»Zwischen 4 und 5 Uhr nachmittags kamen die Maschinen«

Wenn Häuser dem Bau einer Metro weichen müssen

Audiobeitrag von Lars Springfeld

07.03.2024

Abidjan, Elfenbeinküste: Seit 2022 wird in Abidjan an einer 37 Kilometer langen, als Metro bezeichneten S-Bahnlinie quer durch das Stadtgebiet gebaut. Damit soll die Verkehrssituation in der mit sechs Millionen Einwohner*innen größten Stadt der Elfenbeinküste signifikant verbessert werden. Täglich könnte eine halbe Million Menschen die Bahn nutzen, heißt es. In einer Veröffentlichung der Regierung vom November 2022 ist von 13.448 Personen die Rede, die der geplanten Bahnstrecke weichen mussten und entsprechend entschädigt wurden. Die Zahl der Betroffenen dürfte jedoch höher sein. Sind die Landrechte unklar, bleiben Betroffene außen vor. Lars Springfeld sprach in Abidjan mit Alassane Dicko vom Netzwerk Afrique-Europe-Interact und mit dem Taxifahrer Kwame Kassi Célestin, dessen Haus dem Bau der Metro weichen musste.


Skript zum Audiobeitrag

Erstausstrahlung am 5. März 2024 im südnordfunk #118 bei Radio Dreyeckland

Sprecherin: Die Elfenbeinküste in Westafrika, auch bekannt unter dem französischen Namen Côte d’Ivoire, gilt als wirtschaftlich prosperierend und als eine der engsten Partnerinnen Frankreichs in der Region. Präsident Alassane Ouatara, der 2020 entgegen der Verfassung, die nur zwei Amtszeiten zulässt, dann für eine dritte Amtszeit wiedergewählt wurde, treibt zahlreiche Modernisierungsprojekt voran. Dabei findet er durchaus Unterstützung in der Bevölkerung, während die Opposition seine Wiederwahl als illegitim und seinen Regierungsstil als autoritär kritisiert.

Dazu gehört auch die Ausrichtung der diesjährigen als Africa Cup bekannten Fußball-Afrikameisterschaft in vier eigens neu errichteten Stadien. Als »die Elefanten«, wie die Ivorer*innen ihre Nationalmannschaft nennen, schließlich am 11. Februar den Titel nachhause holen konnten, wurden die Spieler als Helden der Nation gefeiert.

Ein entscheidendes Projekt konnte jedoch nicht, wie ursprünglich geplant, bis zum Africa Cup verwirklicht werden: Der Bau einer 37 km langen S-Bahn-Linie einmal quer durch die Wirtschaftsmetropole Abidjan. Die Regierung spricht vom größten Infrastrukturprojekt des Landes der letzten 50 Jahre. Bereits im November 2017 war Emmanuel Macron zum Spatenstich des Bauprojekts in die Elfenbeinküste gereist, denn finanziert wird das Milliardenprojekt von der Französischen Entwicklungsagentur »Agence Française de Développement« im Rahmen eines bilateralen Vertrages. Danach geschah jedoch erst einmal nichts.

Verträge mit den umsetzenden französischen Unternehmen wurden neu ausgehandelt. Seit Winter 2022 wird konkret gebaut, die Inbetriebnahme ist für 2028 geplant. Die neue Bahnstrecke soll täglich eine halbe Millionen transportieren und die Verkehrssituation in Abidjan signifikant verbessern. Dafür müssen jedoch zahlreiche Häuser weichen. Tausende Menschen sind von Enteignungen betroffen. Nach einer Mitteilung der Regierung von November 2022 haben 13.448 Personen eine Entschädigungszahlung erhalten. Inwiefern Betroffene entschädigt werden, hängt jedoch wesentlich davon ab, ob sie das Land, auf dem sie leben, offiziell besitzen. Wer keine Landrechte nachweisen kann, bleibt außen vor.

So erging es Kwame Kassi Célistin, genannt Watas, der über dreißig Jahre ein Grundstück nahe der Bahngleise bewirtschaftet hatte, bevor es im November 2022 mit samt seinem Haus abgerissen wurde. Bis heute wartet er auf eine Entschädigung.

Kwame Kassi Célistin: Ich bin Kwame Kassi Célestin, genannt Watas. Wir sind gerade auf meinem kleinen Grundstück, wo ich seit fast 40 Jahren lebe. Eines Tages kam das Problem mit der Metro und sie haben mich hier vertrieben. Das trifft mich wirklich hart.

Sprecher: Es ist früher Abend im Dezember 2023. Wir treffen Watas auf seinem Grundstück im Stadtteil Abobo – oder dem, was davon noch geblieben ist: ein knapp zehn Meter breiter Streifen zwischen einem Bauzaun und den Mauern der angrenzenden Häuser. Wir, das sind Allasane Dicko, ein Mitstreiter vom Netzwerk Afrique-Europe-Interact, und ich. Ich bin Lars und ebenfalls bei Afrique-Europe-Interact aktiv. Im Dezember war ich für eine Besuchsreise in der Elfenbeinküste.

Alassane  Dicko: Hallo Lars, vielen Dank für die Gelegenheit, hier zu sprechen. Ich bin Alassane Dicko. Ich bin bei Afrique-Europe-Interact für Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Zur Zeit bin ich in der Elfenbeinküste, wo ich Familie habe.

Sprecher:  Alassane hatte mir über den Bau der Metro in Abidjan erzählt. Ab 2022 mussten zahlreiche Häuser den beginnenden Bauarbeiten weichen. Auch Watas, ein alter Freund von Alassane, ist betroffen. Nun haben wir die Gelegenheit mit ihm zu sprechen.

Watas: Ich weiß nicht, was ich jetzt tun soll. Ich leide noch immer darunter. Ich wohne prekär und meine Kinder und meine Frau sind aufs Dorf gezogen. Nur ich bin geblieben. Noch immer warte ich auf Hilfe. Das ist mein Problem gerade.

Kannst du uns sagen, was genau am 29. November 2022 passiert ist? Was ist in dieser Nacht an diesem Ort, an dem wir jetzt sind, passiert?

Watas: Am 29. November 2022 zwischen 16 und 17 Uhr kamen die Maschinen. Sie meinten, sie hätten ja schon gesagt, dass ich gehen soll. Sie seien gekommen, um alles abzureißen. Ich sage: ‚Nein, man hat mir gesagt, dass ich gehen soll, aber auch, dass sie mir einen anderen Ort geben würden, wo ich hingehen kann. Bisher habe ich nichts bekommen. Wenn ihr mein Haus abreißt, wo soll ich dann wohnen?‘ Sie haben mir nicht zugehört und gemacht, was sie tun mussten. Sie haben alles abgerissen. Ich bin in einer Baracke auf meinem Grundstück geblieben, bis heute.

Alassane Dicko: Besonders getroffen hat mich, dass sie am Abend gekommen sind. Wenn so etwas morgens passiert um sieben oder acht Uhr, ist es auch schlimm, aber man kann es verstehen. Er hätte Zeit, sich zu organisieren und seine Sache wegzubringen. Aber gegen fünf Uhr am Nachmittag mit dem Bagger zu kommen, das ist echt heftig! Sie haben alles zerstört, das Haus, die Bäume, selbst seine Tiere sind weg. Nach allem, was er sich hier aufgebaut hat. Das hat mich wirklich schockiert.

Alassane, du hast mir erzählt, dass dieser Ort hier sehr bekannt ist. Du warst selbst regelmäßig hier. Wie war es hier früher und wie kann man es mit der Situation heute vergleichen?

Alassane Dicko: Ich kenne diesen Ort, es war ein Ort mit Bäumen, Blumen, Vögeln, Enten, Hühnern, Obstbäumen. Es war ein weitläufiger Ort, ein Ort voller Leben. Samstags und sonntags kamen viele Leute aus dem Viertel hierher, um frische Luft zu schnappen. Es war ein offener Ort, eine Art öffentlicher Park. Watas hat als Bauer hier in der Stadt wirklich ein Ökosystem geschaffen. Die Leute kamen zur Erholung. Seit 1997/98, sind wir hier hergekommen, die Leute aus der Nachbarschaft. Alle kannten den Ort.

Und wie hast du erlebt, was in der Nacht am 29. November 2022 hier passiert ist?

Alassane Dicko: Als ich hierher kam, war ich überrascht. Ich dachte, vielleicht bin ich am falschen Ort. Denn es war nicht der Ort, den ich kannte. Ich sah Absperrungen, Ruinen. Vorher waren hier zwei oder drei Zimmer. Es gab eine Toilette für die Besucher*innen. Man hörte die Vögel singen, es gab kleine Tiere. Es war wirklich ein lebendiger Ort. Jetzt ist es eine Müllhalde geworden. Alles ist kaputt. All seine Sachen, Tische, Stühle, sein Werkzeug, sein Ventilator, seine Kleidung und persönliche Gegenstände, alles war draußen im Regen verstreut.

Watas, glaubst du, dass du für das, was die Behörden dir angetan haben, Gerechtigkeit finden wirst?

Watas: Das ist ein Problem des Staates. Aber wir können nicht gegen den Staat vorgehen. Ich verlange, dass man mir zumindest eine Unterkunft gibt, wo ich mit meiner Familie leben kann. Das ist alles, was ich verlange. Das ist mein Anliegen.

Alassane Dicko: Hier muss man wirklich die Dinge hinterfragen. Viele Leute wurden vertrieben, sie haben keine Papiere für den Landbesitz, so wie er. Doch selbst, wenn ihnen das Land nicht offiziell gehört, sind sie immer noch Bürger*innen. Sie haben sich etwas aufgebaut, man muss sie also entschädigen. Aber die Entschädigung, die man ihm angeboten hat, war nicht vergleichbar mit dem, was andere Vertriebene bekommen haben. Für all seine Arbeit, für diesen gelebten Umweltschutz, haben sie ihm 350.000 Franc CFA angeboten. Das sind etwa 550 Euro. Damit kann er sich nirgendwo ein Haus leisten, auch nicht in diesem ärmeren Viertel.

Und hast du die 350.000 Franc CFA erhalten?

Watas: Sie haben es mir versprochen. Auch wenn das, was sie mir genommen haben, mehr wert ist. Sie haben mich gebeten, Fotos zu machen und ihnen zu schicken. Also habe ich Fotos gemacht und geschickt. Seitdem haben sie sich nicht mehr gemeldet. Ich bin immer noch hier, in einer Baracke, die ich neu gebaut habe. Damit schlage ich mich durch. Das Geld fehlt noch immer. Über ein Jahr ist das nun her, und ich warte noch immer.

Glaubst du, dass du am Ende etwas bekommen wirst?

Watas: Manche haben eine Entschädigung bekommen. Das ist alles, was ich verlange. Die einen haben etwas bekommen, andere nicht. So geht es weiter.

Alassane Dicko: Genau. Ich kann noch hinzufügen, dass laut einer offiziellen Mitteilung der Regierung, des Ministeriums für Bauwesen und Infrastruktur, alle, die vertrieben oder enteignet wurden, erfasst und bereits entschädigt wurden. Das bedeutet also, er bleibt außen vor. Diejenigen, die noch klagen und sich beschweren, stehen auf der Liste der Vergessenen, der Liste der Niemande.

Aber wie können wir für die Rechte der Vertriebenen kämpfen, die außen vor bleiben?

Alassane Dicko: Was können wir tun? Zuerst einmal: Wir sprechen hier mit unserem Bruder Watas, aber tausende Menschen sind von diesem Projekt betroffen. Diejenigen, die sichtbar sind, haben eine Vereinigung der Vertriebenen gegründet. Aber um in dieser Vereinigung zu sein, brauchst du Papiere über das Land, das sie dir genommen haben.

Er selbst ist seit 40 Jahren hier. Mehr als 30 Jahre Arbeit, Mühe, Bewirtschaftung, auch wenn ihm das Land nicht gehört. Selbst die Stadt weiß, dass Watas hier ist. Und von heute auf morgen wird er geräumt. Rein menschlich und moralisch ist das unerträglich. Die Vereinigung der Vertriebenen kann nichts für ihn tun. Er ist zwei- oder dreimal in ihr Büro gegangen. Aber er hat keine Papiere, um zu zeigen, dass das Land ihm gehört. Er kann nicht berücksichtigt werden.

Watas, kennst du andere Leute, die in der gleichen misslichen Lage sind wie du?

Watas: Ja, ich kenne andere. Nachdem sie ihr Hab und Gut zerstört haben, sind viele weggegangen. Oft treffen wir uns dort im Büro der Metro. Aber da sie immer sagen, wir sollen warten, geht jeder seiner Wege. Ich bin hier, aber die anderen sind weggegangen. Ich war schon mehr als dreimal dort. Wenn ich dort hingehe, ist es immer das Gleiche. Ich bin dort, dann warte ich darauf, dass sie mich eines Tages anrufen. Denn das haben sie mir gesagt. Ich soll warten und mich gedulden, sie werden mich anrufen. Heute bin ich hier und warte noch immer.

Das ist eine große Ungerechtigkeit. Aber was denkst du über den Bau der Metro? Ist es trotzdem eine gute Sache?

Watas: Als sie ankündigten die Metro zu bauen, fanden wir das gut, denn es ist ein sehr wichtiges Projekt für unser Land und insbesondere für uns, die wir mit dem Bus zur Arbeit fahren. Die Metro wäre eine große Verbesserung. Nur dass wir ohne Entschädigung vertrieben wurden, das ist es, was uns weh tut. Abgesehen davon unterstützen wir den Bau der Metro.

»Man hätte ihn und seinen Garten in das Projekt integrieren können.«

Alassane Dicko: Wie Watas sagt, es ist ein nützliches Projekt, denn Abidjan hat große Probleme mit verstopften Straßen. Zwar werden immer neue Straßen gebaut, es gibt aber auch immer mehr Autos. Und auch der öffentliche Nahverkehr ist eine Qual. Es gibt ein System von Stadtbussen, die sind aber immer überfüllt. Es gibt Leute, die haben um 17 Uhr Feierabend, aber kommen erst spät nachts um 23 Uhr oder um Mitternacht nach Hause. Und früh um fünf oder sechs Uhr müssen sie wieder los. Es gibt also einen unmittelbaren Bedarf für die Metro, es ist eine wirkliche Verbesserung für die Stadt. Und Abidjan ist eine sehr, sehr große Stadt mit sechs bis sieben Millionen Einwohner*innen. Die Straßen können nicht alles tragen. Das Problem ist die Sozialverträglichkeit. In der ersten Phase war es noch nicht so. Sie haben bis zu einem bestimmten Punkt abgerissen. Aber dann sind sie gekommen, um noch mehr abzureißen, um eine Grünfläche auf beiden Seiten der Schiene anzulegen. Aber Watas hatte diese Grünfläche bereits angelegt. Auf einer Länge von fast 200 Metern und 100 Metern Breite. Auch wenn ihm das Land auf dem Papier nicht gehört, aber er hat es bewirtschaftet. Und jetzt sagen sie, dass das, was sie abgerissen haben, zu einer Grünfläche werden soll. Normalerweise, in einem sozialverträglichen Projekt, hätte man ihn und seinen Garten in das Projekt integrieren können. Dann könnte er weiterhin hier leben. Das heißt, ja es ist ein wichtiges Projekt, auch im wirtschaftlichen Sinne. Es soll die Stadtbevölkerung durch eine Verbesserung des Verkehrs entlasten. Aber ein gewisser Teil der Bevölkerung ist negativ betroffen und findet sich nun in prekären Verhältnissen wieder. Und das wirkt sich negativ auf das soziale Leben insgesamt aus.

Watas: Ich wünsche mir konkrete Unterstützung für einen besseren Ort zum Wohnen, damit ich meine Kinder zu mir zu holen kann. Denn bis jetzt sind meine Kinder nicht bei mir. Das belastet mich sehr. Ich arbeite als Taxifahrer, aber in meinem Alter ist es nicht mehr wie früher. Ich bitte den Staat, dass jede und jeder wenigstens das Nötigste bekommt. Das ist es, was ich verlange, dass man mir dabei hilft, damit ich mich neu einrichten und mit meiner Familie, meinen Freunden zusammen sein kann, so wie früher. Das ist alles.

Erstausstrahlung südnordfunk 2024 | Radio Dreyeckland

Lars Springfeld engagiert sich für das Netzwerk Afrique-Europe-Interact und besuchte Abidjan sowie den Wohnort des Taxifahrers Kwame Kassi Célestin im Rahmen einer Recherchereise.

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