Der Kohlenstoff-Kolonialismus kommt
Die COP 29 setzt auf den Handel mit Emissionszertifikaten
Die Klimakonferenz in Baku verhandelte über Geld für Länder, die vom Klimawandel stark betroffen sind. Abseits davon gab es eine andere Weichenstellung für die Klimapolitik: Es wurden neue Regeln für Kohlenstoffmärkte beschlossen, also für den Handel mit Emissionszertifikaten. Klimagasminderungen können dabei zwischen verschiedenen Staaten übertragen werden. Auch Wälder könnten künftig als Ausgleich für schädliche Klimagase gehandelt werden. Wem hilft das?
Wälder speichern CO2. Wälder zu schützen, hilft also dem Klima. Wenn nun diejenigen, die die Wälder schützen – etwa lokale oder indigene Gemeinschaften – Geld für diesen Klimadienst erhalten, profitieren alle, so das Argument. Diese Erzählung bildet seit fast 20 Jahren die Grundlage für Programme, die Wälder in den internationalen Kohlenstoffhandel einbeziehen. Was einfach klingt, hat sich als so kompliziert herausgestellt, dass es immer noch kein verpflichtendes Emissionshandelssystem gibt, das Wälder tatsächlich einbezieht.
In der Klimapolitik dominiert nach wie vor die Idee, mit Emissionen zu handeln, anstatt sie konsequent dort zu reduzieren, wo sie anfallen. Obwohl zahlreiche Studien zeigen, dass dies nie funktioniert und zur Erhöhung von Emissionen statt zu ihrer Senkung geführt hat, hat die Klimakonferenz von Baku nun solche Kohlenstoffmärkte für die internationale Klimapolitik neu aufgesetzt. Umgekehrt wurden die Beschlüsse der Vorgängerkonferenz von Dubai für eine Abkehr von fossilen Brennstoffen nicht bestätigt. Diese Wende (zurück) zum Handel mit Emissionen wird fatale Folgen haben, sowohl für das Klima als auch für viele Gemeinschaften in den Waldgebieten des Globalen Südens. Diese müssen, wenn Wälder einbezogen werden, künftig eine Hauptlast des Klimaschutzes tragen.
Forests for Future
Die Idee, Wälder zum Klimaschutz zu nutzen, gibt es schon seit Jahrzehnten. Das Kyoto-Protokoll von 1997, das erste internationale Klimaabkommen, führte die Möglichkeit ein, mit Emissionsreduktionen zu handeln. Was für viele damals absurd klang – Handeln mit einem Recht auf Luftverschmutzung – wurde zum dominierenden Ansatz der Klimapolitik. Alle Emissionshandelssysteme, die seither entstanden sind, funktionieren nach einem ähnlichen Prinzip: Für jede Tonne CO2, die Firmen ausstoßen, müssen sie ein entsprechendes Zertifikat kaufen, meist an einer speziellen Börse. Die Gesamtmenge der Zertifikate wird mit der Zeit verringert, wodurch sie teurer werden. Dies soll einen Anreiz setzen, auf klimafreundliche Technologien umzustellen.
Doch ein funktionierender Markt für Emissionsreduzierungen aus Wäldern kam, abgesehen von Pilotprojekten, nie zustande. Dies liegt vor allem an der Schwierigkeit, die Emissionssenkung aufgrund von Waldschutz zuverlässig zu bestimmen. Wälder können sowohl eine CO2-Senke als auch eine CO2-Quelle sein. Zudem nehmen sie im Rahmen der Photosynthese zwar CO2 aus der Luft auf und speichern Kohlenstoff in Blättern, Ästen, Stamm und Wurzeln. Dauerhaft ist das aber nicht: Wenn das Laub im Herbst fällt, der Baum stirbt, abgeholzt oder verbrannt wird, wird das CO2 wieder frei.
Als Klimaschutz funktioniert der CDM-Mechanismus kaum
Zudem sind die Berechnungen, wie viel CO2 bei Waldprojekten ‚gespart‘ wird, unzuverlässig: Projektentwickler erstellen ein Szenario auf der Annahme, was mit einem Wald über die nächsten 20, 50 oder 100 Jahre passieren wird. Dieses Baseline Scenario geht etwa davon aus, dass der Wald zerstört wird. Ein zweites Szenario stellt dar, was mit dem Wald passiert, wenn ein Klimaschutzprojekt durchgeführt wird – etwa Schutzmaßnahmen, Bildungsmaßnahmen oder Zahlungen an Nutzer*innen. Die Emissionen, um die sich die beiden Szenarien unterscheiden, können als »Emissionsreduktionen« in Form von Zertifikaten verkauft werden. Ob sich die Prognosen aber so erfüllen – etwa ob der mit Projektmaßnahmen bedachte Wald in 100 Jahren noch steht – ist hypothetisch.
Arme und Indigene zuletzt
Klimagerechtigkeitsaktivist*innen kritisierten Mechanismen wie den CDM (Clean Development Mechanism) aus dem Kyoto-Protokoll als »Kohlenstoff-Kolonialismus«. Hier versuchten sich die Industrieländer, statt eigene Emissionen zu reduzieren, mit Projekten im Süden freizukaufen. Aber auch als Klimaschutz funktioniert der Mechanismus kaum. Das Emissionshandelssystem der EU wurde in den ersten Jahren mit zweifelhaften Zertifikaten etwa aus CDM-Projekten geflutet, sein Effekt blieb gleich Null. Zugleich wurde der noch wenig regulierte Markt mit Zertifikaten ein Schauplatz von Betrug und Steuerhinterziehung. Erst als die EU die Nutzung von auswärtigen Zertifikaten stark einschränkte und die Zertifikate reduzierte, stieg deren Preis. Die CO2-Emissionen in der EU sind seither stark gesunken, vermutlich auch aufgrund dieser Mechanismen. Allerdings auf unsoziale Art und Weise: Denn weil die Unternehmen die Kosten auf die Verbraucher*innen umlegen und es keinen sozialen Ausgleichsmechanismus gibt, zahlen den Preis vor allem die ärmeren Teile der Bevölkerung. Wenn 2027 auch Gebäude und Verkehr einbezogen werden und Kosten für Heizen und Benzin steigen, dürfte sich dieser Effekt noch verstärken.
Währenddessen wiesen Studien nach, dass ein Großteil der Ausgleichsprojekte im Globalen Süden keine Emissionen reduzierte. Eine Studie im Auftrag der EU-Kommission von 2016 schloss, dass nur bei zwei Prozent der untersuchten CDM-Projekte eine hohe Wahrscheinlichkeit bestehe, dass sie Emissionen reduzieren, bei 85 Prozent sei diese Wahrscheinlichkeit gering. Gleichzeitig können solche Ausgleichsprojekte verheerende Auswirkungen auf lokale Gemeinschaften haben, insbesondere bei Waldprojekten.
Dabei können Waldprojekte durchaus positive Auswirkungen haben, wenn die Nutzer*innen selbst Landrechte haben und einbezogen werden. Praktisch ist das aber fast nirgendwo der Fall – im Gegenteil. Oft sind die Projekte der Anlass, »illegale« Nutzer*innen zu vertreiben. In Nigeria führten Waldprojekte zu einer verstärkten Militarisierung der Wälder. In anderen afrikanischen Ländern, in Lateinamerika oder Asien, wurden lokale Nutzer*innen aus Wäldern vertrieben oder ihre Nutzungsrechte stark eingeschränkt, um aufforsten oder Plantagen anlegen zu können.
Die internationalen Kohlenstoffmärkte, die nach der ersten heftigen Kritik an Bedeutung verloren hatten, dürften nun wieder Aufwind bekommen. Auf der UN-Klimakonferenz in Baku wurden am ersten Tag im Hauruckverfahren umstrittene Regeln für künftige Kohlenstoffmärkte beschlossen. Bezugspunkt ist das 2015 beschlossene Pariser Klimaabkommen. Dessen Artikel 6 sieht die Möglichkeiten eines internationalen Kohlenstoffmarkts vor.
Immerhin ein Milliardenmarkt
Bei der Klimakonferenz in Glasgow 2021 einigten sich die Staaten auf erste grobe Regeln für den Austausch von Emissionen. Anfang 2024 erfolgten die ersten Verkäufe von Emissionsminderungen unter Artikel 6.2, der den Handel zwischen Unternehmen und Staaten umfasst und damit auch die kaum regulierten privaten Kohlenstoffmärkte einschließt. Vorreiterin war hier die Schweiz: Die KliK-Stiftung der fossilen Unternehmen kaufte Emissionsreduktionen vom thailändischen Energieunternehmen Energy Absolute aus einem E-Bus-Programm in Bangkok. Die Emissionsreduktionen wurden der Schweiz angerechnet und Thailand abgezogen.
Mit den Beschlüssen in Baku kommen die Märkte jetzt ins Rollen – zum Schrecken von Klimagerechtigkeitsaktivist*innen. Die Ergebnisse »riskieren, dass Kohlenstoffmärkte und Ausgleichsmaßnahmen ins Zentrum der globalen Antwort auf die Klimakrise gestellt werden«, schreibt die Koalition Africa Make Big Polluters Pay nach Baku. »Kohlenstoffmärkte und Emissionshandelssysteme erlauben Verschmutzer*innen weiterhin ohne Konsequenzen Treibhausgase auszustoßen, ihrer moralischen und historischen Verantwortung zu entfliehen und die Klimakrise zu verschlimmern.«
Die Neuregelung von Baku bedeutet eine Niederlage für alle, die sich strengere Regeln gewünscht hatten. Der künftige Markt sieht keinerlei Sanktionen vor, wenn Projekte doch nicht wie geplant Emissionen reduzieren. Bisherige CDM-Projekte können ohne Prüfung auf Zusätzlichkeit registriert werden. Kontrolle ist im Wesentlichen NGOs oder unabhängigen Medien überlassen – bei den komplexen Regeln für Kohlenstoffmärkte ist das eine Überforderung. »Cowboy-Kohlenstoffmärkte in Zeiten, in denen die Welt einen Sheriff braucht«, nennt sie die Organisation Carbon Market Watch.
Die ersten Projekte nach Artikel 6.2 laufen bereits. Unter dem neuen Mechanismus nach Artikel 6.4, der einen Markt unter Aufsicht der UN schaffen soll, könnten die ersten ab 2026 registriert werden. Bis dahin muss ein von der UN eingesetztes Expertengremium, der Supervisory Body, entscheidende Details klären. Hier geht es auch darum, ob und wie kurzlebige Senken wie Wälder einbezogen werden. Dazu läuft die Diskussion, ob Projekte des Carbon Dioxid Removal, der Entziehung von Kohlenstoffdioxid aus der Luft, in Artikel 6 integriert wird. Unternehmen der Energiebranche und Carbon Startups frohlocken, dass da ein Milliardenmarkt wartet. Verlieren werden dabei das globale Klima und diejenigen, deren Lebensgrundlage zugunsten von Ausgleichsprojekten für eine fortgesetzte imperiale Lebensweise weichen muss.