die gesetzliche Lage für FLINTA besser wird. So wird, ganz aktuell, die »Freiheit zur Abtreibung« in die französische Verfassung aufgenommen - ein weltweites Novum. Die Regierung Indiens hat letztes Jahr entschieden, dass künftig ein Drittel aller Sitze des Unterhauses (Lok Sabha) und der Parlamente der Bundesstaaten an Politikerinnen gehen sollen – ein historischer Erfolg für die Frauen in Indien.
»Kein Gott - Kein Kalifat - Kein Patriarchat«
Doch andere Länder zeigen: Gesetze und Rechte sind keine hinreichende Garantie auf ein gewaltfreieres, diskriminierungsfreies, friedliches und sicheres Leben. Und vor allem: Sie sind nicht unumkehrbar. Der Gap zwischen Symbolik und Realität – das zeigen die in unserem Dossier versammelten Artikel – ist nicht weniger bitter als rechtliche Ungleichheit. Dieser Gap macht den manches Mal tödlichen Unterschied. Unbezahlte Care-Arbeit bis zur Erschöpfung im informellen Sektor, die Verweigerung des Zugangs zu Bildung, Nahrung und Gesundheitsversorgung, der diskursive, strukturelle und doch gewaltvolle Ausschluss aus gesellschaftlichen und politischen Gestaltungsräumen, die ständige Verletzung von grundlegenden Menschenrechten, bis hin zu tödlicher sexualisierter Gewalt und Femiziden: Die Liste der lautlosen und unsichtbaren wie der schreienden und öffentlich zur Schau getragenen Gewalt ist lang.
Nach dem letzten Bericht der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) haben die Taliban die Rechte von Frauen weiter eingeschränkt. Kinderehen nehmen zu. Seit den Protesten in Iran unter dem Slogan »Jin, Jiyan, Azadîn« (Frau, Leben, Freiheit) sind hunderte Personen hingerichtet worden und die Repression nimmt weiterhin zu (»Wenn die Generation Z ein bisschen älter ist, muss der Staat gehen«). Der antifeministische Backlash in den USA sorgt dafür, dass erkämpfte Reche wieder abgeschafft werden. Durch die international vernetzte rechte Stimmungsmache trauen sich frauenfeindlich Gesinnte laut und hemmungslos, öffentlich und in sozialen Medien gegen Antifaschistinnen zu pöbeln, zu spotten, einzuschüchtern. Bis hin zu Todesdrohungen.
Mit dem totalitären Regime in Iran, der Repression von Frauen von Afghanistan oder in Sudan, mit der oft ungesehenen häuslichen Gewalt gegen FLINTA* von Kanada bis Europa, den Schmähungen und Drohungen gegenüber Frauenrechtler*innen in Ländern wie der Türkei, China oder Somalia und nicht zuletzt mit dem scheußlichen Massaker in Israel verübt durch die Hamas, mehren sich die Hotspots frauenverachtender politischer und patriarchaler Alltagspraxis. So tauchen neue Slogans auf den 8. März-Protestmärschen auf: »Kein Gott - Kein Kalifat - Kein Patriarchat«.
Bei den Attacken auf das Nova-Musikfestival und die Kibbuzim wurde systematisch sexualisierte Gewalt gegen Frauen und Mädchen ausgeübt: Vergewaltigungen, Verstümmelungen, Mord, Schändung von Toten – sie zählen zu den dokumentierten Grausamkeiten gegen Frauen durch Hamas-Terroristen. Zeug*innen berichten von Gruppenvergewaltigungen. Dokumente zeigen, dass die Gewaltexzesse gegen Frauen keine isolierten Ereignisse waren, sondern systematisch zu verstehen sind.
Ein Aufbegehren gegen diese Verbrechen ist gelebte feministische Solidarität, sie darf am 8. März nicht fehlen. Ebenso wenig wie die Verurteilung der traurigen Tatsache, dass FLINTA* in vielen militärischen Auseinandersetzungen und Kriegen, von Sudan über Kongo bis Gaza stark betroffen sind.
Kein Platz für patriarchale Frauenbilder
Gleichzeitig ist der internationale feministische Kampftag der Ort, an dem jedes Instrumentalisieren eines patriarchalen Frauenbildes scharf verurteilt werden muss. Wenn auf Bildern das Leid von Frauen in Gaza gezeigt wird, in der Absicht, dieses Leid gegen das Selbstverteidigungsrecht Israels auszuspielen, geht es hier nicht um feministische Forderungen. Das ist antifeministisch. Denn es bleibt dabei: Die Hamas ist eine islamistische Terrororganisation und keine emanzipatorische Widerstandsbewegung. Israel hat das Recht sich militärisch zu verteidigen. Dennoch muss das Vorgehen der Armee – wie jeder anderen Armee der Welt – kritisch beobachtet werden. Wenngleich die Hamas die Zivilbevölkerung in Gaza als menschliche Schutzschilde missbraucht, berechtigt dies die israelische Armee nicht, bei der Zerstörung der Strukturen der Hamas zivile Opfer billigend in Kauf zu nehmen. Es ist unerlässlich, die massive Diskriminierung der Palästinenser*innen in den besetzten Gebieten zu kritisieren und die Folgen des Vorgehens der israelischen Armee in Gaza zu benennen. Zugleich ist es falsch und in keiner Weise hilfreich mit Begriffen wie »Apartheid« und »Genozid« zu operieren.
Wir verurteilen das Abschneiden von überlebenswichtigen Gütern, gebilligte Tötungen und flächendeckende Traumatisierungen. Wir sind solidarisch mit Initiativen in Palästina, die sich gegen antidemokratische, antisemitische, patriarchale, islamfeindliche und islamistische Ideologie und Praxis im Westjordanland und in Gaza engagieren. Wir sind solidarisch mit den Protesten und zivilgesellschaftlichen Initiativen in Israel gegen die Gewalt der Hamas, für die Freilassung der Geiseln, gegen die Verfassungsänderung und die Schwächung des Justizsystems.
Wir wollen uns anti-muslimischem Rassismus in jeder Form entgegenstellen. Dazu ist es unerlässlich, sich damit auseinanderzusetzen, wie auch in Deutschland koloniales und rassistisches Denken seit Jahrhunderten und bis heute erlernt wurde und sich in rassistischen Strukturen und Diskursen niederschlägt – auch und gerade gegenüber FLINTA*. Und wir wollen uns Antisemitismus in jeder Form entgegenstellen. Dazu ist es unerlässlich, sich damit auseinanderzusetzen, wie Antisemitismus in Deutschland seit Jahrhunderten und bis heute erlernt, verinnerlicht und diskursiv reproduziert wird. Postkolonialismus ist nicht per se antisemitisch. Aufbegehren gegen Antisemitismus bedeutet nicht per se das Leiden der Menschen in Gaza zu relativieren oder kolonialrassistische Strukturen zu ignorieren.
Wenn der Kampf gegen Patriarchat und Anti-feminismus bündnisfähig bleiben will...
Wenn der Kampf gegen Patriarchat und Antifeminismus bündnisfähig bleiben will, dann sind diese Aussagen – oder sagen wir Grundhaltungen – eine gute Voraussetzung, um zusammen weiterzudenken und solidarisch zu sein, statt sich voneinander zu entfernen. Wir sind uns des utopischen Charakters der Gleichzeitigkeit dieser Grundhaltungen bewusst. Und doch: Wir wollen keine davon opfern. Folgerichtig ist für uns ein Bündnis mit »Palästina Spricht« auf dem feministischen Kampftag ausgeschlossen.
Sprüche wie »Decolonize Feminism!« klingen gut, sind doch Patriarchat, Rassismus und Kolonialismus aufs Engste verwoben. Und doch sind sie nicht ohne Stolperfallen, angesichts der Ereignisse in Nahost. Es braucht Allianzen, die intersektional sensibel sind, die gegen Antisemitismus aufbegehren, und die nicht eine Diskriminierungskategorie der nächsten opfern. Vielleicht wäre es, um bündnisfähig zu bleiben, eine tragbare Idee, vom Internationalen Antipatriarchats-Kampftag zu sprechen. Lästige traditionelle Bilder von leidenden Frauen und Kindern haben hier keinen Platz. Vom Patriarchat werden all diejenigen unterdrückt, die heterosexuelle, cisnormative und heteronormative Ordnung durch ihr Dasein zerstören: queere, non-binary, trans Menschen. Egal welcher Herkunft.
In unserem Dossier zeigen wir: Die Kämpfe gegen Unterdrückung von FLINTA* und gegen Antifeminismus sind vielfältig und global: So stemmt sich eine ausschließlich von Frauen geführte indische Zeitung gegen ungleiche Machtverhältnisse, in Sarajevo wird für die Umsetzung von LGBTIQ-Rechten gekämpft und die bolivische Gruppe Mujeres Creando setzt sich für einen intersektionalen, regierungskritischen Feminismus ein. In Pakistan wird um die Anerkennung von trans Personen auch in der Praxis gekämpft und in Süd-Mexiko wehren sich FLINTA* gegen genderspezifische Gewalt. Im Irak macht die Organisation Workers Against Sectarianism auf die prekären Arbeitsbedingungen von Frauen aufmerksam. Die hier zusammengestellten Artikel sind in verschiedenen Printausgaben und südnordfunk-Sendungen im Laufe der letzten zwei Jahre erschienen. Ein Dank an unsere Autor*innen an dieser Stelle, deren Gedanken wir geistig in Freiburg am 8. März mit auf die Straße tragen, nachdem wir unser eigenes Kollektiv bis 16 Uhr feministisch bestreiken.
7.3.2024
die redaktion