»Die Andere des Anderen«
Rezensiert von Rosaly Magg
03.05.2023
Veröffentlicht im iz3w-Heft 396
Was ist Schwarzer Feminismus? Wo ist der Raum, von dem aus Schwarze feministische Stimmen sprechen können? Bis zu welchem Punkt legitimieren PoC-Feministinnen die Macht, die sie verurteilen? Diese Fragen stellt die afrobrasilianische Feministin Djamila Ribeiro in ihrem Essay Wo wir sprechen. Schwarze Diskursräume. Dabei lässt sie sich von Schwarzen Stimmen wie Sojourner Truth oder Audre Lorde inspirieren und begegnet dem Vorwurf der Identitätspolitik mit Verweis auf bell hooks: Es gelte Theorie und Praxis als verwobene Dialektik und nicht als dichotome Realität zu begreifen.
Die Schwarze Frau ist weder weiß noch Mann, symbolisiert also einen doppelten Mangel und stellt die Antithese zu Weißsein und Männlichkeit dar. So ist die Schwarze Frau die »Andere des Anderen« (Grada Kilomba). Diese Schlussfolgerung ist nicht neu, es gab sie schon in den 1990er-Jahren, aber dennoch bleibt wichtig, sie zu betonen.
»Schwarze Diskursräume sind also ein Mittel, um die traditionelle Geschichtsschreibung und die Hierarchisierung von Wissensbeständen anzufechten«
Die Schwarze Bevölkerung hat kaum Zugang zu bestimmten Räumen. Dies verhindert, dass Schwarze Stimmen gehört werden: »Schwarze Diskursräume sind also ein Mittel, um die traditionelle Geschichtsschreibung und die Hierarchisierung von Wissensbeständen anzufechten«, so Ribeiro. Die Frage, wo wir sprechen, ist für Ribeiro also zentraler als was oder worüber wir sprechen, denn der Ort macht dieses Sprechen erst möglich und bestimmt dadurch den Inhalt. Das mag banal klingen, ist aber auch radikal, wenn wir Schwarze feministische Bewegungen ernst nehmen. Ribeiro meint dabei keinesfalls, dass nur Schwarze über Rassismus sprechen dürften. Zudem betont sie, dass individuelle Unterschiede auch innerhalb einer sozialen Gruppe bestünden. Dennoch gebe es geteilte Erfahrungen, etwa die hohe Inhaftierungsrate unter Schwarzen Männern in den USA oder die hohe Zahl an Femiziden an Schwarzen Frauen in Brasilien. Diese gelte es zu analyiseren.
Der Verdienst des Essays ist, neue Schwarze feministische Stimmen sichtbar zu machen, Wissenschaftlerinnen wie Lélia Gonzalez, Heidi Saia Mirza, Linda Alcoff, Gloria Anzaldúa oder Patrica Hill Collins. »Es ist wichtig, zu wissen, von wo wir sprechen, um über Hierarchien, Fragen der Ungleichheit, Armut, Rassismus und Sexismus nachdenken zu können«, fordert Ribeiro beispielsweise mit Rosane Borges. Alle zitierten Autor*innen brechen mit der dominanten Epistemologie, also dem Erwerb von Wissen. Sie wollen Risse und Spannungen schaffen, gegenhegemonial sein, die Norm destabilisieren, Formen der Unterdrückung sichtbar machen, mit dem aufgezwungenen Schweigen brechen. Lélia Gonzalez bringt es auf den Punkt: »Jetzt redet der Müll, und zwar so, wie wir wollen.«